Wendet sich Deutschland zum Positiven?

22. Juli 2003 in Deutschland


Ein bemerkenswerter Themenumschwung in den Massenmedien - Ein Kommentar von Helmut Matthies


“Der Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist.” Was der indische Philosoph Tagore (1861-1941) beschreibt, brauchen viele Christen im Blick auf die gesellschaftliche Situation in Deutschland: Hoffnung trotz großer Dunkelheit. Die Verrohung der Gesellschaft, die Sexualisierung weiter Bereiche der Werbung und der Medien, die Zerrüttung zahlreicher Familien, die bevorstehende Vergreisung der Nation angesichts immer weniger Kinder – das alles ist noch bis vor kurzem Inhalt vieler Debatten gewesen. Um so bemerkenswerter ist der Themenumschwung in völlig unterschiedlichen Medien in den letzten drei Wochen. Es begann Anfang Juli ausgerechnet mit der Zeitung, die der grün-alternativen Szene zuzurechnen ist: der “tageszeitung” aus Berlin. Sie stellte erstaunt fest: “Kinderkriegen ist wieder en vogue.” Zu keiner Zeit hätten prominente Frauen in den Medien derart stolz Schwangerschaft demonstriert wie gegenwärtig. Die linksliberale “Frankfurter Rundschau” sekundierte: “Noch nie war Schwangersein so trendy.” Eine politisch ganz anders ausgerichtete Tageszeitung der Hauptstadt, “Die Welt”, titelte: “Stil und Benehmen sind wieder gefragt”. Die Sonntagsausgabe des Blattes meinte, junge Leute arbeiteten mit großem Elan an einem “Wirtschaftswunder von morgen”. Die “Süddeutsche Zeitung” wundert sich, daß ein Automobilzulieferer für neun Führungspositionen in Anzeigen ausdrücklich Leute ab 45 sucht, darunter auch Senioren. Denn Erfahrung sei wieder gefragt.

Die “neuen” Werte sind “alt”

Der “Spiegel” produzierte Mitte Juli aus allem gleich eine Titelgeschichte: “Die neuen Werte: Ordnung, Höflichkeit, Disziplin, Familie”. Und als Grund macht das Magazin, das jahrzehntelang stets gegen Bürgerlichkeit gekämpft hat, aus: “Es reicht vielen einfach.” Sie hätten die “um sich greifende Verlotterung” satt. Keiner unter den jüngeren Intellektuellen hat den Zeitgeist so originell und treffend analysiert wie der 32jährige ehemalige FAZ-Redakteur Florian Illies, dessen Buch “Generation Golf” zum Bestseller wurde. Jetzt ist “Generation Golf zwei” erschienen. Dort bringt er die Ursache einer Trendumkehr mit anderen Worten auf den Punkt: “Je unsicherer die Welt wird, um so attraktiver werden die scheinbar altmodischen Werte.” Illies engagiert sich in zwei Bereichen: der Ökologie und der evangelischen Kirche. Wann gab es das denn in den letzten Jahren, daß ein junger Starautor öffentlich bekennt, sich als Christ einsetzen zu wollen? (Er gehört übrigens dem evangelischen Johanniterorden an.)

Es liegt gerade an uns Christen

Christen werden sich über vieles, was sich hier abzeichnet, freuen. Wichtiger aber ist, daß sie die Chancen nutzen. Wenn im “Spiegel” beispielsweise steht, daß Eltern “in vertrauter Runde” mittlerweile gestehen würden, “auch wieder das Abendgebet eingeführt zu haben, sich dabei aber ähnlich hilflos zu fühlen wie beim Absingen der Volkslieder”, dann sollten Christen offensiv auf die Bedeutung des Gebetes eingehen und zeigen, wie geistliches Leben aussehen kann. Ob dem vermeintlichen Umschwung freilich eine Wende folgt, liegt eben auch an den Christen. Wenn sie der offensichtlichen Sehnsucht nach neuen Werten nicht antworten und die Werte des Evangeliums nicht überzeugend in Schule, Beruf und Alltag einbringen, dürfen sie auch nicht in ein paar Jahren klagen, falls sich alles als Luftblase erwiesen haben sollte. (idea)


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