Bitte nicht stören!

16. September 2016 in Kommentar


Neue kath.net-Kommentarreihe BeneDicta: Wozu wir aber alle berufen sind, ist die Heiligkeit. Ein Kommentar von Isabella Gräfin von Kageneck


Linz (kath.net)
Die meisten von Ihnen werden sicher die wunderbare Trilogie Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien und vielleicht auch die sehr beeindruckende Verfilmung von Peter Jackson kennen. Insidern waren die Fantasyromane bereits gut bekannt, als im Jahre 2001 plötzlich ein Millionenpublikum Bekanntschaft mit Frodo, Gandalf, natürlich Sauron und nicht zuletzt den Orks machte. Die Orks, einst waren sie Elben und setzten sich für das Gute in Mittelerde ein bis sie freiwillig unter die Herrschaft Saurons fielen und zu innerlich wie äußerlich hässlichen und verkommenen Monstern mutierten. Der Eingeweihte weiß, dass diese Trilogie zu Zeiten des zweiten Weltkrieges von Tolkien geschrieben wurde. Wer ihm als Vorlage dieser Orks diente, lässt sich wohl leicht erraten. In der Literatur wird dieses Thema öfter aufgegriffen. Auch der französische Dramatiker Eugène Ionesco beschreibt in seinem Theaterstück Rhinocéros die fortschreitende Mutation der Bevölkerung in Nashörner. Alles nur absurdes Theater? Nur Fantasy? Mag sein.

Wer aber genau hinschaut und beobachtet, der erkennt, dass unsere Gesellschaft, ja auch wir Christen, mehr und mehr von einem neuen Virus bedroht und befallen wird. Äußerlich ist dieser Virus durch ein imaginäres „Bitte nicht stören“-Schild, so wie man es an die Hoteltür hängt, gekennzeichnet. Diese innerliche Haltung des „Bitte nicht stören“ macht sich in vielerlei Richtung bemerkbar: Im Desinteresse am Nächsten, im fast narzisstisch-krankhaften Fixiertsein auf sich selbst, auf seine Belange, getreu dem Motto „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an jeden gedacht.“ Es kann aber auch darauf hindeuten, dass Menschen überreizt sind, dringend eine Auszeit brauchen und einfach keine Kraft mehr haben, sich dem Nächsten zu widmen. Der Nächste wird als Störenfried angesehen, der mir im schlimmsten Falle meine Zeit raubt oder einfach im Weg ist. Zeit! Ein kostbares Gut und eine so rare Ware heutzutage. Wir hetzen von einem Termin zum nächsten, erfüllen eilfertig unsere angeblichen Pflichten. Gehen wir eine Straße entlang, überholen uns Autos, aus denen laute, oft brutal klingende Musik entgegendröhnt. Mehr und mehr Passanten stopfen sich gar gleich ganz die Ohren lieber zu und hören „Musik“. Auch das sind alles „Bitte nicht stören“-Schilder.

Ganz ehrlich, wie oft hören Sie auf die Frage „Wie geht es Dir?“ – „Ja, ich hab´ viel zu tun!“? Ich höre es fast täglich und muss dabei immer öfter an den berühmten Feigenbaum denken. Christus hat Hunger und geht zu diesem Feigenbaum, um an ihm nach einer Frucht zu suchen. Er sucht und sucht, ob er vielleicht zumindest eine kleine Frucht findet. Aber nein, nichts, keine einzige Frucht, dafür aber sehr viele Blätter. Der Feigenbaum mag sich ganz zu Unrecht verurteilt und bewertet vorkommen. Blätter sind doch auch etwas. Die sind ja schließlich auch gewachsen. Sie alle kennen Jesu Reaktion darauf. Gott hat uns niemals und zu keiner Zeit einfach dazu berufen im Stress zu sein, dauernd „viel zu tun zu haben“, um am Ende doch keine Frucht zu bringen. In der Zwischenzeit haben wir nicht nur keine Frucht gebracht, sondern – auch wieder ein raffinierter Schachzug des feindes – uns völlig auf uns selbst fixiert. Mutter Theresa sagte einmal „Mir ist lieber, dass ihr Fehler macht und freundlich seid, als dass ihr Wunder wirkt und unfreundlich seid.“

Wie? Aber Wunder wirken ist doch etwas Gutes?! Das stimmt, aber Wunder wirken kann nur einer. Wir sind nicht dazu berufen in erster Linie viel Geld und Reichtümer anzuhäufen, auch nicht dazu unbedingt erfolgreich zu sein. Die Bibel ist voll von Menschen, die auch heute noch in unserer Gesellschaft eher als Loser angesehen würden. Wozu wir aber alle berufen sind, ist die Heiligkeit. Dies gelingt uns sicherlich nur in einem eucharistischen Leben. Die Eucharistie und die Sakramente unserer Mutter Kirche sind das beste Impfmittel gegen diesen Virus unserer Zeit, der in vielen Facetten und Abwandlungen daherkommt. Aber im Kern uns von Gott, von unserer Berufung zur Heiligkeit, von unserem Nächsten und schlussendlich auch von uns selbst wegführen möchte. Denn der Feind hat vor nichts mehr Angst als davor, dass jeder Einzelne erkennt, wer er in Christus ist und hat dafür um uns herum eine verführerische Pappmaché-Kulisse aufgebaut. Bei genauem Hinsehen erkennt man aber auch, dass es eben nur Pappmaché ist.

In unserer so genannten Leistungsgesellschaft (auch wieder eine Pappmaché-Kulisse) laufen wir alle in einem Hamsterrad. Ständig in Bewegung, aber kommen irgendwie doch nirgendwo an. Ganz unbemerkt fühlen wir uns nur wertvoll und liebenswürdig, wenn wir etwas leisten. Natürlich wollen wir alle gewinnen, schon in der Schule oder an der Uni die besten Noten schreiben etc. Aber das darf nicht unser eigentliches Ziel sein. Zu allererst müssen wir nach den Tugenden streben, danach ein wahrer Sohn oder eine wahre Tochter Gottes zu werden. Dann kann es zwar sein, dass wir hier und da tatsächlich auch Erfolg haben. Aber dann haben wir ihn nicht um seiner selbst willen. Es ist eher ein Nebenprodukt. In der Mannschaft Gottes gibt es keine Individualisten, auch keine „Bitte nicht stören“-Schilder. Wir müssen wachsam sein, auf uns selbst und vor allem auf den Nächsten, damit wir der „Orkisierung“ der Gesellschaft entgegentreten. Lächeln Sie doch heute einfach mal einem Fremden auf der Straße zu. Das wirkt meistens schon Wunder.

Ab sofort kommentieren in der neuen kath.net-Reihe BeneDicta jeden Freitag Gudrun Trausmuth, Inka Hammond, Isabella von Kageneck, Petra Knapp und Linda Noé wichtige Themen über Gott, die Welt und alles, was die Herzen noch so bewegt.




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