Der Film '24 Wochen' – intensiv, doch ohne Hoffnung

23. September 2016 in Kommentar


Neue kath.net-Kommentarreihe BeneDicta: Diese Woche Gudrun Trausmuth über einen Film in den Kinos


Wien (kath.net)
„24 Wochen“ von Regisseurin Anne Zohra Berrached, läuft heute in Österreichs Kinos an: Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel), die bereits eine Tochter haben, erwarten voller Freude ein zweites Kind. Als die Diagnose „Downsyndrom“ vorliegt, können sich die beiden ganz gut damit arrangieren. Zusätzlich wird beim ungeborenen Sohn der Kabarettistin dann auch noch ein schwerer Herzfehler entdeckt, was eine Reiher schwerer Herzoperationen bedingt. Ganz allmählich schleicht sich bei Astrid Verunsicherung ein; nachdem ihre Mutter beim Abendessen lapidar gemeint hatte, „So ein Kind muss man heute nicht mehr bekommen…“, formuliert auch Astrid irgendwann die Frage „Was ist, wenn ich das Kind gar nicht will?“. Reichlich hilflos muss der im Film sehr beindruckende Vater Markus miterleben, wie Astrid immer mehr in Richtung einer Spätabtreibung geht – als er sie in der psychologischen Beratungsstelle, schließlich verzweifelt anschreit: „Unsere oder deine Entscheidung?“, lautet ihre Replik schließlich: „Meine Entscheidung“. Dann die erschütternde Szene, wie Astrid zur Spätabtreibung ins Krankenhaus fährt und von Nele, der kleinen Tochter, Abschied nimmt: „Nele, ich glaube, dass dein Bruder kein schönes Leben hätte.“ –Deshalb wird ein sogenannter Fetozid vorgenommen: dem Kind wird Kaliumjodid ins Herz gespritzt, dann die Geburt des toten Babies eingeleitet – der Film spart nichts aus, weder das heftige Weinen der Mutter während das Herz des Kindes zum Stillstand gebracht wird, noch die unsagbare Trauer des Vaters, die Geburt, das kleine tote Kind in der blauen Decke zwischen den Eltern. ..

Mit „24 Wochen“ wird ein Thema offensiv angegangen, über dem ein großes Schweigen lastet: Spätabtreibungen. Es ist auch in Österreich, genau wie in Deutschland (wo der Film spielt) möglich, ein schwerkrankes oder –behindertes Kind bis zur Geburt durch eine Spritze ins Herz zu töten und dann die Geburt des (toten) Kindes einzuleiten. Dass im Film eine Spätabtreibung sehr realistisch gezeigt wird, und damit etwas gesellschaftlich Ausgeblendetes und Verdrängtes erschütternd vor Augen führt, rechtfertigt den - teilweise naturalistisch wie eine Dokumentation wirkenden - Film allemal. Auch das Ringen der Protagonisten ist glaubhaft und erschütternd, die beiden Hauptdarsteller sind ungeheuer authentisch und bewegend, und wenn dieser dramatische Film nur eine Frau in einer vergleichbaren Situation vor der Tötung ihres Kindes bewahrt, hat er sich gelohnt.

Doch sind auch viele kritische Anfragen an „24 Wochen“ zu stellen. So ist es gar keine wirkliche Frage mehr, ob das, was gemacht wird, erlaubt ist, nicht nur rechtlich, sondern ethisch . Tatsächlich ist es im Film allein die Frau, die entscheidet, in absoluter Weise ihre Verzweiflung auf das Leben des Kindes projiziert:“Nele, ich glaube, dass er kein schönes Leben gehabt hätte.“ , sagt Astrid zu ihrer kleinen Tochter, bevor sie für den Eingriff ins Krankenhaus fährt. Ein grundsätzlicher Lebenswert wird dem kleinen Menschen hier nicht mehr zugestanden, auch keine Würde als Person – die Filmprotagonisten wären wohl baff erstaunt oder peinlich berührt, wenn man mit so einem Begriff käme… Die ein einziges Mal geäußerten Bedenken von Markus, ob man sich zum „Entscheider über Leben und Tod“ machen dürfe, weist Astrid harsch zurück, nicht ohne schnell einmal schnippisch zu fragen, was nun dieses „Christendings“ solle … Echt reflektiert , nachgedacht, grundsätzlich gefragt wird in „24 Wochen“ nicht , vielmehr ergibt Entscheidung höchster Tragweite sich aus negativen Zurufen, gefühlter Überforderung und Zukunftsangst . Nun kann man freilich einwenden, dass derartige Entscheidungen auch in der Wirklichkeit wohl nicht anders gefällt würden. – Natürlich, nur prägt ein derart starker Film als erzeugte Realität auch die Wirklichkeit; ein gründlicher Denk- und Diskussionsprozess im Film hätte wohl eine neue Linie der Entscheidungsfindung - wenn nicht gespurt - so doch zumindest anregen können.

Was ist die Botschaft des Films? - In der letzten Szene gibt Astrid, von deren Schwangerschaft ja auch die Öffentlichkeit wusste, ein Radiointerview. Nach dem Muster vieler Hollywoodfilme baute die Regisseurin Anne Zohra Berrached hier eine Art finaler Botschaft in eine adäquate Kommunikationssituation ein. „Ich habe diese Entscheidung getroffen. Sie war ein bisschen richtig und ein bisschen falsch, wahrscheinlich beides: Ich habe im siebten Monat mein Kind abgetrieben.“, hören wir, ehe in das Weiß vor dem Abspann noch eine kaum hörbare Stimme flüstert „Ich vermisse dich…“ Was kommuniziert das? Für mich Resignatives und Relativismus, zugleich – immerhin ein Trost – das (geflüsterte, fast gehauchte) Eingeständnis, dass das hier so absolute Wort der „Entscheidung“ immense Trauer und einen unwiederbringlichen Verlust nach sich zieht.

Und was erschüttert mich, abgesehen von der Dramatik der Story so sehr? Vor allem, dass die Frage, ob das Kind getötet wird oder nicht, völlig selbstverständlich und normal geworden ist. Das Töten ist gleichsam die humane Option geworden – „Die Eltern wollen sich und dem Kind Leid ersparen“, sagt auch der Leiter des pränatalen Screenings im Wiener AKH (News 3.9.2016). – Und das Leid, der Schmerz und die Schuld danach? Wer spricht davon, wer erzählt filmisch die Story von Astrid und Markus weiter?

Während des Films taucht auch immer wieder die Frage in mir auf: Wie ist das eigentlich (auch rechtlich) mit der Möglichkeit einer palliativen Betreuung eines schwerstbehinderten oder –kranken Kindes? Gibt es wirklich nur die völlig überfordernde Entscheidung zwischen Töten und lebend zur Welt bringen und Intensivsttherapie? Ist es auch möglich, das Kind zu gebären und es schmerzfrei und umsorgt beim Sterben zu begleiten? Oder ist selbst diese Frage schon verboten, weil wir uns als Gesellschaft zwar an die Todesspritze ins Herz schon irgendwie gewöhnt haben, ein begleitetes „Sterbenlassen“ aber als unmenschlich betrachten würden?

„24 Wochen“ ist ein wichtiger Film, der aber hinsichtlich seiner Botschaft, die sich mit seiner großen emotionalen Eindringlichkeit paart, nicht verharmlost werden darf. Ein Film ohne Hoffnung und Licht. Die Hauptpersonen selbst können auf keine innere Sicherheit zurückgreifen, die das Leben ihres Kindes auffangen würde, und es gibt im Film auch keine andere Gestalt, die ein echter Anwalt des Lebens wäre, die tröstet und Perspektive gibt. –Was ich Astrid sagen würde? Sicher hätte ich mit ihr geweint, würde ihr aber auch sagen, dass ich überzeugt bin, dass ER uns liebt und selbst die Dinge, die ER uns zumutet, aus Seiner Perspektive notwendig sind. Weil sie uns weicher machen, formbarer, ansprechbarer für das, was ER uns sagen möchte: Dass wir ja nicht nur für die kurze Zeit dieses Lebens gemacht sind, sondern für die Ewigkeit. Von diesem einen kurzen Leben, dessen Bedeutung wir gar nicht ganz durchschauen, müssen wir deshalb nicht alles erwarten. Der Sinn unseres Lebens und der Sinn des Lebens eines Anderen, mag er noch so schwer krank oder behindert sein, entzieht in Wahrheit unserem menschlichen Verständnis. Vielleicht hätte ich Astrid dann noch ein paar Zeilen aus einem Brief Edith Steins aufgeschrieben, wo sie sich darauf freut, einmal Gottes Version ihrer Geschichte zu erfahren: „Meine große Freude ist die Hoffnung auf künftige Klarheit. Der Glaube an die geheime Geschichte muß auch immer stärken, wenn das, was wir äußerlich zu sehen bekommen (…)uns den Mut nehmen möchte.“

Ab sofort kommentieren in der neuen kath.net-Reihe BeneDicta jeden Freitag Gudrun Trausmuth, Inka Hammond, Isabella von Kageneck, Petra Knapp und Linda Noé wichtige Themen über Gott, die Welt und alles, was die Herzen noch so bewegt.


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