Populistische Phrasendrescher

10. Oktober 2016 in Aktuelles


„Die Kirchen hecheln in ökumenischer Liaison einer konfusen und kopflosen CDU-SPD-Koalition hinterher, die aber die Privilegierung der kirchlichen Institutionen samt Kirchensteuer zu konservieren verheißt.“ Gastkommentar von Prof. Wolfgang Ockenfels


Bonn (kath.net) Sich von den Konfusionen der Gegenwart abzuwenden, den zeitgemäßen Missdeutungen des Christentums zu widerstehen, gehört zu den Pflichten der Gläubigen. Auch dann, wenn sie deshalb Nachteile zu erleiden haben, sogar vonseiten ihrer „Amtskirche“.

Die Kirchenleitungen sind in Deutschland gerade dabei, ihre Wahrheitsansprüche dialogisch-dialektisch aufzuheben, in trauter Eintracht die Bergpredigt Jesu als politische Handlungsanweisung umzudeuten und – namentlich in der Flüchtlingsfrage – die strukturelle Soziallehre mit individualmoralischen Pflichten zu verwechseln. Rationale Verantwortung wird durch gefühlige Gesinnungen ersetzt, das Naturrecht außer Kraft gesetzt. Hier herrscht ein pastoraler Populismus.

Wenn katholische Bischöfe politischen Unsinn im Brustton der Glaubensüberzeugung erzählen, riskieren sie ihre Autorität, aber nicht ihr Amt. Sie sind schließlich nicht demokratisch legitimiert. Sie verlieren Mitglieder, und zwar nicht nur Kirchensteuersparer, sondern ernsthafte Christen, die das neuerliche Bündnis von Thron & Altar verwerflich finden. Wenn aber politische Amtsträger mit quasitheologischem Nonsens ihre Handlungen rechtfertigen, kann es ihnen an den Kragen gehen.

Angela Merkel scheint langsam kapiert zu haben, dass ihr „Spiel ohne Grenzen“ in Sachen Flüchtlingspolitik ein Ende finden muss. Inzwischen beteuert sie, dass die Absicherung der europäischen Grenzen von Erfolg gekrönt sein werde. Aus der Welcome-Euphorie ist längst eine Abschiebungs-Absicht geworden, die freilich rhetorisch kaschiert wird: Manch einem sei „Richtung, Ziel und Grundüberzeugung der Flüchtlingspolitik nicht ausreichend erklärt worden“, bemerkte Merkel sibyllinisch, nachdem die CDU ihr historisch schwächstes Ergebnis in Berlin erzielt hatte. Sie will Probleme lösen, die es ohne sie nicht gäbe – und dies dem blöden Volk besser erklären: Durch populistische Phrasen natürlich.

Zuvor schon hatte die AfD in Mecklenburg-Vorpommern die CDU überflügelt. Und das ist gut so, könnte man meinen, wenn damit ein echtes Umdenken der CDU und der ihr angeschlossenen Kirchenleitungen verbunden wäre. Leider hecheln die Kirchen in ökumenischer Liaison einer konfusen und kopflosen CDU-SPD-Koalition hinterher, die aber wenigstens die Privilegierung der kirchlichen Institutionen samt Kirchensteuer zu konservieren verheißt. Zu angeblich beiderseitigem Nutzen wird ein System aufrechterhalten, das in längerer Frist nicht mehr zu halten ist. Von daher auch erklären sich die Diffamierungen der Kirchen einer Partei gegenüber, die die islamische Invasion nicht als Schicksal oder Kismet anerkennt - und das Verhältnis Staat-Religion generell neu überdenken will. Als realistische Dialogpartner fallen die Kirchen einstweilen aus.

Konservative Autoren, mit prophetischen Gaben ausgestattet, sind selten. Johannes Gross (1932-1999), der katholisierende Protestant, kritische Zeitdiagnostiker und wortmächtige Aphoristiker gehört zu dieser fast ausgestorbenen Gattung, die nur wenige literarisch-politische Klassiker hervorgebracht hat. Er hörte das Gras wachsen, in das andere später beißen sollten. In einem seiner Notizbücher, die er im Magazin der FAZ und später in Buchform veröffentlichte, findet sich unter dem 31. März 1988 der Eintrag: „Eine Zensur findet nicht statt. Jedenfalls nicht von seiten des Staates. Doch immer häufiger treten gesellschaftliche Aktivgruppen hervor, die, von hohen Vorsätzen beflügelt, sich das Recht nehmen, Rede- und Informationsfreiheit zu beschränken.“

Damit hatte Johannes Gross bereits die Zensurmaßnahmen von Facebook und der Amadeu-Antonio-Stiftung unter der Leitung der früheren Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane im ahnungsvollen Blick. Dass diese denunziatorischen „gesellschaftlichen Aktivgruppen“, zu denen auch kirchliche Kreise „gegen rechts“ gehören, sogar auf die offizielle Unterstützung staatlicher Instanzen (wie die des Justizministers Heiko Maas) bauen können, blieb Johannes Gross damals verborgen.

Vor fast dreißig Jahren eine weitere Ahnung dessen, was uns heute bewegt: „Die Volksgemeinschaft lebt auch weiter: in dem Bedürfnis nach Betreuung und dem verbreiteten Willen, sie zu spenden, in der Neigung, sich als Hilfspolizist und Blockwart aufzuspielen, in der Hinnahme eines persönlichen Regiments …, der technischen Modernität bei barbarischer Gesinnung des einzelnen wie des Ganzen. Der Wille, Europa zu bevormunden, vordem durch Terror, jetzt durch Moral.“ (28. April 1989). Eine treffende Voraussage der Merkelschen Vereinnahmungspolitik.

Aber die klugen Worte des Johannes Gross sollten alle deutschen Politiker davon abhalten, NS-belastete Phrasen wie „Volksgemeinschaft“ (Frauke Petry, AfD) oder „Umvolkung“ (Bettina Kudla, CDU-MdB) zu benutzen. Komisch nur, dass sich der Finanzminister Wolfgang Schäuble kritik- und straflos erlauben konnte, der Wochenzeitung „Die Zeit“ gegenüber im besten Nazi-Jargon zu behaupten: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe“. War das ironisch gemeint? Wenn ja, umso schlimmer für einen Bundesminister, der ernsthaft wissen müsste, dass es bei der „Flüchtlings“-Politik nicht um „Abschottung“, sondern um rechtmäßige Kontrolle und Reduktion gehen sollte. Und dass bei Einwanderung keine rassenbiologischen Gesichtspunkte eine Rolle spielen dürfen, nach denen das eigene „degenerierende“ Volk, der deutsche Souverän, vor „Inzucht“ zu bewahren sei.

Das Pendant zur „Aufnordung“ müsste nach Schäuble im Nazi-Sprech eigentlich „Aufsüdung“ heißen. Das aber wäre eine grandiose Ablenkung vom westlichen Geburtenrückgang durch Verhütungsmentalität und Massenabtreibung. Uns fehlen ja gerade die Millionen ungeborener Kinder, die wir „rechtswidrig, aber straffrei“ haben abtreiben lassen. Diese nachhaltige Schande bleibt natürlich unerwähnt, auch vonseiten der Kirchen.

Derweilen übt sich Frau Merkel in nationalen Phrasen wie „Deutschland bleibt Deutschland“, dem Persil-Slogan von 1913: „Persil bleibt Persil.“ Und ihr Sekretär Peter Tauber beeilte sich, nachzuschieben: „Das beste Deutschland, das es je gab.“ Das war das Motto von „Persil 59“: „Das beste Persil, das es je gab.“ Es wird Zeit, die populistischen Phrasendrescher abzuwählen und ihren Weihrauchschwenkern und Schleppenträgern mitzuteilen, dass man gerne auf ihre politisch-theologischen Dienste verzichtet.

Der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels (Foto) ist Professor em. für Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier.

Prof. Ockenfels 2012 beim Kongress FREUDE am GLAUBEN in Aschaffenburg



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