Ethikerin: Sterbehilfe macht Selbsttötung zur 'sozialen Pflicht'

30. Oktober 2016 in Aktuelles


IMABE-Geschäftsführerin Kummer in "Presse"-Kommentar: Bei konsequentem Weiterdenken von aktiver Sterbehilfe müsste nicht nur "die Autonomie des Kranken", sondern auch die "Autonomie des Gesunden" zum Töten legitimieren


Wien (kath.net/KAP) Als eindringliches "Warnbeispiel" bezeichnet die Bioethikerin Susanne Kummer den niederländischen Vorstoß, die Tötung auf Verlangen für gesunde alte Menschen freizugeben. Werde der tödliche Medikamentencocktail als "Angebot für alle" freigegeben, so kippe dabei die propagierte Selbstbestimmung durch subtilen Druck in Fremdbestimmung, so das Urteil der Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien, in einem Kommentar der Tageszeitung "Die Presse" (Donnerstag). Schutz vor Tötung oder Beihilfe zur Selbsttötung müsse "Fundament der Rechtsordnung" bleiben, fordert sie.

Menschen über 75, die gesund und rüstig sind, sollen nach einem Vorschlag der niederländischen Gesundheitsministerin Edith Schippers künftig auf eigenen Wunsch Unterstützung bei Selbstmord erhalten dürfen. Dafür muss weder eine schwere Erkrankung noch unerträgliches Leiden vorliegen, vielmehr gilt im derzeit in Ausarbeitung befindlichen Gesetzesvorschlag als einziges Kriterium, dass die Entscheidung autonom und "ohne Druck von außen" gefällt werden muss. Zertifizierte Selbsttötungsbegleiter sollen dabei den Sterbewilligen, die sich die "Letzte-Wille-Pille" auf Rezept selbst in der Apotheke abholen, zur Seite stehen.

Das "Gefühl einer gewissen Lebenssattheit" sei somit ausreichendes Motiv für die Inanspruchnahme, bemerkt Kummer, die den Vorstoß bei zynischer Betrachtung als "einfach nur konsequent" und "brutalen Pragmatismus" bezeichnet. "Denn warum, so könnte man zu Recht fragen, soll die Erfüllung von Todeswünschen nur auf Schwerkranke beschränkt bleiben? Sind Gesunde nicht genauso selbstbestimmt? Oder Pensionisten, Menschen mit Liebeskummer oder Häftlinge, die meinen, das Leben habe nichts Gutes mehr mit ihnen vor? Wer sagt eigentlich, dass die Autonomie des Kranken zum Töten legitimiert, nicht aber die Autonomie des Gesunden?", hinterfragt die Bioethikerin.

Es sei jedoch ein "wirklichkeitsfremder Autonomiebegriff", wenn die Entscheidung zum Suizid als "geglückter Testfall von Autonomie" betrachtet werde, betont die IMABE-Geschäftsführerin. Schließlich komme es zur "Auslöschung" der Selbstbestimmung des Subjekts, wenn Selbstzerstörung ihr Ziel ist. Ausgeblendet blieben zudem die "fundamentale Angewiesenheit des Menschen und sein Eingebundensein in Gemeinschaft", denn: "Kein Mensch lebt für sich allein, kein Mensch stirbt für sich allein."

Sei das Tabu der Beihilfe zur Selbsttötung einmal gebrochen, sei auch der Schritt zur "akzeptierten Normalität, die schließlich zur sozialen Pflicht wird", nicht weit, warnt Kummer im Blick auf ältere, kranke und vulnerable Menschen. Diese Gruppe fühle sich in der Leistungsgesellschaft ohnehin schon jetzt häufig als "Last". Stillschweigend schwinge der Gedanke mit, "das alles" Mitmenschen "ersparen zu können, auch finanziell". Kummer: "Die Botschaft zum 'sozial verträglichen Frühableben' lautet: 'Du bist über 70. Ist es für dich nicht Zeit abzutreten? Lehn dich zurück, wir helfen dir!'"

Der Staat solle sich dazu bekennen, menschenwürdig und in Solidarität mit den Schwächsten leben zu wollen, statt falsch verstandene "Barmherzigkeit" zu praktizieren, appelliert die Geschäftsführerin des kirchennahen Instituts. Sonst stehe eine Entwicklung wie in den Niederlanden bevor, wo schon heute 15 Menschen pro Tag durch Euthanasie, 90 Prozent davon begleitet vom Hausarzt, sterben würden.

2015 starben offiziellen Zahlen zufolge 5.516 Menschen in den Niederlanden durch Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung. Beides ist dort vor 15 Jahren erstmals in einem Land erlaubt worden.


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