Die Krux mit dem Kreuz

23. November 2016 in Kommentar


Über die Abnahme der Bischofskreuze während einer Pilgerreise nach Jerusalem. Gastkommentar von Johannes Gerloff (idea)


Jerusalem (kath.net/idea) Das Kreuz war von Anfang an als Stachel gedacht. Es steht für Leiden, Verfolgung, Foltertod. Zerfetzt, würdelos und tot hing der auf Golgatha, der von sich behauptet hatte: „Ich bin das Leben!“ und der erklärte: „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich.“

Für Juden und Muslime ist das Kreuz ein Ärgernis

Juden können über dem Ärgernis des Kreuzes nur den Kopf schütteln. Der Islam hält es für ein perverses Hirngespinst. Auch in Gemeinden von Juden, die Jesus als ihren Messias bekennen, kann man gebeten werden, das Kreuzeszeichen abzunehmen. Zu sehr wird es mit „Kreuzritter“ und „Hakenkreuz“ assoziiert. Deshalb verstehe ich Christen, die in der Begegnung mit Juden oder Muslimen das Kreuz verdecken.

Was es aber zu unterscheiden gilt

Dabei ist aber klar zu unterscheiden: Wenn Juden darum bitten, das Kreuz zu verbergen, erbitten sie die Anerkennung ihres Rechts, als Juden existieren zu dürfen. Wenn Muslime dagegen das Abnehmen des Kreuzes verlangen, verkünden sie dadurch den Triumph des Halbmonds, die Herrschaft des Islams über „Schutzbefohlene“. Das festzustellen, ist nicht islamophob, sondern schlicht realitätsnah.

Der eigentliche Skandal

Kritikwürdig ist nicht, wenn Christen im Gespräch mit Andersgläubigen das Kreuzeszeichen geschichtsbewusst und kultursensibel platzieren. Skandalös ist die Botschaft, die durch ein offizielles Foto im Oktober 2016 von kreuzlosen Bischöfen mit einem muslimischen Scheich auf dem Tempelberg verkündet wurde. Dabei ist nicht nur zu bedenken, dass es nicht irgendwelche Kreuze waren, die da versteckt wurden, sondern die Amtskreuze der höchsten katholischen und evangelischen Würdenträger Deutschlands. Wenigstens fürs offizielle Foto hätten Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strohm die Amtskreuze hervorholen müssen. Immerhin präsentierten sie sich dort als höchste Vertreter der deutschen Christenheit der Öffentlichkeit – an einem Ort, der bis in die jüngste Zeit Fokus muslimischer Bemühungen war, jede jüdische Verwurzelung an dieser Stelle zu leugnen.

Was die Bischöfe nicht bedacht haben

Die Anspielung auf die angespannte Sicherheitslage, die von bischöflicher Seite als Grund für die Abnahme der Kreuze genannt wurde, war aus israelischer Sicht der sprichwörtliche Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach. Denn während um Israel herum das Christentum brutal ausgelöscht wird, hat sich die Zahl der Christen im jüdischen Staat seit dessen Gründung vervierfacht. Orientalische Christen wissen, warum sie heute Wehrdienst in Israels Armee leisten wollen. „Wenn wir jetzt nicht an der Seite der Juden kämpfen“, so ihre Ratio, „wird es uns in 30 Jahren nicht mehr geben.“

Es ist kein Zufall, dass der Bürgermeister einer israelischen Kommune einer Baptistengemeinde den Bau einer Kirche anbietet, dafür kostenlos Land zur Verfügung stellt und ausdrücklich um ein weithin sichtbares Kreuz bittet. All das haben die Bischöfe und ihre Berater nicht bedacht. Deshalb ist das Foto mit Scheich, aber ohne Amtskreuze Zeugnis für einen erschreckenden Mangel an Kultursensibilität und Realitätsnähe.

Der Autor, der evangelische Theologe und Journalist Johannes Gerloff, arbeitet seit über 20 Jahren in Jerusalem.

Archivfoto: Kardinal Marx mit Brustkreuz im Jahr 2012



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