Persönliches und Politisches

25. November 2016 in Kommentar


BeneDicta am Freitag: Tatsache ist auch, dass die Kirche eben doch eine explizite Reihung und Gewichtung der Kriterien empfiehlt. Ein Kommentar von Gudrun Trausmuth über Wahlen, Politik und Kriterien aus katholischer Sicht


Wien (kath.net)
Wir leben alle in verschiedenen Welten. Die Erfahrung dieses Satzes begleitet mich seit Jahren. Und er bedeutet nicht nur, dass mein Gegenüber die Welt völlig anders wahrnehmen, empfinden und gewichten kann als ich, sondern vor allem auch, dass innerhalb eines Menschen sich Welten, teilweise scharf voneinander getrennt, auftun: Die spirituell aufgeschlossene und sensible Frau kann eine gnadenlos harte Lehrerin sein. Ein Autor, dessen Bücher vor Esprit und Humor sprühen, erweist sich als tiefernster, monotoner Vortragender. Ein Geistlicher hält je nach Kontext und Publikumszusammensetzung eine orthodoxe oder liberale Predigt. - Wer sind wir, sind wir „einer“ oder „viele“, je nach Situation so oder so entscheidend, „situationsgeschmeidig“ eben? Besonders schwierig wird es, wenn eigene Betroffenheit um die Möglichkeit einer „Lösung“ weiß, die weithin propagiert wird, aber unter dem Gesichtspunkt der Integrität der menschlichen Person problematisch ist. Beispiel: Ein gläubiges junges Ehepaar hat einen unerfüllten Kinderwunsch. Recht schnell werden ihm von medizinischer Seite die verschiedenen Optionen von Fertilitätsbehandlungen vorgeschlagen werden, bis hin zur künstlichen Befruchtung. Eine klare Ablehnung oder zumindest ein Hinterfragen und die Suche nach anderen Optionen, setzt in dieser Konfliktsituation und unter dem Leidensdruck, den Kinderlosigkeit auslösen kann, schon viel persönliches Engagement und eine große Unabhängigkeit voraus, denn viele Wege in unserer Gesellschaft sind sehr einseitig gespurt und ausgetreten.

Ganz ähnliche Brüche lassen sich zunehmend im Hinblick auf politische Entscheidungen feststellen, man beachte nur die Reaktionen auf die Wahl in Amerika: 52% der weißen Christen haben Trump gewählt, und wie reagieren hierzulande die meisten Leute – Christen eingeschlossen- auf Trumps Wahl? Mit medial verordnetem Entsetzen, politisch korrekter Betroffenheit und Bedauern über den Wahlausgang. So dass man glauben möchte, auch viele Christen hätten lieber die Kandidatin der Demokraten als amerikanische Präsidentin gesehen: Hilary Clinton, dezitierte LGBT-Lobbyistin und Befürworterin einer noch liberaleren Haltung zur Abtreibung als Obama. Natürlich, Trump ist eine schillernde Gestalt und man wird sehen müssen, ob die Hoffnungen, die vor allem sein Mitarbeiterstab aufkommen lässt, sich erfüllen werden, ABER: rechtfertigt dies die europäische Arroganz und zur Schau getragene Fassungslosigkeit gegenüber dem Votum der US-Bürger? Müssen wir nicht vielmehr skeptisch demgegenüber sein, dass amerikanische Präsidenten, sofern sie Republikaner sind, via Medien systematisch als (nicht nur leicht) dämlich rüberkommen (vgl. Reagan und Bush), während den Demokraten sichtliches Wohlwollen entgegengebracht wird? Gerade uns Christen steht ein genaues Hinschauen gut an, eine hellsichtige Skepsis gegenüber dem Trommelfeuer sorgfältig selektierter politischer Korrektheit, das uns via Medien zubombt. Auf die Gefahr hin zu provozieren: Muss die Wahl in Amerika nicht vielmehr als Hoffnungszeichen gelten? – Nicht etwa, weil der Gewinner so uneingeschränkt toll wäre, sondern als Symptom einer letzten Freiheit der Bürger, eines souveränen inneren Raumes, den (immer noch) keine Mainstreamverordnung zerstören konnte.

Um noch einmal an den Anfang zurückzukommen: Die Brüche, in denen wir alle stehen, mögen damit zusammenhängen, dass es uns immer schwerer fällt Prinzipien zu vertreten (und zu leben), Wesentliches und Grundsätzliches, an dem nicht zu rütteln ist. Diese Entwicklung wird gerade in Bezug auf den Lebensschutz besonders deutlich. Selbst bei Gesprächen in politisch konservativen Kreisen, ist das reflexartige Reklamieren von Ausnahmen und das Aufzeigen tragischer Extremfälle fast ein Automatismus. Ein absolutes Lebensrecht einfach so stehenzulassen, als das Normale, das Selbstverständliche, das Absolute eben, ist beinahe nicht mehr möglich.

Ins Politische gewendet: wenn jemand auf die Positionen der Wahlwerbenden zum Lebensschutz verweist, wird das – gerade und auch unter Christen – häufig sofort relativiert, dies sei nicht das einzige Kriterium und müsse mit anderen Positionen zusammengeschaut werden….
Natürlich muss man auch die anderen Positionen mit bedenken, aber Tatsache ist auch, dass die Kirche eben doch eine explizite Reihung und Gewichtung der Kriterien empfiehlt: In der vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger ausgearbeiteten „Lehrmäßigen Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischenLeben“ ist ausdrücklich die Positionierung der Kandidaten in Fragen des Lebensschutzes genannt: „Geht es um diese grundlegenden, unaufgebbaren ethischen Forderungen, müssen die Gläubigen wissen, dass der Kern der moralischen Ordnung auf dem Spiel steht, der das Gesamtwohl der Person betrifft. Dies ist der Fall bei den zivilen Gesetzen im Bereich der Abtreibung und der Euthanasie (nicht zu verwechseln mit dem Verzicht auf therapeutischen Übereifer, der - auch moralisch - erlaubt ist), die das vorrangige Recht des Menschen auf Leben von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende schützen müssen. In gleicher Weise ist an die Pflicht zu erinnern, die Rechte des menschlichen Embryos zu achten und zu verteidigen“. Erst nach diesem Kriterium in Bezug auf den Schutz des Lebens vom Beginn bis zum natürlichen Ende kommt alles andere, wie der Schutz der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau, das Bemühen um Frieden, soziale Gerechtigkeit etc.

Wie kann man – im Denken und Tun– so etwas wie eine Einheit der Person wahren und entwickeln? Eine Authentizität, die nicht brüchig ist? Ein Standing und ein Sprechen, das dem Kontext oder der eigenen Betroffenheit nicht erliegt? Eine Stringenz im Persönlichen und im Politischen?
- Beständige Aufmerksamkeit und zunächst einmal das Bewusstsein, dass wir in unserer Urteilsfähigkeit gebrochen, manipulierbar und ausgesetzt sind, sind wohl ein Anfang. Ein weiterer Schritt könnte die konsequente und willentliche Rückkoppelung und Anlegung von Problembereichen an Grundwerte sein, mit dem gleichzeitigen Wagnis, Unantastbares wieder zu benennen und auszusprechen. Diese Rückbindung ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern ein gedanklicher Prozess, der gezielt und nachdrücklich geübt werden will, ehe sich eine echte Haltung bilden, ein Habitus einwurzeln kann. Dazu kommt eine weitere große Herausforderung: in der Gewissheit das Richtige zu vertreten, nicht hart, abweisend und unsympathisch aufzutreten, sondern als Bote und Zeuge der Freude.

Jeden Freitag kommentieren auf kath.net in der Reihe BeneDicta Gudrun Trausmuth, Inka Hammond, Isabella von Kageneck, Petra Knapp und Linda Noé wichtige Themen über Gott, die Welt und alles, was die Herzen noch so bewegt.


© 2016 www.kath.net