Advent in Kriegszeiten

16. Dezember 2016 in Kommentar


Der Krieg in Syrien „mag uns eine Lehre sein, nicht auf Sand zu bauen, weder auf materialistischen, noch auf ideellen.“ kath.net-Kommentar von Anna Diouf


Berlin (kath.net/ad) Bilder, Tweets und Nachrichten, die wir aus Aleppo erhalten, sind entsetzlich. Sie lassen uns rat- und hilflos zurück: Was können wir angesichts solcher Grausamkeit tun? In die Anteilnahme und das Mitleid mischt sich aber auch Misstrauen: Wissen wir denn, dass die Berichte stimmen? Im Falle Syriens ist eine "gesicherte Nachricht" kaum zu erhalten, und das nicht erst seit der Offensive der syrischen Armee. Von Anfang an waren wir, die wir nicht im Kriegsgebiet leben, dennoch involviert: In einen Propaganda- und Informationskrieg. Da, wo keine Waffengewalt Fakten schafft, erschaffen Nachrichten und Berichte eine Realität. Wer steckt hinter dem ... für Menschenrechte? Wie unabhängig können sich Kirchenvertreter der syrisch-orthodoxen Kirche äußern? Welche Rebellen haben welche Agenda?

Wir müssen uns in diesem Konflikt eingestehen, dass es nicht nur womöglich unterschiedliche "Wahrheiten" gibt, dass sich die Realitäten eines linksgerichteten Revolutionärs, eines islamistischen Kämpfers und einer syrischen Christin so sehr unterscheiden, dass man sie kaum sinnvoll miteinander verknüpfen kann, wir müssen uns auch eingestehen, dass wir schlicht und einfach nicht wissen, was geschieht.

Das ist schmerzhaft. Leben wir nicht in einer Informationsgesellschaft? Es ist paradox und irgendwie auch tragisch, dass wir, die wir stets mit Information überschüttet werden, doch keine fundierten Kenntnisse aus diesem Datenwust ziehen können. Ebenso paradox ist es, dass gerade in einer Situation, in der die Komplexität überbordend ist, Menschen beginnen, zu vereinfachen, zu pauschalisieren und sich eine einfache Welt zu konstruieren, in der jeweils der Westen oder Russland, Assad, Putin oder die CIA die ultimativen Schuldigen sind.

In dieser Situation kann man verzweifeln – aber angesichts der Tatsache, dass wir nicht in Aleppo eingeschlossen sind, nicht in IS-Gebiet um unsere Leben bangen müssen, ist das wohl wenig legitim.

Stattdessen sollten wir uns auf das Wesentliche besinnen: Wir wissen vielleicht nicht, wer wofür verantwortlich ist, aber ist das eigentlich wichtig? Wir wissen doch, dass Menschen leiden: Die, die erschossen, gefoltert werden, ebenso aber leiden die Täter, die sich mit ihrem Handeln von Gott abwenden und Schuld auf sich laden, die ihre Seelen dem Tod ausliefert. Als Christen sehen wir diese Seelen vor uns, und können sie im Gebet vor Gott und seine Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria, stellen.

Wir wissen, dass es nicht darauf ankommt, welche komplexen und verwirrenden Verbindungen, welche Gier, welche Rachsucht zum Monstrum des Bürgerkriegs geführt hat: Das Böse mag in vielen Gestalten auftreten, aber wir kennen den Urheber, und wir stellen uns ihm entgegen.

Dieser Krieg mag uns eine Lehre sein, nicht auf Sand zu bauen, weder auf materialistischen, noch auf ideellen: Wenn uns der syrische Bürgerkrieg etwas zeigt, dann, dass der Fortschrittsglaube, der eigentlich schon durch Ersten und Zweiten Weltkrieg ad acta hätte gelegt werden müssen, nicht trägt, dass er auf tönernen Füßen steht: Wir sehen uns gerade vielmehr "zurückgeworfen" in eine Welt, die man überwunden glaubte. Alte Feindbilder sind wieder auferstanden, man reibt sich die Augen und fragt sich, wie "der Russe" über Nacht wieder zum böse lauernden Phantom werden konnte, wie unser zivilisierter, freier, grenzenloser und mit allen kooperierender Westen unversehens Denkmuster wieder aufnimmt, die anachronistisch wirken; mindestens ebenso konsterniert ist man darüber, dass die Einteilung der Welt in klar definierte Frontlinien bei unseren östlichen Nachbarn nie aufgegeben worden ist, während man sich selbst in einer blockfreien Welt wähnte. Wir müssen erkennen, dass sich die Menschheit nicht auf eine höhere Ebene der Humanität vorgearbeitet hat. Es gibt, schon wieder, Massengräber, Massenmord. Es war nie anders, und "Nie wieder" ist nichts als eine gut gemeinte Illusion, mehr fatalistischer Wunsch denn kämpferische Forderung. Wir müssen erkennen, dass unser Glaube an eine zivilisierte Welt zertrümmert ist.

Wie gut, dass wir einen anderen Glauben haben, der uns vor Zynismus und Verzweiflung schützt: Wir wissen, dass es den echten Fortschritt gibt – Es ist der Weg des einzelnen Menschen hin zu Gott. Je mehr wir uns ihm nähern, immer mehr entsprechend unserer Gottesebenbildlichkeit leben, desto mehr wahren, relevanten, bleibenden Fortschritt machen wir. Der Weg zur Krippe ist der Fortschritt, der die Welt rettet.

Darum müssen wir Hoffnung haben, und uns von irrelevanten, nicht nachprüfbaren und manipulierbaren Nachrichten emanzipieren. Wir wissen um das, was zählt, ohne "informiert" zu sein.

Schalten Sie in den nächsten Tagen den Fernseher aus, lassen Sie die Zeitung zugeschlagen, schalten Sie den PC ab: Nehmen Sie den Rosenkranz in die Hand und beten Sie für die Menschen in Syrien – um Durchhaltevermögen, Rettung, Hoffnung, aber auch um Bekehrung, Mitleid und Erbarmen.

Foto Anna Diouf



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