2017: Vier Jubiläen an zwei Fronten

29. Dezember 2016 in Chronik


Im kommenden Jahr stehen vier große Jubiläen an: Fatima und die Reformation, die Gründung der Freimaurerei und die der „Militia Immaculatae“. Eine historische Annäherung - Von Michael Hesemann.


Berlin (kath.net)
Ist es ein Zufall? Oder verbirgt sich in seltsamen Zufällen die Handschrift der göttlichen Vorsehung? Und wenn ja: Was will sie uns damit sagen? Diese Frage stellen sich viele gläubige Katholiken, wenn sie an das denkwürdige Aufeinandertreffen von gleich vier großen Jubiläen im kommenden Jahr denken.
Da wäre zunächst einmal das Reformationsjubiläum, das unseren evangelischen Mitchristen so wichtig ist, dass sie es durch eine ganze „Lutherdekade“ einläuten lassen. Am 31. Oktober 1517, so die Legende, soll Martin Luther eigenhändig seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben. Dabei ist mehr als fraglich, ob es die „Hammerschläge, die durch ganz Europa hallten“ und zum „Symbol der Reformation schlechthin“ geworden sind, je gegeben hat.

Tatsächlich sind sie uns nämlich erst sehr spät überliefert worden, genauer gesagt: Posthum, wie der Kirchenhistoriker Erwin Iserloh sauber belegte. Kein einziger zeitgenössischer Bericht erwähnt den angeblich so spektakulären Thesenanschlag auch nur andeutungsweise. Auch Luther selbst, der in seinen Tischgesprächen jeden Aspekt seines Lebens ausgiebig schildert, kam kein einziges Mal auf ihn zu sprechen. Erst Melanchthon, sein gelehrter Mitstreiter, erwähnt ihn in einer nach Luthers Tod verfassten Biographie. Vielleicht inspirierte ihn dazu die in Wittenberg übliche akademische Praxis, die Kirchentüren allgemein als „Schwarzes Brett“ zu benutzen. Dann freilich wären die Pedelle für die Anbringung verantwortlich gewesen, nicht der damalige Universitätsprofessor Dr. Martin Luther.

Tatsächlich hatte Luther an besagtem 31. Oktober lediglich einen Brief an den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg, seinen Landesherrn, verfasst, der an Unterwürfigkeit kaum zu überbieten ist. Untertänigst bittet er diesen darum, seine Instructio an die Ablassprediger, insbesondere den übereifrigen Dominikaner Johannes Tetzel, zu revidieren, da sie irreführend sei. Dem Schreiben, dessen Original sich heute im Reichsmuseum zu Stockholm befindet, legte er seine noch handschriftlichen „disputationes“ (Thesen) bei. In einem Brief an Papst Leo X. vom Mai 1518 betonte Luther, er habe bislang nur „privatim“ „einige hohe Würdenträger der Kirche“ ermahnt.

Erst als er auf das Schreiben an Albrecht keine Antwort bekam, ließ er seine Thesen in gedruckter Form erscheinen, in der sie sich in rasender Geschwindigkeit verbreiteten; er hatte den Nerv der Zeit getroffen. Zwei Jahre später, im Sommer 1520, reagierte Luther auf die Bannandrohungsbulle des Papstes mit dem endgültigen Bruch mit Rom.

Doch nicht nur die Lutheraner feiern 2017 ein großes Jubiläum, sondern auch die Freimaurerei. Am 24. Juni 1717, dem Johannestag, trafen sich in London Vertreter von vier alten Freimaurerlogen im Hinterzimmer des Pubs „Goose and Gridiron Ale House“ zur Gründung der „Vereinigten Großloge von England“, die zugleich die erste Großloge der Welt war. Unklar sind die Ursprünge der Freimaurerei. Während sie selbst den Anspruch erhebt, aus der Bauhütte des Salomonischen Tempels hervorgegangen zu sein, ist eher eine Entstehung aus den Maurerzünften des Mittelalters wahrscheinlich. Zum ersten Mal finden wir den Begriff „Free Masons“ in Dokumenten der Kathedrale von Exeter aus dem Jahre 1396.

1537 nannte sich eine Maurergilde in London „Free Masons“, was von „Freestone Masons“ abgeleitet wird; sie waren, im Gegensatz zu den „Roughstone Masons“, für die feineren Arbeiten am Bau zuständig. Ähnliche Steinmetzbruderschaften gab es wohl seit dem 11. Jahrhundert auch auf dem europäischen Festland. Sie bildeten eine verschworene Gemeinschaft, die ihr technisches Wissen eifersüchtig vor Konkurrenten hütete. Doch erst in England wurden die Bauhütten offenbar zum Auffangbecken für Anhänger gnostischer Sekten, vielleicht Nachkommen der manichäischen Katharer, die vor der Verfolgung in Kontinentaleuropa auf die britischen Inseln geflüchtet waren.

1737 wurde die erste deutsche Loge gegründet, zuvor hatte sich die Freimaurerei bereits in Frankreich und, ab 1733, in Italien ausgebreitet, wo sie zum Sammelbecken für antiklerikale Kräfte innerhalb der Aufklärung wurde. Das veranlasste Papst Clemens XII. in seiner Bulle „In eminenti apostolatus specula“ 1738 die Freimaurerei mit dem Bannfluch zu belegen. Bis heute ist es Katholiken bei Strafe der Exkommunikation untersagt, einer Loge beizutreten. Obwohl nachweisbar ranghohe Freimaurer an der amerikanischen und französischen Revolution sowie der italienischen Unabhängigkeitsbewegung beteiligt waren, wird jede Darstellung ihrer Rolle in der Gestaltung der Geschichte schnell in den Bereich der Verschwörungstheorien verbannt.

Auch offene Kampfansagen gegen Papst und Kirche relativiert man gerne. Dass man sich aber auch in höchsten politischen und kirchlichen Kreisen Sorgen um den Einfluss der Logen machte, zeigt exemplarisch ein Dokument, das ich im vatikanischen Geheimarchiv in den Akten der Münchener Nuntiatur entdeckte. Dabei handelt es sich um einen handschriftlichen Brief des damaligen Kölner Erzbischofs Felix Kardinal von Hartmann an den apostolischen Nuntius in München, Erzbischof Eugenio Pacelli (den späteren Papst Pius XII.) vom 8. November 1918. Kardinal von Hartmann, der einer alten Beamtenfamilie entstammte, war ein persönlicher Freund des Wilhelms II.

Dieser aber, so schrieb Hartmann, sei jetzt „in großer Besorgnis“. Ein kaisertreues Mitglied der Berliner Großloge habe den Monarchen über die Pläne des freimaurerischen Groß-Orients informiert, „zunächst alle Souveräne“, auch den deutschen Kaiser, abzusetzen, „dann die katholische Kirche zu vernichten und schließlich eine Weltrepublik unter Führung des amerikanischen Großkapitals auf den Trümmern der bisherigen bürgerlichen Gesellschaft aufzurichten… Der Bolschewismus solle das äußere Werkzeug sein, die gewünschten Zustände herzustellen.“ Vielleicht trug auch diese frühe Warnung dazu bei, dass Pius XII. als Papst in den Nachkriegsjahren die Ausbreitung des Kommunismus in Europa mit größter Sorge verfolgte, nachdem der noch gefährlichere Nationalsozialismus besiegt worden war.

Was uns wiederum zum dritten großen Jubiläum des Jahres 2017 führt, der Hundertjahrfeier der Erscheinungen von Fatima. Ausgerechnet im Schicksalsjahr des 20. Jahrhunderts erschien die Gottesmutter im Norden Portugals an fast jedem 13. in den Monaten Mai bis Oktober drei einfachen Hirtenkindern. Lediglich im August war die Erscheinung auf den 19. „verlegt“ worden, nachdem ein freimaurerischer Bezirksbürgermeister die Kinder am 13. August kurzerhand entführt und eingesperrt hatte.

Es war das Jahr der bolschewistischen Oktoberrevolution und der Neuordnung des Nahen Ostens: am 2. November 1917 hatte Großbritannien mit der Balfour-Deklaration die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina beschlossen, am 9. Dezember 1917 fiel Jerusalem an die Briten. Ausgerechnet in diesem Jahr offenbarte Maria den Kindern Lucia, Jacinta und Francisco ihren Plan für das 20. Jahrhundert, ihr Gegenmittel gegen die Kriege und Katastrophen, die wir Menschen selbst durch unsere Sünden und unsere Gottlosigkeit verursacht hätten. Bald, so Maria am 13. Juli 1917 in Fatima, würde der Erste Weltkrieg enden.

Aber wenn die Menschheit weiterhin Gott beleidige, würde darauf ein noch fürchterlicher Krieg folgen. Ihn würde Russland nutzen, um „seine Irrlehren über die Welt (zu) verbreiten (und) Kriege und Kirchenverfolgungen heraufzubeschwören.“ Der Heilige Vater müsse viel leiden – in der Vision des Dritten Geheimnisses sahen die Kinder sogar ein Attentat auf den Papst – und „verschiedene Nationen werden vernichtet werden“. Erst wenn der Papst ihrem Unbefleckten Herzen Russland weihe, würde sich das Land bekehren und der Welt eine Zeit des Friedens geschenkt werden.

Es kam alles so, wie es vorausgesagt worden war. Erst nach dem Attentat vom 13. Mai 1981 glaubte der hl. Johannes Paul II., dass er der Papst der Fatima-Offenbarungen war. Am 25. März 1984 vollzog er die von der Gottesmutter erbetene Weihe nicht nur Russlands, sondern der ganzen Welt. Lucia, die als Einzige noch lebte – sie verstarb erst 2005, nur wenige Wochen vor dem „Fatima-Papst“ – bestätigte, dass er damit den Wünschen Mariens nachgekommen war. Und das verheißene Wunder wurde wahr. Binnen Jahresfrist endete der Kalte Krieg, der die Welt noch 1983 fast an die Schwelle eines Dritten Weltkriegs geführt hatte, wurde Michail Gorbatschow der neue „starke Mann“ der Sowjetunion und schrieb „Glasnost“ und „Perestroika“ auf seine Fahnen.

Nur fünf Jahre später fielen die Mauern, die bis dahin Europa geteilt hatten, nach sieben Jahren gehörte die Sowjetunion der Geschichte an. Im neuen Russland vollzog sich die beeindruckende Bekehrung eines zuvor atheistischen Staates. Heute bekennen sich über 80 % der Russen zum orthodoxen Glauben, erlebt die russische Kirche eine Wiedergeburt, die Papst Franziskus im Februar 2016 in der gemeinsamen Erklärung mit dem russischen Patriarchen Kyrill als „noch nie dagewesene Erneuerung des christlichen Glaubens“ würdigte: „In einem Vierteljahrhundert sind Zehntausende von neuen Kirchen gebaut sowie Hunderte von Klöstern und theologischen Schulen eröffnet worden.“

Doch schon Papst Benedikt XVI. hatte am 13. Mai 2010 bei seinem Besuch in Fatima erklärt: „Wer glaubt, dass die prophetische Mission Fatimas beendet sei, der irrt sich.“ Nicht umsonst hat Papst Franziskus, der ausgerechnet an einem Fatima-Tag, dem 13. März 2013, gewählt worden war, sein ganzes Pontifikat unter den Schutz der Gottesmutter von Fatima gestellt. Schon vor einem Jahr kündigte er an, zur Hundertjahrfeier der Erscheinungen nach Portugal kommen zu wollen. Kein anderes Ereignis des 20. Jahrhunderts belegt so eindrucksvoll, dass Gott auch heute noch in die Geschichte eingreift. Aber auch, dass es der Mensch selbst ist, der durch sein Gebet die Geschichte beeinflussen kann. Damit widerlegt die Botschaft von Fatima auch die Lehre Martin Luthers, der die Existenz eines freien Willens bestritt, stattdessen an die Prädestination glaubte. Es reichen eben nicht Glaube, Schrift und Gnade allein; der Mensch kann und muss sich die Gnade Gottes durch Werke und Gebete verdienen.

Das begriff keiner besser als der heilige Maximilian Kolbe (1894-1941), dessen Militia Immaculatae (heute auch: Marianische Initiative) im nächsten Jahr ihren hundertsten Geburtstag feiert. Kolbe, Sohn eines deutschstämmigen Webers und einer polnischen Mutter, war 1910 nach einer Marienerscheinung in den Franziskanerorden eingetreten. Als er 1917 in Rom Theologie studierte, wurde er Zeuge der 200-Jahrfeier der Freimaurer, die in einer satanistischen Prozession zum Petersplatz gipfelte. Die Logenbrüder trugen ein Banner mit der Aufschrift „Satan muss im Vatikan regieren und der Papst sein Sklave sein“, das den Erzengel Michael in den Klauen des Dämons zeigte.

Dazu sangen sie die Satanshymne des italienischen Dichters, Freimaurers und Literatur-Nobelpreisträgers Giosué Carducci, in der auch der Reformator aus Wittenberg gewürdigt wurde: „Wie Martin Luther seine Mönchsrobe abwarf, so wirf auch Du, Geist des Menschen, Deine Ketten ab.“ Erschüttert von dem blasphemischen Spektakel beschloss Kolbe, zusammen mit sechs Mitbrüdern, gegen den „Kampfbund Satans“, die Freimaurerei, eine marianische Ritterschaft ins Leben zu rufen. So hob er am 16. Oktober 1917, nur drei Tage nach der letzten Erscheinung und dem spektakulären Sonnenwunder von Fatima und neun Tage vor dem Ausbruch der Oktoberrevolution in St. Petersburg, die „Ritterschaft der Immaculata“ aus der Taufe.

Ihr Ziel war, durch das tägliche Gebet, das Tragen und die Verbreitung der „Wundertätigen Medaille“ und die Hingabe an die Gottesmutter die Bekehrung aller Häretiker und Schismatiker, vor allem der Freimaurer, zu erflehen. 1918 segnete Papst Benedikt XV. diese Initiative, die 1927 den kirchenrechtlichen Status einer „Erzbruderschaft“ erhielt. Zurück in Polen gründete Maximilian Kolbe in Niepokalanów ein katholisches Pressehaus, das auf einer Missionsreise nach Japan 1930 seinen ersten überseeischen Ableger bekam.

Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen 1939 gewährte der Pater 2300 Juden und zahlreichen polnischen und ukrainischen Katholiken in seinem Missionszentrum Zuflucht. Als die Nazis das 1941 entdeckten, wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Dort sprang er ein, um einen unschuldigen Familienvater vor seiner Hinrichtung zu bewahren und starb nach vierzehntägiger Qual im berüchtigten „Hungerbunker“ des Lagers durch eine Giftspritze. Der Ritter der Gottesmutter wurde zum Märtyrer und gilt heute als einer der größten Heiligen des 20. Jahrhunderts. Seine Bewegung versöhnte nach dem Krieg die Völker.

Wird es ihr in unserer Zeit gelingen, im Dienst Mariens die Macht des Bösen zu besiegen? Sicher ist nur: Auf beiden Seiten werden 2017 Jubiläen gefeiert. Der Kampf um die Seelen ist noch immer nicht entschieden. Das sollte uns Christen eine Mahnung sein, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen – und auf sie mit einem klaren Bekenntnis zur Gottesmutter zu antworten, die schon 1917 den Weg zum Frieden Christi gewiesen hat.

Dr. h.c. Michael Hesemann ist Historiker und Autor mit dem Schwerpunkt Kirchengeschichte. Für seine Entdeckung und Auswertung von 3000 Seiten bislang unbekannter Dokumente zum Völkermord an den Armeniern im vatikanischen Geheimarchiv zeichnete ihn die Nationale Akademie der Wissenschaften der Republik Armenien im Oktober 2016 mit der Ehrendoktorwürde aus. Kurz vor Weihnachten erschien sein 42. Buch: „Das letzte Geheimnis von Fatima“ (Rottenburg 2016).


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