Powerfrau ohne Quote: Maria Sibylla Merian zum 300. Todestag

13. Jänner 2017 in Interview


Evolutionsbiologe Prof. Ulrich Kutschera stellt die außergewöhnliche Künstlerin und Biologin im KATH.NET-Interview vor


Kassel (kath.net/pl) Die 1647 in Frankfurt/Main geborene Künstlerin und Insektenforscherin Maria Sibylla Merian starb am 13. Januar 1717 in Amsterdam (Niederlande). Im KATH.NET-Interview vergleicht der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Ulrich Kutschera Frau Merian mit Mozart und Darwin. Wie konnte diese geniale Dame im 17. Jahrhundert entgegen der damaligen „Männerdominanz“ europaweit bekannt werden?

kath.net: Herr Prof. Kutschera, heute ist Freitag, der 13. Januar 2017: Für Sie ein besonderer Tag?

Prof. Kutschera: Das ist in der Tat der Fall. Heute vor 300 Jahren ist die deutsch-niederländische Künstlerin und Biologin Maria Sibylla Merian im Alter von 70 Jahren, nach einer längeren Krankheitsphase im Rollstuhl, als verarmte Almosenfrau verstorben. Frau Merian wurde, wie der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), in einem anonymen Armengrab beigesetzt – wir wissen nicht wo sie beerdigt worden ist.

kath.net: Dieser Tod in tiefer Armut steht aber im Widerspruch zur Tatsache, dass Frau Merian als Künstlerin hoch anerkannt war und sogar ab 1992 auf einer 500 DM-Banknote portraitiert worden ist.

Kutschera: Dieses traurige Schicksal teilt Frau Merian mit anderen hochbegabten, kreativen Denkern, Forschern und Künstlern, wie auch Komponisten. Das Leben ist ungerecht, und jene Menschen, die außergewöhnliche Befähigungen und Leistungen vorweisen konnten, wurden meist mit besonders viel Neid und Missgunst bestraft. Bezüglich Frau Merian möchte ich nochmal auf Mozart zurückkommen. Dieser wahrscheinlich genialste Mann in der Geschichte der Menschheit konnte bis zum Ende seines kurzen Lebens keine bezahlte Dauerposition als Musiker erlangen. Mittelmäßige Konkurrenten haben die Wiener Kapellmeister-Stellen übernommen und der Genius Mozart wurde über Intrigen in die Arbeitslosigkeit verdrängt. Ähnlich wie Frau Merian musste sich auch Mozart als freiberuflicher Künstler und Privatlehrer durchs Leben schlagen. Er starb mit 35, Frau Merian hat das 70. Lebensjahr erreicht.

kath.net: Der Merian-Mozart-Vergleich führt mich zur zentralen Frage: Mit welcher Begründung sprechen Sie der Hessin Merian Genialität zu?

Kutschera: Nur Menschen, die überdurchschnittlich kreativ sind und somit Neues schaffen bzw. als Forscher verborgene Zusammenhänge entschlüsseln, und diese Erkenntnisse veröffentlichen, sollten das Markenzeichen „genial“ verliehen bekommen. Frau Merian entstammt einer Frankfurter Künstlerfamilie und kam gewissermaßen erblich belastet zur Welt. Sie war als Blumen- und Tiermalerin ab dem 13. Lebensjahr kreativ tätig und hat auch als Biologin Grundlagen geschaffen, auf welchen diese zentrale Leitwissenschaft weiterentwickelt werden konnte.

kath.net: Die Künstlerin Merian ist allgemein bekannt, aber man liest üblicherweise immer nur von ihren privaten Naturforschungen. Warum wurde sie bisher nicht als kreative Biologin anerkannt?

Kutschera: Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir den Kenntnisstand um 1675 rekapitulieren. Damals glaubten auch führende Biologen und Mediziner an die von Aristoteles ca. 300 v. Chr. formulierte These einer „Urzeugung der Lebewesen“ – Insekten und anderes sogenanntes „Ungeziefer“ sollten aus Schlamm und verrottendem Pflanzenmaterial entstehen. Frau Merian hat diese Urzeugungs-Hypothese durch Beobachtungen widerlegt.

kath.net: Als Laien könnte manche durchaus akzeptieren, dass Krankheitserreger aus verwesendem Material hervortreten, das ist plausibel und viele Bürger werden dem auch zustimmen. Woher wissen Biologen, dass heute kein neues Leben mehr entstehen kann, sondern alle Organismen von Eltern abstammen?

Kutschera: Nach einem mir zugetragenen Bericht aus den 1980er Jahren wollte damals ein Soziologe seine Uni-Kollegen aus der Biologie diesbezüglich überzeugen. Der angesprochene Physiologe hatte große Probleme damit, diesem naturwissenschaftlichen Laien aus dem geistes- bzw. sozialwissenschaftlichen Bereich klarzumachen, dass Lebewesen immer von Eltern abstammen, was auch für Mikroben gilt – soviel zur Situation im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Die Insektenforscherin Maria Sibylla Merian hatte bereits in ihrem ersten wissenschaftlichen Raupen-Buch aus dem Jahr 1679 den gesamten Lebenszyklus, von der Paarung männlicher und weiblicher Falter, bis zur Eiablage und der weiteren Entwicklung beschrieben und gezeichnet. Daraus zog sie die weitreichende Schlussfolgerung, dass Insekten immer über zweigeschlechtliche (sexuelle) Fortpflanzung entstehen – der berühmte Satz „alles Leben aus früherem Leben“ geht somit auf diese geniale Biologin zurück.

kath.net: Nach Ihrer Einschätzung hat die Künstlerin Merian daher ein wichtiges Naturgesetz entdeckt. Dennoch taucht ihr Name in Biologiebüchern nur selten auf. Woran liegt das?

Kutschera: Wir müssen zunächst festhalten, dass Frau Merian als hochbegabte Künstlerin detailgetreu hunderte von Pflanzen und Tieren (Schmetterlinge, Motten, Spinnen, Käfer, Amphibien und Schlangen), basierend auf von ihr eingefangenen Individuen, gezeichnet hat. Damit ist sie als „Urmutter“ der wissenschaftlichen Illustration in die Kunstgeschichte eingegangen.

Vergessen wird aber immer wieder, dass sie ab dem 13. Lebensjahr als erste Naturforscherin systematisch Pflanzen und Insekten in Gläsern kultiviert und die Entwicklungsgeschichte der Tiere sowie deren Interaktion mit den Gewächsen beschrieben und gezeichnet hat. Bisher haben sich offensichtlich kaum Biologen mit den Originaltexten von Frau Merian beschäftigt – das habe ich nachgeholt.

kath.net: Hat die Nicht-Anerkennung der Leistungen von Frau Merian als Biologin auch damit zu tun, dass sie eine Frau war?

Kutschera: In dieser Weise würden Vertreter der Gender-Ideologie (http://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-das-gender-paradoxon/1414502) argumentieren. Bevor wir darauf näher eingehen, noch ein wichtiger Punkt. Frau Merian hat nie eine Universität besucht und wurde daher gewissermaßen als „Hobby-Forscherin“ abqualifiziert. Ihre ersten beiden Fachbücher mit dem Titel „Der Raupen Wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumen-nahrung“, erschienen 1679 und 1683, wurden auf Deutsch publiziert, aber das Lateinische war damals die Sprache der Wissenschaft. Erst ihr Hauptwerk zur Metamorphose tropischer Insekten aus Surinam (1705) hat sie von einem Übersetzer auf Lateinisch veröffentlicht. Das hat aber aus verschiedenen Gründen nicht zu einer Anerkennung als professionelle Naturforscherin geführt, obwohl z. B. Linnaeus (http://www.huffingtonpost.de/ulrich-kutschera/freiburg-im-genderwahn-biologen_b_12767018.html), Goethe u. a. Geistesgrößen ihre Werke bewundert haben.

kath.net: Ich muss nochmal auf die Gender-Frage zu sprechen kommen. In der damaligen Zeit hatten Frauen bekanntlich keine Rechte und Männer dominierten alle Berufszweige. Wäre Merian ein Mann gewesen, hätte man sie dann bereits zu Lebzeiten als Biowissenschaftlerin akzeptiert?

Kutschera: Das hatte ich vor meinem Studium der Originalwerke von Frau Merian auch so gesehen. Zu meiner Überraschung musste ich dann aber feststellen, dass die damals 32 Jahre alte Frau Merian ein hochkarätiges wissenschaftliches Buch mit Unterstützung ihres Ehemannes veröffentlichen konnte. In einem „Lobgedicht“, verfasst von einem männlichen Autor, werden die großartigen Leistungen von Frau Merian ausführlich gewürdigt. Aus diesen Sätzen kann abgeleitet werden, dass die gebildeten Männer im 17. Jahrhundert die Leistungen einer hochbegabten Künstlerin und Forscherin ohne Vorbehalte anerkannt haben. Zu bedenken ist weiterhin, dass Frau Merian von der Stadt Amsterdam ein Stipendium zu einer Tropen-Reise verliehen worden ist, obwohl sie eine Frau war. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass man in der damaligen „Welt der Männer“ Frau Merian nicht in vollem Umfange akzeptiert hat, sie wurde z. B. nicht in gelehrte Akademien aufgenommen.

kath.net: Die gefährliche Südamerika-Forschungsreise von Frau Merian wird in vielen Biographien beschrieben. Warum hat sich diese Künstlerin und Naturforscherin im fortgeschrittenen Alter dieser Gefahr unterzogen?

Kutschera: Wie eingangs erwähnt war Frau Merian wie andere große Biologen – Charles Darwin, Alfred Russel Wallace und August Weismann seien stellvertretend genannt – von Jugend an begeisterte Naturkundlerin. Nach einer unglücklichen, gescheiterten Ehe, aus der zwei Töchter hervorgegangen sind, übersiedelte Frau Merian als „Alleinerziehende“ mit ihren Kindern in die Niederlande. In Amsterdam kam sie dann mit präparierten Insekten, die von Tropenreisenden nach Europa gebracht worden waren, in Kontakt. Es erwuchs in ihr das starke Verlangen, selbst in diese entfernten Regionen der Erde zu reisen, um Tiere und Pflanzen vor Ort zu zeichnen und wissenschaftlich zu untersuchen. In Begleitung ihrer jüngeren Tochter brach die 52-jährige geschiedene Frau in die niederländische Kolonie Surinam (Südamerika) auf, um aus reinem Erkenntnisdrang die tropische Lebewelt zu erkunden. Biologiegeschichtlich betrachtet war das eine einmalige Pionierleistung.

kath.net: Wie konnte das in der damaligen frauenfeindlichen Zeit funktionieren? Zwei Damen erkunden von Schlangen und anderen gefährlichen Tieren durchsetzte Urwaldgebiete?

Kutschera: Als Tier- und Pflanzenmalerin war Frau Merian damals europaweit bekannt und man schätzte ihre diesbezüglichen Leistungen unabhängig vom Geschlecht. Allerdings musste sie mit großer Mühe Vertreter der Stadt Amsterdam überzeugen, dass diese Reise wichtig ist. Ihr innerer, angeborener Forscherdrang forderte diese lebensgefährlichen Exkursionen geradezu heraus. Mit ihrer jüngeren Tochter, unterstützt von Indianern, verbrachten sie dann zwei Jahre in Südamerika, bis eine Malaria-Infektion die Rückkehr erzwungen hat. Die Leistungen von Frau Merian als Künstlerin und Tropenreisende wurden von den Männern akzeptiert und bewundert. Beim Lesen ihrer Originalwerke, auch der übersetzten Fassung des 1705 erschienenen Metamorphosen-Buchs, sind mir keine Passagen aufgefallen, in welchen die Autorin über Diskriminierungen geklagt hätte, obwohl es sicher subtile Aversionen gegen diese Erfolgsfrau gegeben hat. Dies zeigt, dass zumindest die klugen Männer schon vor über 300 Jahren begabte Frauen respektiert haben.

kath.net: War Frau Merian religiös? Wie wollen Sie in diesem Jahr ihre Leistungen bekannt machen?

Kutschera: Bedingt durch ihre Erziehung glaubte Frau Merian an die „Schöpfungsakte des biblischen Gottes“, ohne aber dieses christliche Dogma mit wissenschaftlichen Fakten vermengt zu haben. In meinem Fachbuch „Das Gender-Paradoxon“ (2016) (http://www.kath.net/news/57835) bin ich auf M. S. Merian als „Powerfrau ohne Quote“ lobend eingegangen. Im „Merian-Jahr 2017“ haben die Vorsitzenden des Arbeitskreises (AK) Evolutionsbiologie (http://www.evolutionsbiologen.de/) die Aufgabe übernommen, über Fachpublikationen, TV-Präsentationen usw. Frau Maria Sibylla Merian endlich ihren verdienten Platz in der Biologiegeschichte zu verschaffen; diese großartige Frau sollte als „verkannte Urmutter“ der Entwicklungsbiologie und Ökologie gewürdigt werden.


kath.net-Buchtipp
Das Gender-Paradoxon
Mann und Frau als evolvierte Menschentypen
Von Ulrich Kutschera
Taschenbuch, 440 Seiten
2016 Lit Verlag
ISBN 978-3-643-13297-0
Preis 25.60 EUR

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Maria Sibylla Merian und eine ihrer Zeichnungen tropischer Pflanzen und Tiere (reproduziert aus dem Metamorphosen-Buch aus dem Jahr 1705, nach Kutschera, U., Das Gender-Paradoxon, 2016



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