'Spiegel'-Titelblatt zeigt Trump als IS-Schlächter - UPDATE

8. Februar 2017 in Kommentar


WELT: „Cover entwertet den Journalismus“ – FAZ: „In seiner bösen Symbolik könnte das Bild eine Zuspitzung der französischen Satirezeitschrift ‚Charlie Hebdo‘ sein“. Presseschau von Petra Lorleberg -UPDATE: Beschwerden beim Deutschen Presserat


Hamburg (kath.net/pl) Heftige Reaktionen sowohl in der Presse wie auch in den sozialen Netzwerken erntete das aktuelle Titelblatt des „Spiegel“ (siehe Foto). „Trump als Henker: Spiegel-Cover schockiert die USA“, titelt beispielsweise die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“.

Die „Bild“ erläutert im Artikel „Drastisches Spiegel-Cover - Darf man Trump mit ISIS-Schlächter Jihadi John vergleichen?“ zum umstrittenen Titelblatt: Das Symbol, das der ‚Spiegel‘ für seine Trump-Kritik wähle, „erinnert an die Schlacht-Methode der Terrormiliz ISIS in ihren Propaganda-Videos aus dem Nahen Osten: Enthauptung mit dem Messer. Die Anspielung betrifft insbesondere den als ISIS-Schlächter bekannt gewordenen Jihadi John, dessen Enthauptungen nahezu charakteristisch für die Terrorgruppe wurden. Der ‚Spiegel‘ will mit dem neuen Aufmacherbild wohl kaum behaupten, dass Donald Trump Jihadi John ist und gerne Menschen köpft. Doch sie wählte wohl nicht zufällig eine Zeichnung, die eine strukturelle Analogie zwischen ISIS-Terror und Trump herstellt.“

„Welt“-Autor Clemens Wergin kommentiert in seinem Beitrag „Trump-Hysterie - Dieses ‚Spiegel‘-Cover entwertet den Journalismus“: „Das Kalkül dieses Covers ist klar: Es soll ein Schocker sein und dem ‚Spiegel‘ möglichst viel Aufmerksamkeit bringen.“ Diese „Rechnung ist aufgegangen, die ebenso plump war wie offensichtlich: Publicity um jeden Preis.“ Wergin erinnerte, dass die Amtszeit von Trump erst zwei Wochen währe, diese zwei Wochen seien durchaus „sehr ereignisreich“, „auch schockierend“ gewesen und könnten „durchaus Sorgen bereiten“. Doch sei „bisher noch nichts passiert“, was „diesen ekelhaften Vergleich“ mit mit den „Splatter-Gesellen von IS, die unschuldigen Gefangenen vor laufender Kamera den Kopf absäbeln und Gefangene in Käfigen bei lebendigem Leib verbrennen“ „irgendwie rechtfertigen könnte“. Denn „das Schlimmste, was Trump sich geleistet hat, ist ein Einreisestopp für Menschen aus sieben muslimischen Ländern. Das ist schlimm, aber ein IS-Schlächter ist Trump deshalb noch lange nicht. Und die amerikanische Demokratie und Freiheit hat er laut glaubwürdigen Berichten ebenfalls noch nicht erledigt.“

Das Spiegel-Cover, kritisierte Wergin weiter, beschädige „nicht etwa den neuen US-Präsidenten, es beschädigt den Journalismus. Weil es das Vorurteil vieler Bürger bestätigt, dass die ‚Mainstream-Medien‘ nicht unvoreingenommen berichten und dass viele Journalisten lieber ihr eigenes Weltbild promovieren, als neutral Zeugnis über das abzulegen, was ist.“ Und „wem angesichts der trumpschen Maßlosigkeit die eigenen Maßstäbe verrutschen“, der stehe „dem von Trump verkörperten Zeitgeist tatsächlich näher, als er glaubt“. Schon jetzt zeige sich, so Wergin, „wie der Glaubwürdigkeitsverlust der Presse in den USA die Rolle der Medien als vierte Gewalt im Staat unterminiert, die heute mehr denn je gebraucht wird, in Amerika genauso wie in Europa“.

Der Journalist Roland Tichy bekannte in seinem Magazin „Tichys Einblick“ im Beitrag „Warum flippen die Medien aus?“: „Nein, ich liebe Trump nicht. Aber er hat niemandem den Kopf abgeschnitten, und er betreibt auch keine derartige Politik der Unterdrückung oder Vernichtung. Eine Gleichsetzung mit ISIS, mit Hitler oder einem Gorilla (Handelsblatt) verbietet sich.“ Natürlich könne man beispielsweise gegen die Reisebeschränkungen sein, doch „wenn 95 Prozent der Muslime dieser Welt davon nicht betroffen sind, sondern nur 90 Tage lang Angehörige von Schurkenstaaten wie Somalia, Iran und Yemen – dann sollte man das in Erwägung ziehen“. Habe sich denn jemand „darüber aufgeregt, dass Israelis oder Besucher Israels nicht in 48 islamische Staaten einreisen dürfen“ oder „dass die US-Einwanderungsbehörden seit 9/11 längst strikt und oft grenzwertig entscheiden?“, fragte Tichy.

Außerdem, bemerkte Tichy, setze Trump nur um, was er im Wahlkampf versprochen habe, und vieles davon seien „‚linke‘ Projekte: gegen Globalisierung, gegen Wirtschafts-Liberalismus, für mehr einfache Arbeitsplätze. Mit den Daten-Kraken vom Silicon-Valley hat er es nicht so; außer mit der Datenschleuder Twitter. Er will sich sogar mit Putin vertragen… Vielleicht demonstrieren bald Greenpeace, Käßmann, Verdi und SPD für TTIP? Weil gegen Trump ist immer gut?“ Dass Clintons Demokraten und „Obamas verhätschelte Regenbogentruppen“ „sich nicht damit abfinden und dagegen demonstrieren geht in Ordnung, man nennt das Demokratie. Sie kriegen die TV-Bilder, Trump die Meinungsumfragen.“

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kommentiert der Redakteur Michael Hanfeld in „Der Präsident als Killer“: „In seiner bösen Symbolik könnte das Bild eine Zuspitzung der französischen Satirezeitschrift ‚Charlie Hebdo‘ sein, wobei diese zumindest besser zeichnen würde.“ Zu genau einer Sache lade allerdings „der ‚Spiegel‘ in Bild und Text nicht ein“: „zu einer nüchternen, differenzierten Betrachtung von Trumps Politik“. Doch „die Gleichung Trump = Terror“ sei „zu einfach. Wer sie aufmacht, verrät seinerseits ein zumindest erstaunliches Demokratie-Verständnis und hat sein Pulver als Trump-Kritiker früh und vollständig verschossen.“

Nicht einmal die dem linken Spektrum zugehörige „taz“ kann sich für das „Spiegel“-Cover erwärmen. „Donald Trump lässt zwar weiter Drohnen bomben, will die USA mit physischen Grenzen und Zöllen abschotten, verhängt ein schändliches Einreiseverbot. Aber das Köpfeabschneiden ist eine Domäne des IS“, schreibt taz-Redakteur Malte Göbel in seinem Kommentar „Die Titelbild-Eskalation“. Dann fragt er, wie der „Spiegel“ denn künftig reagieren wolle, „wenn Trump und Bannon die Lage in den USA weiter eskalieren?“

Und die „Westfälische Rundschau“ wies in ihrem Beitrag „Drastisches Spiegel‘-Cover schockt und spaltet das Netz“ darauf hin, dass im Netz „die kritischen Kommentare“ überwiegen.

Fazit
Angesichts dieses polarisierenden Covers ist an eine Mahnung von Reinhard Kardinal Marx zu erinnern. Der DBK-Vorsitzende und Erzbischof von München hatte erst wenige Tagen zuvor und in etwas anderem Zusammenhang die zunehmende Verrohung in den öffentlichen Debatten kritisiert. Diese Kritik ist auch auf das „Spiegel“-Cover anzuwenden. Kardinal Marx hatte die Christen dazu aufgerufen, aufzustehen, wenn eine Diskussion nur noch rücksichtslos statt offen und fair geführt werde. Behalten wir deshalb seine Mahnung im Ohr: „Wie schrecklich ist es, dass unsere Sprache so verroht ist. Wie wir sprechen, so handeln wir möglicherweise später“. Zu ergänzen bleibt nur, dass dies natürlich auch für optisch transportierte Inhalte gilt, sogar dann, wenn sich anerkannte Medien für eine solche Verrohung hergeben.

Konkret sollten Befürworter Trumps nicht maßlos in ihrem Lob, ebenso aber die Trump-Gegner nicht maßlos oder gar blindwütig in ihrer Kritik werden, sondern ihre Fähigkeit des Differenzierens bewahren. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Zu Recht erläutert deshalb die „Neue Züricher Zeitung“ im Beitrag „Irres ‚Spiegel‘-Cover – Trump als Schlächter der Freiheitsstatue“: Es gehe um die Frage, „ob der ‚Spiegel‘ gut beraten ist, mit plumpen Botschaften zur Vergiftung des politischen Denkens beizutragen“.

UPDATE 8,2,2017: Beim Deutschen Presserat gingen zahlreiche Beschwerden ein. Das „pro-medienmagazin“ berichtete wörtlich: „Wegen der Relevanz des Themas und der hohen Anzahl an Beschwerden sei die Vorprüfung des Gremiums bereits erfolgt, berichtet der Branchendienst Meedia. Am 23. März werde sich der Beschwerdeausschuss mit dem Fall beschäftigen.

Zur Dokumentation: Das umstrittene Titelblatt des „Spiegel“


Foto oben (c) kath.net/Petra Lorleberg


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