Der Teufel als Theologe oder eher umgekehrt?

7. März 2017 in Spirituelles


Nicht alles, was sich fromm anhört, ist auch fromm, auch die Heilige Schrift lässt sich missbrauchen. Zum Sonntagsevangelium (Versuchung Jesu). Von Prälat Wilhelm Imkamp


Maria Vesperbild (kath.net/Maria Vesperbild) KEIN POP-, Rock- oder Technokonzert, aber auch keine anspruchsvolle dramatische Inszenierung kommt heute ohne das „Spotlight" aus, einen „Linsenscheinwerfer oder einen Scheinwerfervorsatz zur Erzeugung eines engen Lichtbündels, bzw. eines Lichtflecks". Das „Spotlight" betont einen Punkt (spot) ganz besonders, hebt ihn heraus aus den Aufbauten der Inszenierung.

Der 1. Fastensonntag bietet gleich mit dem ersten Wort der Tagesliturgie ein Spotlight. Am Anfang steht ein Zitat aus dem Psalm 91 (90), nach dem auch dieser Sonntag benannt wird, „Invocabit": „Er wird mich anrufen und ich werde ihn erhören", Ps 91 (9o),15-16. Dieses Spotlight lenkt unseren Blick und leuchtet eine Stelle unter den Schrifttexten des Tages besonders aus. Erbsünde und Rechtfertigung, der Vergleich Christus und Adam bilden das gewaltige Bühnenbild, vor dem sich das Drama der Versuchung Jesu abspielt. Unser „Spotlight" beleuchtet einen Punkt dieses Dramas ganz besonders. Der Teufel zitiert nämlich genau aus diesem Psalm, der den Vers des Introitus liefert. Mit Psalm 91 (9o),11-12 versucht er Jesus zu einem Schauwunder zu animieren: „Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab, denn es steht geschrieben: Seine Engel bietet er auf für dich, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt" (Mt 4,6 = Ps 91 [9o],11-12). Dieser Psalm war in der jüdischen Frömmigkeit ganz besonders mit dem Tempel verbunden, er ist geradezu der „Tempelpsalm". Erschreckt müssen wir erkennen, dass „sich der Teufel als recht bibelkundig erweist" (Alfred Läpple). „Der Teufel als Theologe hat die Schrift bemüht", stellt der katholische Exeget Joachim Gnilka lapidar fest und sein evangelischer Kollege Eduard Schweizer liegt genau auf der gleichen Linie: „Schriftbelege kann auch der Teufel immer finden. Hier wird er geradezu religiös." In Wladimir Solowjews „Kurzer Erzählung vom Antichrist“ erhält der Antichrist den theologischen Ehrendoktor von der Universität Tübingen. Wenn Joseph Ratzinger in seinem Jesusbuch auf dieses Evangelium zu sprechen kommt, weist er ausdrücklich darauf hin, und er muss es wissen, schließlich war er ja lange genug Professor in Tübingen.

Das „Spotlight" taucht den Disput des teuflischen Theologen (oder theologischen Teufels) mit dem Gottmenschen in grelles Licht und zeigt uns in aller Deutlichkeit zuerst einmal: Nicht alles, was sich fromm anhört, ist auch fromm, auch die Heilige Schrift lässt sich missbrauchen, besonders wenn man einzelne Sätze aus dem Kontext oder die ganze Heilige Schrift aus dem Zusammenhang der heiligen Überlieferung reißt.

Schließlich gilt: Ein „Schauwunder", eine „Mirakel-Show", ist mit Jesus nicht zu machen. Der Teufel als Theologe, der bibelkundig den Schriftbeleg für die Versuchung des Gottmenschen konstruiert, sozusagen den ultimativen Pastoralplan entwirft: „Flieg vom Tempel, und die Menschheit wird an dich glauben!" Diese Versuchung kennen wir alle. Der bibelfeste Teufel zeigt uns — sicherlich ungewollt —, wohin die Heilige Schrift wirklich gehört, nämlich in den Zusammenhang der Liturgie unserer Kirche. Ein Schriftzitat muss immer auch Gebet sein. Psalm 91(9o), der Tempelpsalm, wird im Stundengebet der Kirche an jedem Sonntagabend gebetet. Kenntnis der Heiligen Schrift und Gebet gehören zusammen.

Nicht alles, was sich fromm anhört, ist auch gottwohlgefällig, und Evangelisierung darf nicht zum Showbusiness werden. Ein Vorschlag für die erste Fastenwoche: wenigstens einmal den Psalm 91 (90) beten, allein und still.

Foto oben Prälat Imkamp (c) Maria Vesperbild


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