Hasen zu Ostern?

10. April 2017 in Weltkirche


Christen dürfen dennoch Hasen malen, aus Schokolade nachbilden und in Original und Nachbildung verzehren. Wir dürfen das sogar mit dem Herrn in Verbindung setzen - Die monatliche kath.net-Kolumne von Claudia Sperlich


Berlin (kath.net)
Sicher sind zahlreiche heidnische Bräuche in die Osterbräuche eingeflossen, man nennt das Inkulturation, und die Kirche hat für diese Form der Umdeutung stets eine vorsichtige Sympathie gehabt. Mögen Hasen und Kaninchen in vorchristlichen Fruchtbarkeitsriten eine Rolle spielen – das macht nichts, Christen dürfen dennoch Hasen (und Kaninchen) malen, aus Schokolade nachbilden und in Original und Nachbildung verzehren.
Mehr noch – wir dürfen das sogar mit dem Herrn in Verbindung setzen.

Der Physiologus, eine christlich gedeutete Naturlehre, entstand im 2. Jh. in Alexandrien und wurde in den folgenden Jahrhunderten mehrmals überarbeitet und erweitert. Es ist ein kurioses Bestiarium, in dem vom wissenschaftlichen und empirischen Standpunkt aus so gut wie nichts stimmt, aber die seltsamen Aussagen über reale und mythische Wesen beinhalten alle eine Moral. Das tierische Verhalten wird immer analog zu frommem oder frevelhaftem menschlichen Verhalten gedeutet – wenn nicht gar als Hinweis auf Christus selbst. (Ein bekanntes Christusbild ist z.B. der Pelikan, der seine Jungen mit seinem Blut zum Leben erweckt und nährt. Dem liegt wohl die fehlgedeutete Beobachtung zugrunde, daß der in der damals bekannten Welt vorkommende Rosa Pelikan einen rötlichen Fleck auf der Brust hat und häufig den Schnabel auf die Brust senkt.)

Über den Hasen heißt es im Physiologus:

„Er ist ein guter Läufer. Wenn er gejagt wird, flieht er in felsiges und ansteigendes Gelände, und dann werden die Hunde samt dem Jäger müde und haben nicht die Kraft, ihn zu erjagen, und so kommt er heil davon. Wenn er sich aber zu abschüssigem Gelände wendet, kann er nicht so gut rennen, weil seine Vorderbeine zu kurz sind, und im Nu fasst ihn der Hund. Und deshalb sucht er die Stellen, wo es nach oben geht.
So auch du, Mensch, so du verfolgt wirst von den feindlichen Mächten samt dem Jäger, dem Teufel, der Tag für Tag danach trachtet, dem Menschen nach dem Leben zu stellen: Suche den Felsen und die Höhen, von welchen auch David sagt: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher mir Hilfe kommen wird.
Denn wenn der Böse sieht, daß der Mensch nach abwärts läuft und auf das Irdische bedacht ist und auf das, was dieses Leben zu bieten hat, dann kommt er ihm nur um so eifriger nahe mit seinen Schlichen! Wenn er aber sieht, daß der Mensch läuft nach dem Willen Gottes und aufsucht den wahren Felsen, unseren Herrn Jesus Christus, und daß er die Anstiege der Tugenden hinangeht, dann wendet er sich um wie ein Hund nach dem Worte Davids: Abwenden sollen sich nach rückwärts und in Schmach und Schande fallen sollen die, so mir Böses wollen.“

(Übertragung: Otto Seel)

Diese Auffassung, daß der Hase nach oben, auf den Felsen, flieht und damit ein Sinnbild für den Menschen ist, der sich bei Gefahr tunlichst an den Fels Christus wendet, wurde bis in die Neuzeit tradiert. Dabei spielt auch eine Rolle, daß der Hase keine Waffen hat. Er kann sich nur durch Flucht retten. Ebenso gibt es gegen den Teufel keine irdischen Waffen, sondern nur geistliche – Fasten und Beten, und damit Zuflucht zu Christus.

Eine andere mittelalterliche Ansicht über den Hasen ist, daß er mit offenen Augen schläft – so steht es u.a. bei Hrabanus Maurus und bei Albert dem Großen, und so wird es noch heute vielfach angenommen. Tatsächlich liegt der Hase bei Gefahr vollkommen still und hält die Augen weit offen, um zu sehen, ob diese Tarnung ausreicht. Er flieht erst, wenn es gar nicht anders geht. Ein liegender Hase mit offenen Augen ist also hellwach. Die Annahme, er schlafe mit offenen Augen, wurde einerseits als Hinweis gesehen, daß wir ständig wachsam sein müssen vor dem Bösen (und das ist aus der Sicht des Hasen gar nicht so verkehrt). Andererseits gibt es die Deutung des „schlafenden“ Hasen als Symbol des im Grabe ruhenden Christus – die offenen Augen deuten die Auferstehung schon an.

Das weiße Kaninchen steht in der Ikonographie für Reinheit und Unschuld. So wird Maria zuweilen mit einem weißen Kaninchen dargestellt. Hans Baldung Grien malte für den Hochaltar im Freiburger Münster das Tafelbild Mariä Heimsuchung. Zu Füßen von Maria und Elisabeth spielt eine Gruppe weißer Kaninchen, die hier sowohl für Reinheit als auch für Fruchtbarkeit stehen. Denn auch ein Fruchtbarkeitssymbol ist der Hase (und das, wie oben gesagt, mit ihm lange Zeit gleichgesetzte Kaninchen). Daß die Symbolik im Christentum ambivalent ist und der Hase auch für ungezügelte Wollust stehen kann, auch daß er im Alten Testament zu den unreinen Tieren zählt, soll uns hier nicht weiter interessieren.

Weiterhin gibt es mittelalterliche Darstellungen von drei Hasen, die so im Kreis springen, daß sie zusammen drei Ohren haben und doch jeder scheinbar zwei. Für diese Darstellung gibt es verschiedene Interpretationen; es gibt dies Motiv nicht nur in christlichen Kulturen. Im Christentum aber wird es als ein Bild der Dreifaltigkeit verstanden.

Allerdings gibt es das Bild in der christlichen Kunst oft auch mit vier Hasen, die sich vier Ohren teilen. In der abgebildeten Handschrift füllen sie das D von DEUS (Gott) aus. Die Vier steht in der Numerologie als kosmische Zahl, für „alles“, außerdem als Zahl der Evangelien.

Aber, wird der naturwissenschaftlich geschulte Leser einwenden, diese alten Aussagen sind doch Unsinn. Der Hase flieht aus Selbsterhaltungstrieb, nicht um dem Menschen den Weg zu Christus zu zeigen. Zudem sind Hasen eine andere Art als Kaninchen.

Zunächst hat der Physiologus die Kunst vieler Jahrhunderte geprägt. Hasen und Kaninchen tummeln sich in Kirchen und in prachtvollen mittelalterlichen Stundenbüchern. Sodann ist es für den lehrhaften Inhalt gleichgültig, ob die Tiere sich wirklich genau so verhalten und wenn ja, warum sie das tun. Lesen wir ihn wie eine Fabelsammlung. Es bleibt ja wahr, daß ein vernünftiger Mensch sich in der Gefahr an Christus wendet und nicht sein Heil in den unteren Bereichen sucht, und daß wir ständig wachsam sein müssen, um nicht auf die Verlockungen des Bösen hereinzufallen. Wahr ist ebenfalls, daß Jesus Christus tot war und auferstanden ist.

Übrigens – daß Hasen und Kaninchen sich unterscheiden, steht bereits bei Albertus Magnus, auch wenn die wissenschaftlich genaue Differenzierung erst in der Neuzeit stattfand. Für die Ikonographie und das symbolische Verständnis ist das aber gleichgültig.

Wenn also jemand den albernen Ausdruck „Hasenfest“ benutzt, nehmen Sie es nicht zu schwer. Sagen Sie ihm einfach, über Hasen steht schon etwas im Physiologus und bei Hrabanus Maurus. Und dann schlagen Sie die Brücke von fabelhafter Naturauffassung über die Ikonographie zu unserem Glauben an den auferstandenen Herrn


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