Der Mai, die Arbeit und der Stein

2. Mai 2017 in Kommentar


Vielleicht können wir uns gerade deshalb im Monat Mai die Zeit nehmen, um die Arbeit des göttlichen Schöpfers zu bestaunen - Diakrisis am Dienstag - Von Stefan Meetschen


Linz (kath.net)
„Im Maien, im Maien, da freuet man sich, da singt man, da springt man, da ist man fröhlich“ – die romantischen Poesie-Beauftragten Achim von Arnim und Clemens Brentano wussten Bescheid. Tatsächlich ist der Monat Mai ein besonderer Monat. Die Natur befreit sich – so der Klimawandel es erlaubt – endgültig von der Last des Winters. Die „Grünkraft“ (Hildegard von Bingen) bricht sich freie Bahn. Menschen und Tiere, Pflanzen und Blüten – alle und alles scheint ein weniger beschwingter und leichter zu sein.

Und dies, obwohl ausgerechnet der erste Tag des Wonnemonats fast überall auf der Welt einem Thema gewidmet ist, das auf den ersten Blick wenig mit Springen und fröhlich sein zu tun hat: nämlich der Arbeit. Ist es nicht so? Egal ob wir körperlich oder geistig im Einsatz sind: Arbeit ist anstrengend. Arbeit kostet uns Kraft. Arbeit geht an die Nerven und an die Substanz. Sogar dann, wenn wir sie als langweilig und monoton empfinden. Sogar dann, wenn wir das Gefühl haben, dass wir das, was wir tagtäglich machen, eigentlich ganz gut hinkriegen. Unsere Gaben und Fähigkeiten ganz gut zum Zug kommen.

Die reine Wonne ist es aber trotzdem nicht. Oft muss man mit Schwierigkeiten kämpfen, mit Widerständen, Reibereien. Seien es interne oder externe. Die Materie, der unsere Aufmerksamkeit gilt, die wir in den Griff kriegen wollen, scheint nicht völlig gefügig zu sein. Und manchmal, das kann wohl jeder auf seine Weise sagen, kann es einem so vorkommen, als wäre man geradezu verdammt, wie die antike Sagengestalt Sisyphos, welcher Albert Camus ein modernes philosophisches Denkmal gesetzt hat, den Stein immer wieder rauf zu rollen, um ihn kurz vor dem Ziel herabrollen zu sehen. Die Wiederholung des Absurden. Eine Art vorweggenommenes Fegefeuer, wenn man so will. Eine Last, die uns während der Tätigkeit zum Nachdenken und Grübeln zwingt, ob das, was wir machen, wirklich sinnvoll ist.

Johannes Paul II., der große Papst aus Polen, hat als Philosoph auch über den Sinn der Arbeit nachgedacht. Er schreibt in der Enzyklika „Laborem exercens“ (1981): „So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit.“ Sprich: Ziel und „Zweck der Arbeit, jeder vom Menschen verrichteten Arbeit“ ist nach Johannes Paul II. „immer der Mensch selbst“. Er adelt die Arbeit und nicht umgekehrt.

Gerade mit Blick auf das, was die verschiedenen Ideologien – nicht nur am 1. Mai – immer wieder mit dem Image der Arbeit und des Arbeiters angestellt haben, ist diese Sichtweise auf die Aktivität, mit der wir einen sehr großen Teil unserer Lebenszeit verbringen, wichtig und die eigentliche Revolution. Eine Befreiung geradezu von dem Zwang, einen Plan oder eine sonstige Zielvorgabe erfüllen zu müssen, um etwas wert zu sein. Johannes Paul II., der als junger Mann in Krakau auch physische Arbeiten verrichtete und später als Kardinal und Papst ein ungeheures Arbeitspensum absolvierte, sagt es ganz klar: „in erster Linie (ist) die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit“. Die Würde des Menschen muss also nicht erst bewiesen oder erarbeitet werden, sie hängt nicht ab von Erfolg oder Scheitern, Auszeichnungen oder Niederlagen, Glanz oder Verriss. Sie ist völlig unabhängig vom Ergebnis, vom Ausgang, von der Frucht, die man sowieso oft im Wesentlichen erst mit etwas Abstand sehen und erkennen kann.

Vielleicht können wir uns gerade deshalb im Monat Mai die Zeit nehmen, um die Arbeit des göttlichen Schöpfers zu bestaunen. Denn das erleben wir in dieser Hoch-Zeit der Schöpfung doch eigentlich: wir erleben Gottes bunte Kreativität, die schier grenzenlose Vielfalt im Werk des Schöpfers. Sein bisher bestes Produkt.

An diesem großen Werk, das hat auch der polnische Papst in Anlehnung an das II. Vatikanische Konzil bekräftigt, nehmen wir Menschen teil. So prosaisch, nüchtern und sogar monoton uns das zuweilen auch vorkommen mag: „denn Männer und Frauen, die, etwa beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie, ihre Tätigkeit so ausüben, daß sie ein entsprechender Dienst für die Gemeinschaft ist, dürfen überzeugt sein, daß sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, daß sie für die Wohlfahrt ihrer Brüder sorgen und durch ihre persönliche Bemühung zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Plans beitragen.“ (Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“, 34)

Dem anderen beim Rollen seines Steins gelegentlich zu helfen, steht dazu übrigens nicht im Widerspruch.

Der Autor ist Feuilleton-Redakteur der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“.

Diakrisis (gr. "Unterscheidung der Geister") - Die neue Kolumne von kath.net. Ab sofort jeden Dienstag mit Dr. Stefan Meetschen, Dr. Eva Demmerle, Dr. Sebastian Moll und Dr. Giuseppe Gracia.


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