'Es ist schön, dass du da bist'

5. Mai 2017 in Interview


Bischof Oster im Interview: Wir müssen Jugendlichen helfen, erst einmal in Glaube und Kirche hineinzukommen und zu lernen, dass von innen her die Reizthemen noch mal völlig anders aussehen als wenn sie nur von außen medial gespiegelt werden.


Passau-Wien (kath.net/Don Bosco Magazin, Österreich) Kirche tut sich heute schwer, junge Menschen für den Glauben zu begeistern. Warum ist das so? Und wie lässt es sich ändern? Darüber haben wir mit Bischof Stefan Oster (Foto), dem Vorsitzenden der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz, gesprochen. Er ist seit 20 Jahren Salesianer Don Boscos und seit 2014 Bischof der deutschen Diözese Passau.

Don Bosco Magazin: Bischof Oster, wie haben Sie eigentlich selbst zum Glauben gefunden und was hat Sie dazu bewegt Ordensmann und Priester zu werden?

Bischof Oster: Ich habe immer die ganz großen Fragen gestellt – nach Liebe, Freiheit, Wahrheit und ich bin in der kirchlichen Jugendarbeit groß geworden. Aber mit 18 Jahren gab es den großen Bruch, weil ich nicht das Gefühl hatte, in der Kirche Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich bin dann als Sinnsucher auf große Reise gegangen, war in Indien und Nepal, habe mich für Buddhismus interessiert.

Dann habe ich Philosophie studiert und da war sicher mein Lehrer Ferdinand Ulrich* entscheidend: Er hat nie ausdrücklich über seinen Glauben geredet, aber wir haben immer gespürt, der ist Christ und er verbindet fundamentale Lebensfragen immer mit dem Glauben. Dadurch habe ich das, was ich so lange gesucht habe, in der Gestalt Jesu Christi neu gefunden.

Und dann ist mir Don Bosco gewissermaßen über den Weg geschickt worden. Ich habe mich ihm herzensverwandt gefühlt, weil ich immer schon das Anliegen hatte, jungen Menschen ins Leben zu helfen. Also bin ich Salesianer geworden.

Don Bosco Magazin: Heute sind viele Jugendliche nicht mehr katholisch sozialisiert. So eine veränderte Situation bedeutet oft auch, dass sich Strukturen ändern müssen. Sind die gewachsenen Strukturen in der kirchlichen Jugendarbeit noch hilfreich?

Oster: Die Verbände sind immer noch sehr wichtige Akteure in der kirchlichen Jugendarbeit, aber auch nicht die einzigen. Die Salesianer, die Orden überhaupt sind andere Akteure auf dem Gebiet. Und dann gibt es noch die geistlichen Gemeinschaften, die offene Jugendarbeit, die Ministranten, die Jugendchöre, die Arbeit in den kirchlichen Schulen und Kindergärten, die Jugendsozialarbeit und anderes mehr. Das alles sind Felder kirchlicher Jugendarbeit, die oft auch gut aufgestellt sind.

Don Bosco Magazin: Was zeichnet kirchliche Jugendarbeit aus?

Das ist eine ganz schwierige Frage, weil das Spektrum kirchlicher Jugendarbeit natürlich sehr weit ist und weit sein muss. Aber ich würde sagen: Wenn der Kern des Ganzen verloren geht, der Glaube an Jesus Christus, dann geht auch das Thema Kirchlichkeit verloren.

Wir müssen uns die Frage stellen: Können wir in so etwas wie die personale Begegnung mit dem Herrn hinein helfen? In eine Beziehung, die Qualität hat, mein Leben zu verändern? Diese Ursprungserfahrung, dass das eEntscheidende an Kirche die Begegnung mit Christus ist und alles andere daraus fließt, die darf nicht verloren gehen.

Aber wenn wir vielleicht manchen unserer Jugendverbände bisweilen unterstellen, dass sie eher politisch sind und vielleicht nicht mehr so gläubig, dann muss man auch sehen, dass sie gerade mit ihrem politischen Engagement auch stark demokratiebildend für junge Menschen wirken: In ihren Versammlungen und Treffen entwickeln sie eine hohe Debatten- und Beteiligungskultur. Das halte ich gerade heute, in diesen unruhigen Zeiten, für einen hohen Wert.

Don Bosco Magazin: Früher war die Gemeinde der Ort, wo Kinder und Jugendliche zusammen kamen und in Gruppenstunden regelmäßig auch Glaubensthemen angesprochen wurden. Was sind heute die Orte kirchlicher Jugendarbeit?

Oster: Neue Orte kirchlicher Jugendarbeit sind zum Beispiel dort, wo ausdrücklich und herausfordernd Evangelium verkündet wird. Denn die Frage ist für mich, ob wir das überhaupt noch tun, oder ob wir nicht eine Art Humanismus der Nettigkeit verkünden und das mit Christentum verwechseln. Spüren unsere Jugendlichen noch, dass es im Glauben wirklich um etwas geht, dass es um ihr Leben geht?

Außerdem brauchen wir Räume geistlicher Erfahrung, wir müssen Formen des Miteinander Betens und des Miteinander Sprechens über die Inhalte des Glaubens finden, die für Jugendliche heute adäquat sind.

Ein ganz wichtiger Punkt ist für mich dabei das Thema Willkommenskultur. In Amerika oder auch an anderen Orten bei uns, wo Kirche wächst, heißt es „belonging before believing“ – also: Es ist erst mal schön, dass du da bist. Und du darfst dich bei uns wohlfühlen. Und dann kann man vielleicht weitergehen ins Heiligtum.

Bei uns ist es in älteren Strukturen manchmal ein wenig so: Erst musst dich ordentlich aufführen, dann gehörst du vielleicht auch dazu. Ich glaube wir müssen das Ding umdrehen, weit aufmachen, auch hinausgehen und sagen: Kommt alle zu uns, wir haben hier die Räume, wo ihr leben könnt mit uns und dann führen wir euch weiter ins Herz des Glaubens.

Aber dieses soll dann auch passieren – oder man soll spüren, dass die Protagonisten einer Willkommenskultur gerade daraus leben.

Don Bosco Magazin: Das ist ein Plädoyer dafür, Jugendliche einzuladen­ – auch mit ihren Reizthemen zum Beispiel zu Kirche und Sexualität?

Oster: Natürlich müssen wir die klassischen kirchlichen Reizfragen diskutieren.

Aber ich glaube, wir müssen den Jugendlichen auch helfen, erst einmal in Glaube und Kirche hineinzukommen und zu lernen, dass von innen her die Reizthemen noch mal völlig anders aussehen als wenn sie immer nur von außen vor allem medial gespiegelt werden: Die Katholiken missachten Frauen, gehen schlecht mit Homosexuellen um, quälen Priester ins Zölibat rein und so weiter... Das Entscheidende ist die Relevanz des Glaubens: Du musst den Herrn kennenlernen, weil er der letzte und tiefste Sinn deines Lebens ist – und von dort stellen sich solche Fragen noch einmal anders!

Don Bosco Magazin: Sind Geistliche Gemeinschaften genau die richtige Antwort?

Oster: Für einige vielleicht, natürlich nicht für alle. Mancher Erfolg dort hängt, glaube ich, mit zwei Dingen zusammen: einerseits herausfordernde Verkündigung, andererseits Räume, die spirituelle Erfahrung ermöglichen.

Ich bin zum Beispiel zum Pfingstkongress der Gemeinschaft Loretto in den Salzburger Dom eingeladen. Da kommen 5.000 oder 6.000 Jugendliche hin, wollen Gott anbeten, Lobpreis machen und auch wieder beichten. Das schaut alles äußerlich alles ein bisschen anders aus als früher, aber das verkündete Evangelium ist dasselbe.

Don Bosco Magazin: Im Jahr 2018 steht eine Bischofssynode an, die sich dem Thema Jugend widmet. Was soll so eine Synode bringen und ändert sich dadurch etwas an der Situation hier?

Oster: Was ich mir als Ergebnis erwarte ist vertiefte Bewusstseinsbildung bei allen, bei Menschen in der Kirche überhaupt und natürlich bei denen, die im engeren oder weiteren Sinn mit Jugendarbeit zu tun haben. Vielleicht werden wir auch die eine oder andere Antwort oder manches gute Beispiel schriftlich dokumentiert finden zu den Fragen, was Jugendliche heute wirklich suchen oder brauchen und wie wir ihnen helfen können, in den Glauben zu finden. Und die Jugendlichen können hoffentlich auch selbst ihre Themen einbringen und sagen, was sie eigentlich von Kirche erwarten

Don Bosco Magazin: Das Vertrauen in religiöse Institutionen ist laut österreichischer Jugendstudie mit 48 % Zustimmung nicht sehr hoch. Was sagen Sie als Vertreter in der amtlichen Funktion eines Bischofs einem jungen Menschen, warum es Bischöfe überhaupt braucht?

Oster: Zunächst einmal ist wichtig festzustellen, dass Institutionen insgesamt bei Jugendlichen schlecht beleumundet sind, da gehört auch Politik dazu, da gehören Parteien, vielleicht auch staatliche Institutionen dazu, Lehrer, Autorität.

Wir haben als Argument dagegen: Gott beruft zunächst Personen und nicht Institutionen.

Wenn Jugendliche dann auch kirchliche Amtsträger als Personen erleben, die überzeugend sind, dann kann man erklären: Schau mal, hier ist Gemeinschaft, das muss doch auch irgendwie organisiert werden. Es braucht auch Struktur. Und wir glauben sogar, dass Gott hier bei der Organisation mitwirkt.

Und dann wird vielleicht auch wieder interessant, dass Bischöfe tatsächlich in einer Nachfolge der Apostel stehen und dass sich das durch die ganze Geschichte hindurch fortgesetzt hat. Das ist dann, wenn man Jugendlichen das von innen her zeigen kann, vielleicht schon wieder richtig faszinierend. Aber wir müssen erst einmal an den Punkt kommen, dass wir ihnen das von innen her zeigen können.

Don Bosco Magazin: 82% der Jugendlichen sagen, dass sie ohne Glauben glücklich sein können. Macht Sie das betroffen und was hat Kirche hier versäumt, dass junge Menschen so denken?

Oster: Natürlich beschäftigt mich das sehr. Das Problem ist ja, dass wir eine Mehrheit von jungen Menschen schon ganz lange nicht mehr erreichen – aus vielerlei Gründen, auch aus Gründen unserer eigenen Glaubwürdigkeit. Daher glaube ich, wir können immer wieder neu nur klein anfangen. Auch die eben genannten Bewegungen sind langsam gewachsen.

Ich selber lade 14tägig am Sonntag junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren zu „Believe and Pray“ ein. Ein intensives Angebot von Lobpreis, Schweigen und Glaubensimpuls mit Gespräch, also nicht gerade niederschwellig, aber mittlerweile kommen da sehr regelmäßig 40 bis 70 junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren. Und ich merke, dass da und dort leise etwas wächst und das ist sehr schön.

Die Frage ist: Wie kann man einem Menschen klar machen, dass die Begegnung mit dem Herrn auch schon im jetzigen Leben Erfahrung von tiefem Sinn und tiefem Glück schenkt? Da glaube ich, sind wir nicht besonders gut drin – vielleicht, weil wir selbst als Vermittler diese Erfahrung zu wenig kennen oder wenn doch, dann auch nicht gut kommunizieren können.

Da sind wir wieder beim Thema Relevanz des Glaubens: Volkskirche ist sehr wichtig und sehr gut gewesen für uns alle und ist es zum Teil auch immer noch.

Aber sie hat auch ihre Schattenseiten, z.B. die, dass das geistliche Niveau sich der „durchschnittlichen Gläubigkeit“ anpasst.

Nicht wenige von den wenigen, die noch kommen, verstehen zum Beispiel auch nicht mehr allzu gut, was wir da in der Eucharistie feiern – und hoffen dann erst einmal, dass es nicht länger dauert als 45 Minuten. Wenn die Eucharistie aber Auftrag des Herrn und Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Lebens ist, dann muss das auch in unserem eigenen Leben seinen Ausdruck finden. Wenn es das tut, sind wir anziehend – und dann ziehen wir auch junge Menschen wieder an. Aber da sind wir alle gefragt!

*Ferdinand Ulrich (*1931), ist ein christlicher Philosoph, der in Salzburg und Regensburg gelehrt hat. Im Zentrum seines Denkens und Fragens steht der konkrete Mensch in seiner Verfasstheit und Lebenswelt wie auch seinem menschlichen In-der-Welt-Sein. Dieses Seinsdenken ist besonders vom Geist Thomas von Aquins inspiriert.

Foto Bischof Oster


Foto Bischof Oster © Salesianer Don Boscos


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