Was du ererbt von deinen Vätern hast...

9. Juni 2017 in Kommentar


... erwirb es, um es zu besitzen(Goethes Faust) - Jeden Freitag auf kath.net BeneDicta, diesmal mit Isabella Gräfin von Kageneck


Linz (kath.net)
Meine kleinen Pfingstferien habe ich dieses Mal dazu benutzt, meine 91-jährige Großtante auf ihrem Landgut in Schleswig-Holstein zu besuchen. Während ich diese Zeilen schreibe, dabei in einen wunderschönen Park hinaus in die schleswig-holsteinische Landschaft sehe, die so auch direkt einem Caspar-David-Friedrich-Gemälde entsprungen sein könnte, liegen mir die beiden Labradore meiner Großtante zu Füßen. Die beiden schauen mich freilich etwas vorwurfsvoll an, da ich sie durch das Schreiben sträflich vernachlässige.

Seit meiner Kindheit habe ich unzählige Ferien hier verbringen dürfen. Lange Waldspaziergänge mit meiner Großtante und den Hunden, reiten, schwimmen, wunderbare Abende im Kreise der Familie sind zu wertvollen und prägenden Erinnerungen für mich geworden. Am liebsten war mir immer die Zeit, die ich mit meiner Großtante alleine verbringen durfte und ihr einfach zuhören konnte. Denn Menschen, die dieses Alter erreicht haben, haben nicht nur etwas zu erzählen, sondern auch etwas zu sagen. Nicht zuletzt beantworten sie einem auch die Frage, woher man selbst kommt. Ich halte den engen, respekt- und liebevollen Austausch der Generationen für so wertvoll und bedeutend. Es ist mir immer das größte Glück, zu spüren und zu wissen: Auch ich gehöre zu einer Familie, in der ich geborgen und trotz all meiner Fehler angenommen, gewollt und willkommen bin. In der es zwar auch einmal Streit, Diskussionen und Verletzungen gibt, aber in der am Ende des Tages zusammengehalten wird.

Dieses Gefühl, zu einer Familie zu gehören, ist ein menschliches Urbedürfnis, das uns Gott tief in unsere Seelen eingegeben hat. So, wie wir uns danach sehnen, zu Ihm zu gehören, hat er uns die Fähigkeit geschenkt, auch hier auf Erden Familien gründen zu können. Gott und uns sind die Familien heilig, es wundert kaum, dass der feind seit langer Zeit genau deshalb mit aller Kraft versucht dagegen anzugehen. Sei es durch Entzweiungen oder dadurch, dass heute gerade jungen Menschen eher Angst davor gemacht wird, ein Kind zu bekommen („Du wirst doch j e t z t kein Kind bekommen?!“). Früher gehörten Kinder wie selbstverständlich zum Leben dazu. Heute gleicht es beinahe einem revolutionären Akt, Kinder zu bekommen. Erst recht, wenn es dann auch noch mehr als die durchschnittlichen zwei Kinder sind. Es wundert wirklich nicht, dass der feind gerade hier angreift. Wo Gott am stärksten gegenwärtig ist, da ist auch sein Feind. Und umgekehrt, dort wo der Feind abwesend ist, ist es uns unmöglich Gott zu erkennen. Dieses Paradox formulierte schon der britische konvertierte Schriftsteller Graham Greene.

Es gibt so viele zerrissene Familien, die uns tatsächlich Angst machen können vor dieser Herausforderung. Eine gute Familie und ein glückliches Familienleben zu haben, fällt nicht einfach so vom Himmel. Es ist Arbeit. Für viele sind die großen Familienfeste wie Weihnachten eher eine Bedrohung, der sie am liebsten entgehen würden. Teilweise bestehen tiefe Gräben und Verwundungen zwischen den Familienmitgliedern, die aus menschlicher Perspektive betrachtet auch nur allzu verständlich sind. Das Einzige, was hier diesen Teufelskreis des Grollens durchbrechen kann, ist die Vergebung. Nicht auf seinem Groll zu beharren, der mich ohnehin nicht froh machen wird. Ein zweiter Weg ist auch, nicht so empfindlich zu sein. Nicht jedes vermeintlich böse Verhalten eines Onkels oder einer Nichte ist auch wirklich persönlich gegen einen gerichtet. Ich habe mittlerweile erkennen dürfen, dass andere Menschen in den seltensten Fällen morgens tatsächlich aufstehen und sich überlegen, wie sie einen absichtlich verletzen können. Dies sind alles wichtige Lernerfahrungen und Reifeprozesse, die wir zu allererst im Kreise unserer Familie lernen.

Gleich werde ich wieder zusammen mit meiner Großtante und den Hunden spazieren gehen. Sie wird mir dabei wieder von ihrem Vater, meinem Urgroßvater, Flügeladjutant des letzten deutschen Kaisers, erzählen. Von seinem Denken, seinen Überzeugungen, Idealen, aber auch von seiner ganz menschlichen Seite, seinen Zornausbrüchen, von Krawatten, die dabei einmal wegen eines Missgeschicks, über das er sich ärgerte, aus dem Fenster in die Büsche flogen.

Eben kam ich in den Salon, meine Großtante stand still am Fenster und beobachtete die Vögel im Vogelhäuschen. Die Arme hinter dem Rücken verschränkend, eine ganz typische Haltung in unserer Familie. Ich stellte mich neben sie. Ein so schöner, stiller Moment, in dem meine Großtante in sich ruhte. Dieser Augenblick gab auch mir Kraft, weil wir beide auch wie selbstverständlich zusammen schweigen und einfach nur den Moment, den Augenblick mit der Natur genießen können. Es sind nicht immer nur unbedingt die großen Abenteuer, die großen Feste, die man zusammen erlebt und gefeiert hat, die einen so verbinden. Nein, manchmal sind es nur diese Bruchteile eines Augenblicks, die mich plötzlich mit tiefer Freude und Dankbarkeit erfüllen, zu wissen, dass man eine liebende und sorgende Familie hat. Dass man nicht alleine ist und dass man den Auftrag hat, die Werte der Großeltern und Eltern weiterzutragen, in eine Zeit, die sich dieser Werte mehr und mehr entledigt hat. Wir haben diese Werte, um bei Goethes Faust zu bleiben, von unseren Vätern ererbt, jetzt ist es an uns, sie auch zu erwerben, um sie zu besitzen und fruchtbar machen zu können für unsere Zeit.


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