Alice Schwarzer: Letzte Begegnung mit Meisner hat mich berührt

18. Juli 2017 in Chronik


Die Feministin beschreibt den verstorbenen Kölner Kardinal als "einfühlsam" und "konsequent" - Das habe ihr nicht in allen Punkten gepasst, aber es habe ihr "imponiert" - Mit VIDEO


Köln (kath.net/KAP) Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat gegenüber dem katholischen Fernsehsender EWTN (Eternal Word Television Network) von ihrer speziellen Freundschaft zum verstorbenen Kardinal Joachim Meisner berichtet. Am Rande der Beisetzung Meisners, die am vergangenen Samstag in Köln stattfand, beschrieb sie den Kardinal als "einfühlsam" und "konsequent". "Was mir nicht in allen Punkten gepasst hat", fügte sie an, "was mir aber imponiert hat."

Kardinal Joachim Meisner war am 5. Juli 2017 verstorben. Der in Köln ansässige TV-Sender EWTN hat die Beisetzung in Kooperation mit dem Kölner "domradio" live übertragen. Beim anschließenden Empfang im Maternushaus schilderte Alice Schwarzer gegenüber EWTN-Redakteur Robert Rauhut ihre letzte Begegnung mit dem Kardinal, den sie vor einigen Monaten traf. "Und da hat er aus seinem Brevier einen kleinen Zettel geholt, das waren ein paar Zeilen von der Heiligen Teresa. Das fand ich so anrührend." Den Zettel trage sie seitdem in ihrem Portemonnaie. "Ich glaube, es hilft."

Auch zum Requiem fand die Feministin lobende Worte: "Das war ein würdiger Abschied. Und es ist natürlich eine imposante Inszenierung. Die katholische Kirche mit 2.000 Jahren im Rücken und alles, was da aufmarschiert. Das war schon beeindruckend. Da dachte ich 'Na, wenn wir da mal was zu kritisieren haben, müssen wir aber ordentlich rütteln'."

"Menschlichkeit und kindlicher Glaube"

Schwarzer hatte zuvor in der Frauenzeitschrift "Emma" geschrieben, sie sei trotz tiefer Kontroversen mit Meisner freundschaftlich verbunden gewesen. Ihre Wege hätten sich über fast drei Jahrzehnte immer wieder gekreuzt. "Am meisten beeindruckt hat mich seine Menschlichkeit und sein fast kindlicher Glaube. Erstmals habe Meisner sie am Flughafen Köln 1998 angesprochen, nachdem er sie im Fernsehen gesehen habe. Er sei "entsetzt über die Kälte ihrer Gegnerin" gewesen und habe gesagt, dass er sie in sein Gebet eingeschlossen habe. "Ich antwortete: 'Das ist sehr lieb. Ich kann es gebrauchen'", so Schwarzer. Damals sei es um den Kampf gegen Pornografie gegangen, den sie mitinitiiert habe.

Eine spätere Begegnung habe beim Eröffnungsfest des Kölner "FrauenMediaTurm" (1994) stattgefunden: "Ich erklärte den Sinn und Zweck eines Frauenarchivs, wir stiegen bis hinter die Zinnen und warfen einen Blick zum Dom. Sodann setzten wir uns zu zweit in eine der Nischen zum Gespräch. Es wurde ein sehr persönliches Gespräch. Ich fragte Joachim Meisner nach seiner Mutter, die ihn und die Geschwister in Schlesien allein aufgezogen hatte, und nach seinen Geschwistern, die sich mit ihrer Hände Arbeit ernähren. 'Nehmen die Ihren Beruf überhaupt ernst?' sagte ich. 'Bei so gepflegten Händen und so schönen Ringen.' Da musste er laut lachen. Und dann stellte er mir Fragen nach meinem Leben. Das erlebe ich selten, dass zurückgefragt wird."

Eine Begegnung 2013 sei virtuell gewesen, nachdem in Köln ein katholisches Krankenhaus einer vergewaltigten Frau die "Pille danach" verweigert hatte. "Ich bezichtigte auf EMMAonline Kardinal Meisner, der diese Weigerung befürwortet hatte, der Scheinheiligkeit. Acht Tage später veröffentlichte der Kardinal eine Erklärung, die etliche in seinen Kreisen irritierte - aber viele Menschen, vor allem Katholikinnen, freute. Darin hieß es u.a.: 'Die Ärzte in katholischen Einrichtungen sind aufgefordert, sich rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen. (...) Wenn nach einer Vergewaltigung ein Präparat, dessen Wirkprinzip die Verhinderung einer Zeugung ist, mit der Absicht eingesetzt wird, die Befruchtung zu verhindern, dann ist das aus meiner Sicht vertretbar.' Ausgerechnet der Kardinal, der in der Vergangenheit die Abtreibung auch schon mal als 'Babyholocaust' bezeichnet hatte, ausgerechnet er machte also nun einen Schritt auf uns zu und plädierte für die Pille danach' bei Vergewaltigung. Immerhin", so Alice Schwarzer.

Zuletzt habe sie Meisner vor einem Jahr gesehen: "Er hatte mich in seinen Alterssitz in der Dompropstei zum Kaffee eingeladen. Auf seinem Schreibtisch stand noch das gerahmte Foto seiner Mutter. Und wie immer war es ein recht persönliches Gespräch. Wir hatten es beide gerade nicht leicht. Da holte er aus seiner Bibel einen Zettel, pappte auf die Rückseite einen gelben Aufkleber und schieb darauf in seiner etwas altmodischen, präzisen Schrift: 'Gebetszettel aus meinem Brevier für Sie.' Auf dem Zettel stand in Druckbuchstaben ein Gedicht der Heiligen Teresa von Avila, Meisners Lieblingsheilige. Es beginnt mit den Worten: 'Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe.' Tröstlich. Wir versprachen, uns in nicht allzu großer Ferne wiederzusehen."




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