Euthanasie-Vorkämpfer: 'System in den Niederlanden ist entgleist'

21. Juli 2017 in Aktuelles


Ärzte-Kritik an Praxis der aktiven Sterbehilfe bei Demenzpatienten oder Menschen mit einer psychiatrischen Krankheit


Utrecht (kath.net/KAP) Der niederländische Psychiater Boudewijn Chabot zeigt sich erschrocken über die Zustände der Euthanasie in seinem Heimatland. Chabot gilt als Befürworter und Vorkämpfer der dortigen Euthanasiegesetze, die weltweit zu den liberalsten zählen und seit 2002 in Kraft sind. Das System in den Niederlanden sei "entgleist", kritisierte er nun in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "NRC Handelsblad" und nimmt dabei aktive Sterbehilfe bei Demenzpatienten in den Fokus.

In dem Text, auf den das österreichische Medizinethik-Institut IMABE in seinem aktuellen Newsletter hinweist, schildert der Psychiater seine Sorge über die rasche Zunahme der Anzahl von Menschen mit einer psychiatrischen Krankheit oder Demenz, die in seinem Heimatland durch Euthanasie sterben: 12 Fälle bei Demenzkranken fanden nach Angaben der "Regionalen Tötungskommission Euthanasie" (RTE) 2009 statt, im Jahr 2016 waren es bereits 141 Fälle. Bei chronischen psychiatrischen Patienten stieg die Zahl von 0 auf 60. Angesichts der wachsende Anzahl von Menschen mit Demenz und chronischen psychiatrischen Erkrankungen, sei dies eine besorgniserregende Entwicklung, so Chabot, der die Budgetkürzungen in der Versorgung dieser Patientengruppe kritisiert.

Alle fünf Jahre führen die Niederlande eine offizielle Studie über End-of-Life-Entscheidungen im eigenen Land durch, um festzustellen, wie die Menschen sterben und ob Bedenken gegenüber dem Euthanasiegesetz angebracht sind. Die zuletzt Mitte Mai publizierte Studie ergab für das Jahr 2015 7.254 "unterstützte" Todesfälle, also rund 20 pro Tag. Davon waren 6.672 Euthanasie-Fälle und 150 Todesfälle durch Beihilfe zum Selbstmord. In weiteren 431 Fällen töteten die Ärzte ohne explizite Einwilligung des Patienten.

Der Psychiater Chabot kritisiert, dass die gesetzlichen Schutzmaßnahmen für die Sterbehilfe langsam wegbrechen und Menschen mit psychiatrischen Leiden oder Demenz nicht mehr ausreichend geschützt würden. Schon zu Jahresbeginn hatte er zusammen mit mehr als 200 anderen niederländischen Ärzte in einer Petition öffentlich gegen Euthanasie bei fortgeschrittener Demenz protestiert. "Unsere moralische Abneigung, das Leben eines wehrlosen Menschen zu beenden, ist zu groß", schrieben die Ärzte. Sie wehren sich, jemandem bloß aufgrund einer Patientenverfügung aktive Sterbehilfe zu leisten, ohne aktuelle mündliche Zustimmung.

"Wir haben es mit einer moralisch problematischen Handlung zu tun: Wie töten Sie jemanden, der nicht versteht, dass er getötet wird?", gab Chabot nun erneut zu Bedenken. Scharf kritisiert der einstige Euthanasie-Vorreiter die sogenannten "Lebensende-Kliniken". Sie bieten jenen Patienten Sterbehilfe an, deren eigene Ärzte diese abgelehnt hatten. 2016 wurden hier 75 Prozent aller Euthanasiefälle bei chronischen psychiatrischen Patienten durchgeführt. "Ich weiß nicht, wie wir den Geist wieder in die Flasche zurückbekommen", kommentierte Chabot die Situation.

Symbolbild: Sterbehilfe


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