Die 'Ehe für alle' kommt. Was tun?

25. Juli 2017 in Kommentar


Ein Plädoyer für die weitere Vereinfachung der Zivilehe. Gastbeitrag von Franz Norbert Otterbeck


Berlin (kath.net) Der "Reichsnotar" hat das Gesetz vom 30. Juni abgesegnet und ausgefertigt". Die "Homo-Ehe" kommt. Wäre Steinmeier ein Bundespräsident mit Sinn für das Naturrecht, so hätte er nicht unterschrieben, sondern das Projekt gestoppt. Auch wer von seinem Werdegang her kein Vorkämpfer des Naturrechts war, hätte die im Grundgesetz enthaltenen Wert-Entscheidungen respektieren können, auch bei einem "Programmsatz" wie Artikel 6 über Ehe-und-Familie. Ein echtes Vetorecht hat der Bundespräsident nach deutscher Verfassung nicht. Wie weit das so gen. "materielle Prüfungsrecht" geht, das ist umstritten. Es ist ein beliebtes Prüfungsthema für Staatsexamina, weil man den ganzen Gang der Gesetzgebung daran abfragen kann, bis hin zu den Zuständigkeiten des Verfassungsgerichts. Bundespräsident Carstens, gelernter Staatsrechtslehrer, hatte sich auf seine rein formelle Funktion beschränkt, als er 1982/83 die von Helmut Kohl gewünschte Auflösung des Bundestags durchgehen ließ. Das höchste Gericht in Karlsruhe bestätigte ihn im Wesentlichen. Dennoch ist das Staatsoberhaupt nicht nur Staatsnotar, sondern auch Verantwortungsträger. Je gravierender eine Gesetzgebung ist, umso eher ist es gerechtfertigt, wenn der Ausfertiger sagt: Nein. Das unterschreibe ich nicht! Steinmeier wird sich gesagt haben: "Alles klar." Und im Übrigen müsse der Staat dem gesellschaftlichen Wertewandel auch "Rechnung tragen". Ich unterstelle also innere Zustimmung zu dem Projekt, weil Steinmeier der erste deutsche Bundespräsident ist, der gesellschaftspolitisch eindeutig "links" verortet ist. Das konnte man von Heinemann, Rau oder Scheel sicherlich nicht sagen, am wenigstens von Joachim Gauck, trotz des schwierigen Status seiner "First Lady". Scheidung von der Gattin im Hintergrund kam für den Pfarrer Emeritus nämlich nicht auf die Tagesordnung.

Welchen Rang hat also noch die Zivilehe in Deutschland? Im Film "Hausboot" mit Sophia Loren von 1958 spricht beim Happy End sogar der amerikanische Standesbeamte vom "heiligen Bund" der Ehe. Würde er mit faulen Eiern beworfen, wenn er dies vor einer 'gay community' ausspräche, wenn zwei Bräutigame (was für ein Plural!) vor ihm erscheinen? Wahrscheinlich. Denn das erste und wichtigste Anliegen der "Homo-Ehe" ist nicht etwa irgendeine Gerechtigkeit für eine Minderheit, die Gleichstellung des Ungleichen ersehnt. Denn die war ja mit der - kaum genutzten - Verpartnerung gut bedient. Das zentrale Anliegen der Gesetzgebung vom 30. Juni war es, dem "Abendland" mal ordentlich in die Fresse zu hauen. Auf fast allen Gebieten der Politik hat der "linke Ansatz" versagt. Es gibt keine gerechte Weltwirtschaft, es gibt keine Gerechtigkeit in ihrem eigenen Haus. Wichtigste ihrer Anliegen bleiben liegen, weil auch die Linke längst weiß, dass wir kein Utopia bauen können. Was bleibt also übrig, um den Hunger nach "Veränderung" zu stillen? "Familles, je vous hais", schrieb André Gide schon vor Jahrzehnten. Familien, wir hassen Euch! Das tönte am 30.Juni aus dem Reichstag. Das so genannte "Rechnungtragen" gegenüber dem Zeitgeist ist manchmal keins. Sowohl einstmals in der Rassegesetzgebung wie auch mitunter heute. Die Definitionsmacht des Gesetzgebers endet nämlich an der Natur der Sache. Entsprechende Hinweise des Papstes an die im Reichstag versammelten Abgeordneten fand die politische Linke schon 2011 unerhört. Heute schäumt die "pastorale Linke", allen voran der Experte Schüller aus Münster, wenn Benedikt XVI. kurz und eindeutig, am Beispiel des heimgegangenen Kardinals Meisner, noch einmal an einige Unverrückbarkeiten des Glaubenslebens erinnert. Die Wut der deutschen Christen auf den Emeritus ist immer noch jederzeit sprungbereit, in Wahrheit wohl nur deshalb, weil sich ihre eigenen progressiven Konzepte längst vor aller Augen in Qualm und Rauch aufgelöst haben. Verbrannte Erde.

In dieser Situation wäre von den Staatsorganen mehr Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu fordern gewesen. Sie wissen, was sie tun. Sie wissen aber anscheinend noch nicht so genau, was sie damit tun. Das unterstelle ich auch Heribert Hirte, Jurist und Abgeordneter aus Köln, der nicht den Mut zum Widerstand fand. Bald sind Wahlen zum Bundestag, auch in Köln. Blicken wir aber zurück auf den 25. Juli 1968: Papst Paul erläuterte der Weltöffentlichkeit, was ein ehelicher Akt ist: ein solcher, der für die Weitergabe des Lebens offen ist. Hohn, Empörung, Wut folgte, weltweit organisiert. Man wollte sich nicht mehr belehren lassen! Das Fazit: Leere Rentenkassen, aber die "Homo-Ehe" kommt! Der eheliche Akt ist sinnentleert, also darf die neue Zivilehe neu definiert werden, als 'Verantwortung füreinander'. Die übernimmt aber auch die 100-jährige Kriegerwitwe noch für ihren Dackel (und vielleicht auch er für sie?).

Die Motive für die Gesetzgebung vom 30. Juni erscheinen folgerichtig nur bei einer bewussten Engführung der Argumentation: "Die lieben sich." Das ist humanwissenschaftlich untermauert "gut so". Der nachfolgende Wertewandel geht "in Ordnung": Wir öffnen die Ehe für "alle". Why not? Zwar gibt es eingestandenermaßen einen bürgerlich-rechtlichen Gestaltungsraum für das Ehe- und Familienrecht. Es ist seit Inkrafttreten des BGB 1900 so stark umgepflügt worden wie kein anderes Rechtsgebiet, dicht gefolgt vom Arbeitsrecht und vom Mietrecht. Jetzt ist aber eine neue Qualität erreicht. Es geht ja kaum um die zusätzlichen Ansprüche der Betroffenen. Adressat ist vielmehr der unbelehrbare, heilige Rest. Hier artikuliert sich Umerziehung; und das berührt die "inneren Werte" der Andersdenkenden! Eine "Predigt an alle" wird ins Gesetzblatt eingerückt, gegen Papst und Kirche, gegen die Mächte des alten Europa, gegen Evangelikale und Naturrechtler, gegen Konservative und auch gegen die winzige schwarzweißrote Minderheit, die 'völkisch' denkt. So denken Katholiken nicht, aber auch diese 1-2% der Bevölkerung, die echten Rechten also haben echte Rechte. Man darf in Deutschland im 21. Jahrhundert noch der Meinung sein, dass die Mutterschaft im Zentrum der Zivilisation richtig verortet war. Diese "überwundene" Auffassung zu bekennen, das kann evangelisch, katholisch, jüdisch oder heidnisch motiviert sein: Sie ist wahr, wird aber von der Neuen Gesetzgebung eliminiert. Journalisten und Kabarettisten spielen das herunter: Wer 'old-fashioned' leben und lieben will, denen nehmen "wir" ja nichts; nichts - außer die Wahrheit über Ehe und Familie, ihren Sinn. Siehe wiederum: Humanae vitae tradendae (1968). Wenn die "neue Lehre" erst einmal das gesamte Bildungswesen, alle Kultursachbereiche und dann auch das widerstandsunfähige, deutschnationale Kirchendasein durchwirkt haben wird, dann werden auch Folgen sichtbar werden, an die noch keiner denkt. Denn noch ist es herrschende Meinung, dass nur wenige Menschen von Natur aus so sind: "Ich bin schwul geboren" (Jens Spahn). Das bestreite ich. Es kommt auf den Einzelfall an. Aber multikausale Erklärungsmodelle werden heute abgedrängt. Das Faktum soll in sich bereits moralisch sauber sein. Das ist "interessegeleitete" Vernunft, die Übereinstimmung von Sache und Gedanke, wie es St. Thomas lehrte, gar nicht mehr anstrebt. Die "verspielte" Vernunft will nur spielen.

Aber plötzlich beißt sie kräftig zu, hörig dem Dämon im Ohr.

Eine 15-jährige Schülerin der 'Gaesdonck' im Bistum Münster sagte neulich: "Die Jungs, die gut aussehen, sind alle schwul." Das kann nicht wahr sein, war auch nie wahr. Aber diese Stimmung breitet sich aus. Die sexuelle Inversion wurde bis vor kurzem als eine Phase bewertet, die der heranwachsende Jugendliche überwindet. Jetzt wird im Namen einer unfehlbaren "Natur" und wider das Naturrecht, das ja auch Ansprüche an die gefallene Natur richtet, sogar die Überwindung eines ephemeren Defizits vereitelt, die Verfestigung des Habitus hingegen gefördert. Wenn "queer" also doch normal sein soll, warum ziehen viele "Jungs" sich zwischen 50 und 70 zum CSD - casus sentit dominum - noch so an, als ob Mama sie für den Kindergarten fertigmacht? Der Fall trifft den Herrn!

Wo steht man in dieser Situation "romtreu"? Papst Franziskus hat die Lehre der Kirche nicht geändert, in keinem Punkt. Romtreu wäre in dieser Lage aber sowieso nicht, wer jeder Äußerung des Bischofs von Rom sofort und eifrig zustimmt. Das war nie gefordert. Romtreu ist generell der Katholik, der sich zur alten Überzeugung bekennt: Prima sedes a nemine iudicatur. Der "erste Sitz" (eines Bischofs, Rom) wird von niemandem gerichtet. Der Papst darf nicht alles. Aber seine Fehler und Sünden finden diesseits keinen zuständigen Richter. Nur so existiert Kirche auf Erden wirklich vollständig. Man hat es anders versucht. Aber die Tatsachen sprechen dafür, dass anderes Kirchesein weniger vollständig ist: Man betrachte nur das halbwegs gescheiterte orthodoxe Konzil von Kreta 2016 einerseits und andererseits der Zerfall der "Reformation" in tausende Reformatiönchen 2017. 'Roma, luce delle genti, il mondo spera in te.' Licht der Völker, Rom, die Welt hofft auf Dich. Die enorme Zustimmung vor allem auf der Südhalbkugel zum aktuell regierenden Papst - nicht in allen Einzelheiten, bestätigt diese Weisheit einmal mehr.

Von den vermeintlich unabhängigen Medien genüsslich kolportierte Orgien im Vatikan können also nicht davon ablenken, dass der Katechismus der Kirche und alle Päpste mindestens seit Julius III. (der vielleicht schwul war) zu unserem Thema "klare Kante" bieten: Ehe ist da, wo Mutterschaft möglich ist, matrimonium. Die Kirche ist hier überraschend matriarchalisch. Wirkliche Mutterschaft ist der Zweck. Der Vater kann "echt" Vater sogar dann sein, wenn er "biologisch" nicht der Vater des Kindes ist. Die überlieferte Ehe war also der Schutzraum der Mutterschaft. Auch ungewollt unfruchtbare Ehen bilden das gute, alte Recht des Instituts im vollen Sinn ab, weshalb sie mit Recht auch Ehe genannt wurden. Den unglücklichen Ausnahmefall aber als Argument herzunehmen, um die neue Definition zu stützen, offenbart frappierend den zynischen Widersinn des ganzen Unterfangens.

Da aber die Mehrheitler ihrerseits völlig unbelehrbar sind und sie ihr Projekt - fast ausnahmslos; links der Mitte stimmte niemand aus Gewissensgründen gegen die kleine Utopie im Standesamt - zivilreligiös überhöhen, muss die krasse Minderheit der 'Altfamilisten' sich im Gegenzug gleichfalls für neue Ideen öffnen. Aussichtsreich wäre ein "Feldzug" für die weitere Aufweichung, Dekonstruktion und Vereinfachung der Zivilehe.

Die Zivilehe könnte vom Gesetzgeber alternativ neben die religiöse Ehe gestellt werden. Es gäbe dann Ehen "für alle": für Christen, Juden, Muslime: in religiöser Form; für andere in ziviler Form. Das Paar, das eine religiöse Ehe schließt, teilt dem Standesamt mit, ob es die zivilrechtlichen Folgen wünscht oder nicht. Die obligatorische Zivilehe entfällt. Neben die standesamtliche Ehe könnte überdies eine vereinfachte Form gestellt werden, nämlich die "Notar-Ehe". Notare würden das Recht erhalten, in Eheverträgen auch die Eheschließung selber vorzunehmen. Der Notar macht dann gleichfalls, wie der Pfarrer, Diakon oder Rabbiner, dem Standesamt kurze Mitteilung, dass die zivilrechtlichen Folgen der Eheschließung erwünscht sind. Im Unterschied zur feierlichen Ehe vor der Standesbeamtin, wäre die Notar-Ehe auch durch Notarvertrag auflösbar. Die Einkommen von Scheidungsanwältinnen würden dadurch freilich drastisch sinken. Wer eine Notar-Ehe schließt, der soll auch entscheiden dürfen, ob die Kinder als ehelich oder nichtehelich qualifiziert werden. Bei solch einem vielseitigen Angebot hätten wir dann einen Pluralismus, der auch Altreligiöse wieder nach eigenem Recht toleriert. Willkommen in der neuen Zeit: Viele Ehen für viele Einzelfälle! Darüber wird noch nachzudenken sein.

Der Verfasser, Dr. iur. Franz Norbert Otterbeck, ist Rechtshistoriker und Wirtschaftsjurist. Siehe auch kathpedia: Franz Norbert Otterbeck.


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