Wider das Lagerdenken

1. August 2017 in Kommentar


In der Kirche ist das Lagerdenken ein Übel, ein Ärgernis - Es verstößt gegen das Liebes- und Einheitsgebot - Diakrisis am Dienstag von Stefan Meetschen


Linz (kath.net)
Auf Jesus vertrauen, den Herrn der Kirche, auf den Heiligen Geist, der alles führt, man wird schon irgendwie durch die dunkle Zeit kommen – in manchen katholischen Kreisen gehen Resignation und Hoffnung zurzeit nahtlos ineinander über. Bei anderen hingegen herrscht eine geradezu euphorische Aufbruchsstimmung angesichts einer neuen, vorher so noch nicht erlebten Offenheit und Macht. Die alte konservative Garde scheint endlich lahm- oder stillgelegt zu sein. Eine langersehnte Transformation kann beginnen oder mit größerem Tempo, mit mehr Druck fortgesetzt werden.

Mir machen solche Entwicklungen, die mit dem Ausdruck „faktisches Schisma“ gut oder nicht gut auf den Punkt gebracht werden, Sorge – und zwar weniger, weil ich mir Sorgen um den Fortbestand der Kirche mache, die von Jesus eine erstklassige Sicherheitsgarantie erhalten hat, die auch durch andere aufregende Epochen hindurch gültig geblieben ist. Was mir Sorge macht, ist das sich weiter verschärfende Lagerdenken. Das Denken in „Wir“ und „die anderen“-Kategorien. Die zunehmende Fragmentarisierung.

Denn: So berechtigt ein solches „Freund-Feind-Denken“ im politischen Kontext auch sein mag, ohne das man Andersdenkende diffamieren sollte – in der Kirche, unter Menschen, die sich als Katholiken oder Christen bezeichnen, ist das ein Übel, ein Ärgernis. Es verstößt gegen das Liebes- und das Einheitsgebot, weil man die eigene Sichtweise zum Maß aller Dinge erklärt und über die anderer Christen erhebt. Das kann schnell in die Enge führen. Zu Engstirnigkeit, gemischt mit überheblicher Polemik. Das wäre eine Art von Anti-Evangelisation.

Ich bin im Laufe der vergangenen Jahre vorsichtig geworden, wenn Katholiken – egal ob man sie rechts oder links, progressiv, konservativ oder traditionalistisch verorten möchte – mit schnellen, griffigen Mustern und Einordnungen kommen. Etwa: „Das ist Häresie!“, „Das ist Fundamentalismus!“, „Das ist gegen den Willen Gottes!“ oder „Dahinter stecken bestimmt die und die ...“. Nicht nur, weil die Welt tatsächlich komplexer ist als man denkt, habe ich Zweifel an solchen Kategorisierungen. Auch die Kirche und das geistliche Leben sind komplexer, reicher und vielschichtiger. Der Katechismus lässt eine Menge von Spielräumen der Interpretation, wenn es um die vorletzten Dinge geht.

Und die letzten Dinge? Was hilft es mir, wenn zum Beispiel jemand coram publico tolle Reden über Himmel und Hölle, die Liturgie und das Seelenheil schwingt, sich im persönlichen Kontakt – und ich schreibe das eingedenk meiner Fehler und Schwächen – als ziemlich mieser Charakter entpuppt? Oder: wenn jemand eine Huldigung von Vergebung und Barmherzigkeit vorführt, in der direkten Begegnung oder in der Familie diese Werte aber vermissen lässt? Was für ein Zeugnis gibt man mit derartigen Dissonanzen ab?

Ich bin mittlerweile – und natürlich wird es Leute geben, die das sehr bedenklich finden – zurückhaltender, man könnte auch sagen, zahmer geworden bei meinen Urteilen. Vielleicht auch vorsichtiger oder unsicherer. Ist das eine Folge des Älterwerdens oder der Reife? Der Philosoph Hans-Georg Gadamer hat im Gespräch mit dem „Spiegel“ jedenfalls einmal betont, dass ein echtes Gespräch die Haltung voraussetzt, dass „der andere Recht haben“ könnte.

Das gefällt mir. Und das ist in meinen Augen auch keine Einladung zu grenzenloser Beliebigkeit und Vielfalt – dahinter steckt ein klares Bekenntnis zu intellektueller und menschlicher Redlichkeit. Wenn jemand alles immer besser weiß, braucht er doch keinen Dialog. Wenn jemand nicht willig ist, von anderen Menschen zu lernen und seine eigenen Positionen in Frage zu stellen, erweist er sich dabei doch als ungeeignet für einen aufgeklärten Diskurs.

Will man das? Keinen Dialog, keinen Diskurs? Ich will mich damit nicht abfinden. Dafür ist mein Vertrauen in den Menschen zu groß.


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