Der Zölibat ist ein Ärgernis

24. August 2017 in Kommentar


Ruhestandspriester Fleiner forderte die deutschen Bischöfe auf, Priesterweihe-Zugangsvoraussetzungen zu ändern. Zölibatsverpflichtung sei Hauptgrund für fehlenden Priesternachwuchs. Gastkommentar von Pfr. Norbert Abeler / Pilgerseelsorger in Fatima


Bonn-Lissabon (kath.net) Die Zahl der Priesteramtskandidaten im Jahr 2017 bewegt sich auf dramatisch niedrigem Stand. Die Sorge vieler Diözesen, wie sie in Zukunft ihre Pfarreien mit Priestern versorgen wollen, ist ungeheuer groß. Manche Diözesen greifen auf Strukturreformen zurück, die Großpfarreien aus Gemeindeverbünden bilden, die das Format früherer Diözesen haben. In Deutschland gibt es schon Pastorale Räume, für deren Leitung man in Italien sofort die Bischofsweihe bekäme.

Die Sorge mancher Christen ist verständlich, ob sie in Zukunft noch einen Priester in ihrer Reichweite finden werden.

Der 86-jährige Ruhestandspriester Siegfried Fleiner fordert in einem offenen Brief (http://katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/zunehmender-groll-gegen-die-deutschen-bischofe) die deutschen Bischöfe auf, die Zugangsvoraussetzungen zur Priesterweihe zu ändern und nennt als Hauptgrund für den fehlenden Priesternachwuchs die Verpflichtung zum Zölibat. Das sei jedem Gemeindemitglied und auch den Bischöfen bekannt. Daher würde dessen Abschaffung seiner Meinung nach wohl das Problem lösen.

Als Spätberufener (Geburtsjahrgang 1957, Weihejahrgang 1995) blicke ich inzwischen auf 22 Priesterjahre zurück. Wenn Pfarrer Fleiner heute an den Altar tritt und den Blick in die Gemeinde richtet, wird er vermutlich feststellen, dass der Großteil der Gottesdienstgemeinde jünger ist als er selbst. Mir geht es in der Regel umgekehrt. Ich blicke meistens in Gemeinden, in denen ich selbst der jüngste bin, und das mit 60 Jahren! Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, dann war es schon damals so, dass meine Altersgenossen in der Regel mit dem Glauben nicht viel zu tun hatten. Ich gehöre heute zur Generation der Großeltern. Meine Generation hat sich im Blick auf die Glaubensweitergabe sicher nicht mit Ruhm bekleckert, und was ich selbst nicht habe, kann ich kaum weitergeben. Die Generation der Kinder meiner Altersgenossen hat dementsprechend über noch weniger verfügt, das sie weitergeben konnten. Das sind inzwischen drei Generationen, in denen die Bedeutung des Glaubens massiv zurückgegangen ist.

Somit teile ich nicht die Auffassung von Pfarrer Fleiner, dass das Problem in den Zugangsvoraussetzungen zur Priesterweihe liegen. Berufungen wachsen dort, wo der Glaube in den Herzen und Häusern der Menschen eine Bedeutung hat. Dort liegt das eigentliche Problem: Leider fürchte ich, dass, bevor den Gemeinden die Priester ausgegangen sein werden, den Priestern die Gläubigen abhandengekommen sein werden. Pfarrer Fleiner mag heute noch Gottesdienstgemeinden finden, aber wenn ich sein Alter erreicht habe, dann müsste ich wohl befürchten, meine Messen allein zu feiern.

Von daher sehe ich die Zukunft der Kirche dort, wo den Menschen eine Relevanz des Evangeliums nahe gebracht wird. Die Bemühungen mancher Diözesen gehen in diese Richtung, mit mehr oder weniger Erfolg.

Für den Priestermangel sind eben gerade nicht die Zugangsvoraussetzungen verantwortlich, sondern die Relevanz des Glaubens im Leben der Menschen, die schlicht abhandengekommen ist. Wo aber die persönliche Beziehung zu Christus nicht vorhanden oder abgerissen ist, da wird der Ruf Gottes wohl kaum mehr wahrgenommen.

Persönlich habe ich viele junge Menschen in den neuen geistlichen Bewegungen erlebt. Wenn dort das Gründungscharisma ehrlich gelebt wird, dann können sie tatsächlich das „Salz der Erde“ sein, das geeignet ist, die Gesellschaft zu durchsäuern. Die Diözesen tun gut daran, diese Bewegungen nach Kräften zu fördern. Schließlich bringen die Gemeinschaften sogar Berufungen hervor, die wir nur mit offenen Armen aufnehmen müssen.

Interessant ist der Blick in unser Nachbarland Frankreich, das seit der zweiten Säkularisation 1905 eine bettelarme Kirche hat, deren Bedeutung im öffentlichen Leben kaum wahrnehmbar ist. Allerdings sind dort in den vergangenen hundert Jahren eine Reihe von kirchlichen Erneuerungsbewegungen entstanden, die teilweise heute schon in deutsche Diözesen ausstrahlen. Von ihnen könnte das Signal ausgehen, dass auch die deutschen Diözesen ihre Angst vor einem Verlust an weltlicher Macht verlieren sollten, wie Benedikt XVI. in seiner Freiburger Konzerthausansprache 2011 vorgeschlagen hat.

Vermutlich würden die Rufe nach Abschaffung des Zölibats auch schnell verstummen, wenn eine von der Kirchensteuer befreite arme Kirche in Deutschland ihren Klerus nach französischem Vorbild besolden würde.

Norbert Abeler ist Pilgerseelsorger im Heiligtum von Fatima und Pfarrer der Katholischen deutschsprachigen Gemeinde in Lissabon/Portugal.

Fatima-Seelsorger Pfr. Abeler im Gespräch mit Julia Wächter/Bistum Regensburg



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