Die Anziehung der Muttergottes

25. August 2017 in Kommentar


Ja, ziehe uns zu Dir, Mutter und Jungfrau, und führe uns zu deinem Sohn – sei gegrüßt, Maria! - BeneDicta am Freitag mit Gudrun Trausmuth


Wien (kath.net)
„Wissen ’S, ich bin heut 90!“ Ein rundes, sympathisches altes Gesicht, wache blaue Augen hinter einer runden Brille, Hände, die von viel körperlicher Arbeit erzählen, ein liebes Lachen. Dazu die lässige Kombination von Sakko und Jeans - ganz mein der Typ, der alte Herr, zu dem ich mich an diesem Fest Maria Königin in der Mariazeller Basilika auf die freistehende Holzbank setze. Während der Messe beugt er sich mehrmals zu mir herüber, erzählt mir kurz etwas; ich überlege traurig, wie einsam er sein muss, wenn er an seinem 90. Geburtstag allein hierher in die Basilika kommt und mit mir, einer ganz Fremden, sein Leben teilt. Doch da tauchen – als Überraschung für den Jubilar - zwei Bekannte des alten Herrn auf, die mit ihm gemeinsam bei der Muttergottes von Mariazell seinen Geburtstag begehen möchten. Er greift mir ans Herz, der alte Herr, so wie er ist, wie unbändig er sich über die Überraschungsgäste freut und weil er da am Gnadenalter neben mir in der hl. Messe betet, singt und weint. Er bringt sich und sein Leben zur Muttergottes, wie ich es auch zu tun versuche, nach einem langen Sommer und vor einem intensiven Arbeitsjahr.

Was für ein großes Geheimnis hinter all diesen Leuten, die zur Muttergottes pilgern, wie viele Biographien und Schicksale…. Das Paar vor mir küsst sich beim Friedengruß und sagt zueinander „Auf die nächsten 47 Jahre!“ - Ein Mann schiebt mit Lächeln seinen erwachsenen Sohn, der ein Spielzeug in den Händen hat, im Rollstuhl in die Basilika, „Was für ein Zeugnis der Hingabe und Tapferkeit“, denke ich.

Mariazell, Fatima, Lourdes, Tschenstochau …., überall habe ich diese unglaubliche Anziehung der Muttergottes erlebt. Dieses letzte Vertrauen, dass der Mutter Christi entgegengebracht wird, ihr, die es schon zu Lebzeiten ihres Sohnes übernahm, IHM die Leiden der Menschen zu referieren: „Sie haben keinen Wein mehr“ (Joh 2,3) Sich bergen unter dem Mantel der Muttergottes, an ihrem Herzen zu ruhen, sich da zu stärken, hat eine ganz eigene Qualität: zur Mutter gehen, zur Mutter vom Guten Rat, zum Inbegriff von Güte und Barmherzigkeit. Oft ist sie eine letzte Zuflucht in vielerlei Sinn: sogar Menschen, die den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, pilgern manchmal zur Muttergottes, und finden dann oft über die Mutter den Sohn…

Maria, der Mensch, der ganz so war, wie Gott den Menschen geplant hatte. Die Erwählte des Höchsten, die Braut, die Jungfrau und Mutter, die Arche des Bundes, der Turm Davids. Sie, in der sich der Himmel der Erde zuwendet, bis zum heutigen Tag. Sie hält – liebend und mahnend - der dunklen, verworrenen Welt die Treue, wie es eine Mutter ihren Kindern gegenüber tut, auch wenn die Kinder auf bedenklichen Wegen gehen.

Am meisten bewundere ich an Maria, wie frei und wie bedingungslos sie ihrem Weg ergeben war. - Wie sehr das Schicksal der Menschheit an Marias „Ja“ gebunden ist, illustriert wunderbar eine Passage des hl. Bernhard von Clairvaux aus den vier Predigten „In laudibus virginis Matris“. In diesen herrlichen Reden, wo die Rhetorik das Drama berührt, hält der Himmel gleichsam den Atem an, die ganze Schöpfung verharrt in banger Spannung und erwartet die Antwort der Jungfrau auf die Botschaft des Engels. Marias „Fiat“ dann bringt den Himmel zum Jubeln! „Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“, wird Elisabeth, voll des Heiligen Geistes später Maria sagen, als die beiden ungeborenen Kinder einander erkennen. (Lk 1,44f)

Und dann das unvergleichliche Gedicht, der inspirierte Lobpreis, mit dem Maria auf das Wort Elisabeths antwortet: „Magnificat anima mea Dominum…!“ – „Meine Seele preist die Größe des Herrn…!“ - Gott in sich groß sein lassen, ein fast unfassbares Programm für uns, die wir aus so vielen Richtungen zur Selbstverwirklichung ohne Gott aufgefordert werden, bis hin zur absurden Selbstdefinition unserer geschlechtlichen Identität…. Entsprechend wird Maria in ihrer freien Hingabe vielen zur Provokation, gleichsam zum gefährlichen Gegenprogramm zu dem, was sich aggressiv zum absoluten Dogma unserer Gesellschaft aufschwingen möchte. Doch vergessen wir nicht, Maria ist nicht nur das hingegebene Mädchen, sie ist zugleich, in der Apokalypse des Johannes, die Frau, die der Schlange den Kopf zertritt, die machtvolle Kämpferin gegen den Satan.

„Gott in sich groß sein lassen“, diesen Satz, der mich dieser Tage neu aufgerüttelt hat, reflektierte Benedikt XVI. in einer Predigt im Jahr 2005 folgendermaßen: Meine Seele "macht den Herrn groß", das nennt sie " preist die Größe des Herrn". Maria möchte, dass der Herr in der Welt, in ihrem Leben groß ist, dass er unter uns allen gegenwärtig ist. Sie hat keine Angst, dass der Herr ein "Konkurrent" in unserem Leben sein könnte, dass er uns durch seine Größe etwas von unserer Freiheit, unserem Lebensraum nehmen könnte. Sie weiß, dass wenn Gott groß ist, auch wir groß sind. Unser Leben wird nicht unterdrückt, sondern es wird erhöht und weitet sich: Gerade dann wird es groß im Glanz Gottes.
So einfach und klar, und zugleich so schwer für uns! Und doch immer wieder die Erfahrung, dass Maria uns dabei hilft, unsere Grenzen zu erweitern, nach dem verzweifelten Stoßgebet „Maria, hilf!“ in einer aktuellen Not, oder im ruhigen Blick auf ihr Leben, dem kein Leid fremd war.

Neben dem „Magnificat“ hängt mein Herz besonders am lateinischen „Salve Regina“, dieser trostvollen spätabendlichen Reverenz der Kirche an die Muttergottes, nach der in den Klöstern das große Schweigen bis zum nächsten Morgen beginnt. „… o clemens, o pia, o dulcis virgo Maria!“ endet der Hymnus. Das „dulcis“, in der deutschen Übersetzung des Magnificat , „süߓ ,übersetze ich innerlich lieber mit „liebreich“ oder auch „anziehend“ - Ja, ziehe uns zu Dir, Mutter und Jungfrau, und führe uns zu deinem Sohn – sei gegrüßt, Maria!


© 2017 www.kath.net