Rezension zu Rainer M. Schießler: 'Himmel – Herrgott – Sakrament'

29. August 2017 in Kommentar


Selbstbewusste Protestanten und (!) Katholiken müssen Schießler deutlich sagen: Den Geltungsanspruch für seine wohlklingenden Grundsätze hat er durch den Verzicht auf Bibel und Tradition selbst ad absurdum geführt. Gastbeitrag von Pfr. Stefan Felber


München (kath.net/Diakrisis/Homepage Dr. Stefan Felber) Eigentlich werden in dieser Zeitschrift nur Bücher besprochen, die in geistlicher oder akademischer Sicht empfohlen werden können. Das ist beim vorliegenden Buch nicht der Fall. Trotzdem ist es sinnvoll, um das Buch zu wissen, denn der Blick auf die erreichte Auflagenhöhe zeigt, dass das Kirchenvolk derlei gerne liest, und es ist die Aufgabe der Kundigen, Kriterien zur Einschätzung weiterzugeben.

Der Münchner katholische Priester Rainer Maria Schießler (*1960), der (wie mir gesagt wurde) durch eine zahlenmäßig erfolgreiche Gemeindearbeit bzw. durch eine eigene Talkshow im Bayerischen Rundfunk überregionale Bekanntheit erlangt hat, berichtet offenherzig von seinen Lebens-, Glaubens- und Erkenntniswegen. Zunächst fasse ich einige seiner Grundthesen über Glaube und Gemeindearbeit zusammen. Die biographischen Wegmarken, mit nur lockerem Textbezug gegliedert nach „Morgen-, Mittags- und Abendläuten“ – z.B. das Verhältnis zu den Eltern, die Erfahrungen Schießlers beim Taxi- und Motorradfahren, als Fan der 60er, als Bedienung auf dem Münchner Oktoberfest, und die immer wieder thematisierte Einsamkeit im katholischen Pfarrhaus – wären sicher für das Verständnis seines So-und-so-Gewordenseins wichtig, ich lasse sie aber aus, weil mir für das Gespräch über das Buch entscheidender erscheint, welche theologischen Schlußfolgerungen und Begründungen Schießler anführt.

1. „Glaube kommt von innen heraus. Aus dem Herzen. Weil wir erkennen, für uns selbst, dass etwas richtig ist, stimmig ist und sich gut anfühlt“ (S. 76, ähnlich 141. 186. 223 u.ö.). „Der Kult, den wir Menschen in den verschiedenen Religionen betreiben, ist nicht göttlich. Der religiöse Kult ist der Versuch des Menschen, nachzustellen und für andere sichtbar zu machen, was er in seinem Innersten fühlt, wenn ihm Gott erscheint. Es ist und bleibt das rührende Sehnen des endlichen Wesens Mensch, sich auszustrecken nach der Unendlichkeit“ (107). „Ein Sakrament zum Beispiel ist wie eine Bedienungsanleitung – jeder kann nachlesen, was zu tun ist. Das Sakrament bleibt eine Bedienungsanleitung und in der Wirkung völlig sinnentleert, wenn wir ihm nicht mit unserer (!) Kraft zu glauben Leben einhauchen.“ (139)

Für Schießler ist jedwede Religion (auch der christliche Glaube) Menschenwerk, und ihre Ausübung immer eine Erfüllung menschlicher Bedürfnisse. Darum stehen alle Religionen gleichwertig nebeneinander.

2. Weil Glaube aus dem Herzen des Menschen kommt, muss, so Schießler, alles Religiöse freiwillig geschehen (133. 223 u.ö., angewandt auf den Zölibat 188). Damit ist nicht nur Zwang ausgeschlossen, sondern überhaupt jede inhaltliche Vorgabe für den an Kirche oder Glaube interessierten Zeitgenossen. In Schießlers Gemeinde(n) gibt es z.B. für die Vorbereitung zum Empfang der Erstkommunion keinerlei verpflichtende Lehrstücke (214f.). Der Unterricht wird von Freiwilligen oder Eltern selbst organisiert und durchgeführt. „… verbrennt Lehrpläne und gebt lieber Zeugnis von eurem Glauben, berichtet von euren eigenen Fragen und Erfahrungen. Erzählt. Seid spannend“ (216)! In einem offenen Gespräch sollen Kinder „sich ihr eigenes Bild entwickeln“ (216). Eine Anwesenheitspflicht sei überflüssig, ja schädlich, zumal die Eigenmotivation in seiner Gemeinde hoch genug sei (223f.).

3. Da das Gottvertrauen bei Schießler „so tief und fest in mir drin“ sitzt – „denn ich habe dieses Gefühl von der Allgegenwart Gottes von klein auf erfahren“ (73) –, wird der argumentative Diskurs z.B. mit einem Atheisten obsolet. „Niemand kann mir das wegargumentieren. Fertig. Im Gegensatz zum Atheisten habe ich damit etwas gespürt und erfahren, was sich nicht teilen lässt – weil hier der Glauben [sic] beginnt. Wozu soll ich etwas rational diskutieren, was sich wissenschaftlich, rational nicht beweisen lässt – und womöglich im Streit zerstören lassen? Danke. Aus und Amen.“ (74)

4. Einige von Schießlers knappen „Lehrsätzen“ lauten: „Du musst die Leut mögen“, „Liturgie darf nicht wehtun“ (je 118ff.), „Sakramente muss man spüren“ (139ff., darum wird z.B. der ganze Kopf eines Täuflings gesalbt, damit man es gut riecht!, 141); und aus der Aufzählung von S. 186: „Grenzenlose Liebe zur Schöpfung“ und „Grenzenlose Barmherzigkeit“, „Du hast das Recht, Taxi zu fahren“, „Du musst Motorrad fahren, weil: Die größte Sünde das ungelebte Leben ist“.

Daraus folgt für die praktische Gemeindearbeit das Streben nach unbedingter Akzeptanz jedes Menschen. Letztlich hätten nicht Menschen die Kirche verlassen, sondern die Kirche die Menschen. Ihnen muss sie jetzt wieder nachgehen.

Ich hoffe, soweit ganz im Sinne Schießlers zusammengefaßt zu haben. Was hier gefällt und beeindruckt, ist eine entwaffnende Ehrlichkeit und Offenheit. Sonst hätte das Buch nicht in einem Jahr 14 Auflagen hinter sich gebracht. Schießlers Anziehungskraft als Bayrisches Urviech (siehe seine Youtube-Videos!) ist ein Indiz dafür, dass hier jemand intensiv transparent und authentisch erlebt wird, bzw. dem man abnimmt, dass er es grundehrlich meint. Genau diesen Eindruck macht das Buch: Da schreibt einer, der ganz offen vor die Leute tritt, der zugibt, wie er geworden ist und woher seine Einsichten stammen, und immer froh ist, für alle etwas im Angebot zu haben, auch für Schwule und Lesben, für Gescheiterte und Erfolgreiche, für Vereinsamte und für Tierliebhaber („Viecherlmesse“, 235ff.). Gerade diese Alleinstellungsmerkmale in der katholischen Kirche sichern Schießler seinen „Erfolg“, die Überläufer aus anderen Gemeinden, die sich dort nicht hinreichend akzeptiert fühlen.

Wo liegt das Problem? Beginnen wir mit Schießlers Erkenntnisweg! Wir erfahren, wie er seine Erkenntnisse gewonnen hat. So weit, so nicht hinterfragbar. Das Problem aus evangelischer und (!) katholischer Sicht ist (oder: sollte sein!), dass dabei Bibel und Tradition keine, jedenfalls keine bestimmende Rolle spielen; man denke nur an Schießlers Haltung zur Schwulenehe oder zur Frauenordination oder zu den Inhalten der Katechese. Was aber ist für Schießlers Grundsätze die Quelle? Er führt autobiographisch eine Begegnung oder Beziehung nach der anderen auf! Es ist ja in Ordnung, von der Mutter oder von geistlichen Mentoren viel zu lernen. Aber können deren Grundsätze zur allgemeinen Norm erhoben werden? In der Theologie geht es doch nicht um ein Berufswissen wie für einen Schreiner oder einen Polizisten, die sich je nach der aktuellen Lage in Angebot und Nachfrage richten müssen, sondern um Einsichten, die aus der Ewigkeit Gottes stammen und wieder in diese führen sollen. Doch die Ewigkeitsperspektive fehlt so schmerzlich bei diesem im wahrsten Sinne leutseligen Priester: Das Leben, an das er bei Beerdigungen erinnert, scheint nur das irdischgeschöpfliche zu sein. Und wo er um die Segnung einer altgewordenen Katze mit Weihwasser gebeten wird, gibt er dem Wunsch „natürlich“ nach: „Das mache ich immer so – dann geht’s demjenigen gut, das das Tier gebracht hat. Er fühlt sich erleichtert. Was will ich denn mehr erreichen?“ (238, meine Hervorhebung; vgl. 235) Weiß er denn nicht von seiner Berufung, daß er mehr erreichen soll? Schießler ist geistlich-theologisch so furchtbar schnell zufrieden, nach dem Motto: Ich habe jemandes Bedürfnis befriedigt – geht es ihm gut, dann auch mir.

Nun zum ersten Punkt von oben (Glaube komme aus dem Herzen). Nach biblisch-reformatorischer Einsicht ist (jedenfalls wahrer) Glaube ein Geschenk Gottes, nicht das Werk des menschlichen Herzens. Vor allem: Glaube wird empfangen durch das Hören des Wortes Gottes:
Gal 3,2+5: „2 Das allein will ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? … 5 Der euch nun den Geist darreicht und tut solche Taten unter euch, tut er‘s durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? (vgl. Röm 10,14–17) Das menschliche Herz, dies „trotzig und verzagt Ding“ (Jer 17,9) an und für sich ist eine Götzenfabrik und kann den rettenden Glauben nicht hervorbringen; den muß der Heilige Geist uns einsenken (Jer 31,31–34). Das betrifft auch den zweiten Punkt: Wäre Glaube Menschenwerk bzw. käme er nur aus dem menschlichen Herzen, dann wäre dieser Glaube so sündhaft wie alles andere am Menschen. Er ist aber „allerheiligst“ (Judas 20)! Doch die Sünde hat – nach biblischer Anthropologie ein Grunddatum unserer Vorfindlichkeit – in Schießlers Reflexionen keinen Platz. „Paßt scho“ würde seine antinomistische Haltung zum Nächsten besser charakterisieren. Man fragt sich, wozu Jesus überhaupt sterben musste. Zur Sühne sicher nicht, allenfalls als Vorbild für seine Hingabe.

„Der Sünde Sold ist der Tod“, sagt Paulus (Röm 6,23). Gibt es aber keine Sünde, so ist auch der Tod, nach Paulus „der letzte Feind“ (1.Kor 15,26) und das Gericht Gottes über den Sünder, kein Problem mehr. Schießler: „Der größte Fehler, den wir machen, ist, dass wir den Tod zu unserem Todfeind erklären …“ (178)! Analog wird auch die Beichte überflüssig. „Ich nehme keine Beichte ab, aber was die Leute mir erzählen, ist oft beichtwürdig“ (245). Also gibt es bei ihm keine Beichte mehr? Wenn doch, so ist sie vermutlich vor allem als innere Befriedung gedacht wie seine abendliche Komplet (250f.): Gott ist ja ohnehin gnädig, jetzt muss nur noch der Mensch befriedet werden.

Wenn Glaube nur von innen nach außen tritt (141: sonst „bleibt er formal und funktional wie eine Raufasertapete im Finanzamt“) und auf persönlichen Erfahrungen basiert, ist die entscheidende Bedeutung des Wortes Gottes für das Entstehen des Glaubens außer Kraft gesetzt. Biblisch gesehen wird der Glaube dem Menschen von außen nach innen geschenkt, und zwar durch das Wort Gottes, also durch die Kraft, die Tote lebendig und aus steinernen Herzen fleischerne macht (Eph 2 und viele andere Stellen!), die Kraft, die den in sich verlorenen Menschen selig macht. Schießler hat es umgedreht! Am Konzept Person statt Text hätten Schleiermacher und der postmoderne, liberale Protestantismus ihre helle Freude. Eine solche Ökumene ist in der Tat leicht gewonnen, ja auch interreligiös ausdehnbar! Es ist wie im liberalen Protestantismus: Schießler ist ausgezogen, die Kirche zu retten; tatsächlich macht er sie durch seinen Sozialverein überflüssig. In seinem Verständnis von Glaube ist das Angewiesensein auf das Eingreifen Gottes durch das göttliche äußere Wort (verbum externum) überflüssig. Es gibt nur noch menschliche verba interna – in unendlichen Formen, und diese stehen alle gleichwertig nebeneinander. Wozu noch diskutieren?

Damit sind wir beim dritten Punkt, und der ist ziemlich widersprüchlich. Schießler entzieht sich einer rationalen Diskussion. Für seinen Glauben gibt er im Wesentlichen seine Biographie an, auf theologische Argumente verzichtet er fast vollständig (ausgenommen z.B. für die Gleichwertigkeit der Tiere mit dem Menschen und die von Mann und Frau, allerdings allzu knapp und fragwürdig). Wenn nun der Atheist für sein Nichtglauben ebenfalls seine Biographie angibt, beendet Schießler das Gespräch! „Danke. Aus und Amen.“ (74) Warum aber erzählt er uns dann seine Biographie? Also nicht, um vom Glauben zu überzeugen? Schreibt er doch so schön: „Wo ich bin, was ich tue, was ich sage – alles ist Verkündigung (!). Ich gehe mit meinem Glauben überall hin – vor allem dorthin, so Kirche nicht anwesend ist“ (242).

Summa summarum: Schießler scheint mir besonders solche Menschen zu beeindrucken, die nach einer authentisch auftretenden Persönlichkeit Ausschau halten, dabei aber den Inhalten gegenüber weitgehend indifferent sind. Das gilt besonders für solche Christen (aller Konfessionen), die zwar in engerer oder lockerer Verbindung zur Kirche stehen, aber selbst kaum biblische oder theologische Lektüre pflegen. Wer nicht vergleicht, und wer nicht an der Schrift prüft, wird leichthin sagen: Eine solch integrative, eine so tolerante Haltung (bis hin zu „multireligiösen“ Gottesdienst-Feiern*) ist genau das, was wir heute (!) brauchen.

Was nun? Mit Schießler akademisch-theologisch, ja auch disziplinarisch zu reden, wäre Aufgabe seiner Vorgesetzten. Sie werden sich vermutlich jedoch hüten, die von ihm gewonnenen Schäfchen wieder zu vertreiben. Und die säkulare Presse (von der sich Herrn Schießler fördern lässt) ist ihnen ohnehin nicht günstig gestimmt. So nimmt aber der schon unglaubliche Grad an Pluralität, die jetzt schon an der katholischen Basis herrscht, zu, und damit auch die Fliehkräfte, die diese Kirche bis zum Zerreißen spannen.

Selbstbewusste Protestanten und (!) Katholiken müssen Schießler deutlich sagen: Den Geltungsanspruch für seine wohlklingenden Grundsätze (vgl. die Aufzählung unter Nr. 4) hat er durch den Verzicht auf Bibel und Tradition selbst ad absurdum geführt. Sehr schade, denn damit fehlt die objektive, in Worten darzustellende (und so erst in ein wirkliches Gespräch führende) Grundlage auch für das Schöne und Gute, für das Schießler stehen will: Die Menschenfreundlichkeit Gottes.

Dr. Stefan Felber ist Pfarrer i.m.D. der bayerischen evangelisch-lutherischen Landeskirche. Er ist Dozent für Altes Testament am Theologischen Seminar St. Chrischona und Gastdozent für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Hochschule Basel (STH Basel).

Das rezensierte Buch: Schießler, Rainer M.: Himmel – Herrgott – Sakrament. Auftreten statt austreten, München: Kösel, 14. Aufl. 2016, 256 Seiten, ISBN: 978-3466371471.

* Fußnote:
Laut seinem Gemeindebrief vom Sommer 2017 (http://www.st-maximilian.de/downloads/pfarrei-zeitung-_-sommer.pdf). Dort auch der typisch liberale Subjektwechsel, im Kontext der multireligiösen Feier in seiner Pfarrkirche St. Maximilian am 22.7.2017: „Gerade weil wir zu dem einen Gott beten, liegt es an uns, das [sic] es Frieden werde. Er beginnt bei und mit uns [!]. Wenn wir es schaffen, in Frieden miteinander umzugehen, kann die Welt sich an uns erfolgreich orientieren!“ Die Bibel aber sagt, daß der Friede in Christus beginnt. „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14).

Foto: Titelblatt (Ausschnitt) (c) Kösel Verlag


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