Die Wunden von Aleppo heilen

2. September 2017 in Aktuelles


„Kirche in Not“ unterstützt eines der wenigen intakten Krankenhäuser - Von Josué Villalón und Stefan Stein.


München (kath.net/ KiN)
Ein Arzt betritt mit einer Krankenschwester ein Zimmer im Krankenhaus. Es ist Visite. Vier Männer liegen dort in den Betten, an jedem von ihnen hängt eine Infusionsflasche. Weiße Vorhänge trennen die Betten voneinander. Im ersten Bett liegt der 17-jährige Said Deri, der an Hodenkrebs leidet. Nebenan ist der herzkranke Remond. Sein Zustand ist schlecht. Ein Mann, Mitte 50, liegt im Bett am Fenster. Die Jalousien sind heruntergelassen. Er heißt Munir Ocsan und hat gerade Besuch von seiner Familie. Bald kann er nach Hause. Als er den Arzt hört und sieht, lächelt er. „Seine Wirbelsäule ist bei einem der letzten Bombenangriffe stark beschädigt worden“, erklärt Dr. George Theodory und begrüßt die Familie des Patienten.

Bomben gehörten jahrelang zum Alltag von Dr. Theodory, dem ärztlichen Direktor des Krankenhauses „St. Louis“, und seiner Patienten. Es liegt im Stadtviertel Ismailie im Westen von Aleppo, eine Stadt, die im Syrienkrieg besonders umkämpft war. Das Krankenhaus ist eine der wenigen medizinischen Einrichtungen, die nach Beendigung der Bombenangriffe im Dezember 2016 noch in der syrischen Stadt stehen. Viele andere Krankenhäuser sind zerstört. „Wir arbeiten Tag und Nacht, um Kriegsverletzte und andere kranke Menschen zu behandeln“, so Dr. Theodory. Die Patienten werden teilweise sogar kostenlos behandelt.

Auf den Fluren und in den Treppenhäusern des Krankenhauses „St. Louis“ tummeln sich Angestellte und Besucher, die ihre kranken Verwandten besuchen wollen. Auf einem Bild an der Wand steht das Wort „Frieden“ in mehreren Sprachen. Die Buchstaben sind zusammengesetzt aus Patronenhülsen, die auf der Straße gelegen haben.

Das Spital wird von der Ordensgemeinschaft „Schwestern des heiligen Josef von der Erscheinung“ betrieben. Das Krankenhaus ist zwar schon über 100 Jahre alt. Dennoch ist es modern eingerichtet.

Um aber auf den neuesten Stand zu kommen, müssten wichtige Geräte angeschafft werden. Doch dafür ist kaum Geld da. „Zurzeit haben wir 55 Patienten. Das Personal besteht aus etwa hundert Personen. Aber wir hatten schon einmal mehr als doppelt so viele Einlieferungen, Verletzte nach Bombenangriffen“, erläutert Dr. Theodory. Die angestiegene Zahl der Eingriffe hätten jedoch keine Steigerung des Budgets nach sich gezogen. „Die Einnahmen decken kaum die Kosten für die Gehälter und den Treibstoff für die Stromgeneratoren. Diese sind unverzichtbar, weil es in der ganzen Stadt an Strom mangelt.“ Das kann fatale Folgen haben, wenn mitten in einer Operation der Strom unterbrochen ist oder ganz ausfällt.

Die Ordensschwestern, die das Krankenhaus betreiben, haben sich an das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ gewandt. Sie benötigen Unterstützung aus dem Ausland, um die notwendige Ausstattung anschaffen zu können und überhaupt das Krankenhaus weiterhin bestehen lassen zu können. „Kirche in Not“ hat geholfen. Mehrere Generatoren für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, neue Endoskope und ein Lithotripter zur Entnahme von Nierensteinen stehen nun dem Krankenhaus zur Verfügung. Stolz und dankbar zeigt Dr. Theodory die neuen notwendigen Maschinen.

Er ist ein Christ griechischer Abstammung. Zu Beginn des Krieges wanderte er von Aleppo mit seiner Familie in die USA aus. Weil aber seine Arztausbildung dort nicht anerkannt wurde, kamen sie zurück. „Ich entschied mich für die Rückkehr, um mit meinen Leuten zusammenzuarbeiten und den Menschen zu helfen, die hier so sehr Hilfe brauchen.“ Er gibt zu, dass er manchmal Angst vor dem Krieg hatte, „aber mein Glaube hilft mir, Hoffnung zu haben. Ich bin Christ und fühle mich verpflichtet, den Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen.“

Dabei macht die Religionszugehörigkeit der Patienten für ihn keinen Unterschied. Auch wenn das Krankenhaus in katholischer Trägerschaft ist, seien 70 Prozent der Patienten Muslime, schätzt Dr. Theodory.

Auch Schwester Anne-Marie von den „Schwestern des heiligen Josef von der Erscheinung“ hat sich entschieden, Aleppo nicht zu verlassen. „Unsere Aufgabe ist es, den Kranken beizustehen. Und jetzt bedürfen sie unser am meisten“, sagt sie. Sie ist eine von sechs Schwestern der Gemeinschaft. Ursprünglich kommt die ausgebildete Krankenschwester aus Kanada und lebt seit 18 Jahren in Aleppo. „Zu Beginn des Krieges stellte uns unsere Oberin frei, das Land zu verlassen. Wir haben uns alle dazu entschlossen, hier zu bleiben.“

Die Ausdauer hat sich gelohnt. Die Unterstützung bei der Anschaffung der neuen Geräte durch „Kirche in Not“ war überlebenswichtig – nicht nur für das Krankenhaus, sondern vor allem für die Patienten. „Wir danken sehr für die großzügige Geste. Ohne sie könnten wir keine Patienten mehr behandeln, oder zumindest nicht in einer angemessenen Form.“

Von allen Patienten zeigten sich die Muslime besonders dankbar, fügt Schwester Anne-Marie hinzu. „Sie beeindruckt es, dass wir Christen ihnen mit so viel Liebenswürdigkeit helfen. Sie sagen, wir hätten sie besser als jedes andere Krankenhaus behandelt.“

Neben einigen Lichtblicken wie dieses Lob hat Schwester Anne-Marie in ihrem Beruf die dunklen Schatten des Krieges in Aleppo in den vergangenen Jahren erlebt. Ein Patient ist Schwester Anne-Marie besonders in Erinnerung: der sechsjährige Mahmud. Er ist ohne Arme auf die Welt gekommen. Er kam ins Krankenhaus, nachdem ihm eine Bombe die Beine weggerissen hatte. „Er überlebte. Ich habe ihn betreut. Endlich konnte er vor ein paar Monaten aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er ging mit einem Lächeln.“

Um das Überleben und die pastorale Betreuung der christlichen Minderheit in Aleppo weiterhin gewährleisten zu können, bittet KIRCHE IN NOT um Spenden – entweder online oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München
IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Aleppo

Foto: Straßenszene in dem vom Krieg zerstörten Aleppo © Kirche in Not


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