Kirche machen wir nicht, sondern lassen sie uns schenken

28. September 2017 in Deutschland


Freiburger Erzbischof Burger bei DBK-Morgenmesse: "Was entwickeln wir nicht alles an pastoralen Programmen und Initiativen, was tun wir nicht alles, um unsere Strukturen und Verwaltungen zukunftsfähiger zu machen..."


Fulda (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt des Freiburger Erzbischofs Stephan Burger in der Eucharistiefeier am 28. September 2017 in Fulda zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in voller Länge:

Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst, liebe Schwestern und Brüder,

werfen wir am heutigen Festtag der hl. Lioba einen kurzen Blick auf ihr Leben und Wirken. Lioba stammte aus einer guten Familie in Wessex. Ihre Mutter Ebba war mit dem hl. Bonifatius verwandt und dieser bat Lioba mit einer kleineren Gruppe von Schwestern ihr Kloster in Wimborne zu verlassen und aufs Festland überzusetzen, um ihn bei der Missionsarbeit zu unterstützen.

Um das Jahr 735 wurde sie die erste Äbtissin von Tauberbischofsheim. Das Kloster wuchs. Lioba sorgte für eine gute handwerkliche wie geistige Ausbildung der ihr Anvertrauten. Eine gütige Frau soll sie gewesen sein, eine beliebte Lehrerin und Erzieherin. Bonifatius hielt viel von ihr. Selbst im Tod wollte er mit ihr verbunden sein. Sein Wunsch war, dass sie neben ihm begraben werden sollte. Am 28. September 782 wurde sie hier in Fulda beigesetzt.

Diese kurze Vita zeigt, zu was Menschen fähig sein können, wenn sie sich von Gott rufen lassen, fähig dazu, Außerordentliches zu leisten, von sich selber abzusehen, um Gott verstärkt in den Blick zu nehmen, ganz und gar für ihn da zu sein. Und wer für Gott ganz und gar da ist, ist auch für den da, in dem sich die Gegenwart Gottes zeigt und widerspiegelt. Der ist da für den anderen, für den Mitmenschen. Soweit zur Praxis einer hl. Lioba. Soweit zur Theorie für alle, die ihr Christsein leben wollen. Denn es stellt sich für unser sogenanntes christliches Abendland – und nicht nur für dieses – schon die Frage, welche Auswirkungen diese Theorie auf die vielen Menschen noch hat, die einmal das Sakrament der Taufe empfangen haben.

Ein Blick in unsere Gemeinden zeigt zum einen sehr wohl ein großes Engagement in sozialer und caritativer Hinsicht. Und ich denke das Engagement von vielen im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe belegte und belegt dies überdeutlich. Auch die Arbeit unserer caritativen Einrichtungen, die Arbeit der Caritas überhaupt mit all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leistet hier eine sehr gute, wichtige und unverzichtbare Arbeit, für die ich auch an dieser Stelle ein herzliches Danke sage!

Zum andern beschäftigt uns natürlich die Frage, wie es mit unserem kirchlichen Leben vor Ort, in unseren Gemeinden mit unserer Glaubensvermittlung weitergehen soll und kann, wenn wir auf die weiter zurückgehenden Gottesdienstbesucherzahlen blicken, auf ein Schwinden bewusst gelebter Tradition und Glaubenspraxis. Und die eigene, selbstkritische Frage gilt es auch für uns ständig neu zu stellen: Wie bewusst leben wir selbst noch aus der Hl. Schrift und aus dem Empfang der Sakramente? Wie kann und mag es gelingen, dass eine geoffenbarte Wahrheit und die daraus sich entwickelte kirchliche Lehre nicht nur als theoretischer Überbau verstanden wird, sondern als Zugang zum Geheimnis des göttlichen Lebens, als Zugang zu dem Leben, das nicht nur eine Vertröstung darstellt, das sich nach Meinung so mancher nie erfüllen mag, sondern dass es um ein göttliches Leben geht, das im Hier und Jetzt beginnt, sich immer mehr entfaltet und einmal vollendet werden wird?

Was entwickeln wir nicht alles an pastoralen Programmen und Initiativen, was tun wir nicht alles, um unsere Strukturen und Verwaltungen zukunftsfähiger zu machen und das mit einem im wahrsten Sinne des Wortes doch eher fortlaufenden Erfolg. Je mehr ich diese Gedanken vertiefe, desto mehr wird mir bei der Komplexität von Kirche und deren Faktoren deutlich, dass Kirche eben nicht zu machen ist, dass wir – bei aller Geschäftigkeit – sie uns immer neu schenken lassen müssen, diese Gemeinschaft der Glaubenden, diese von Gott zusammengerufene Gemeinschaft.

Er ruft! Wir sind nur diejenigen, die diesen Ruf durch unseren Dienst neu ins Bewusstsein heben und verstärken dürfen. Ich denke, dass dies auch die hl. Lioba ausgezeichnet hat. Sie verstand es, den Menschen ihrer Zeit Christus nahezubringen, zum einen durch eine geistige, ja geistliche Ausbildung, so wie sie im Buch der Weisheit umschrieben ist. Sich bilden im Gebet, in der Verwiesenheit auf Gott hin, von ihm alles zu erwarten, sich von ihm ständig aufs Neue beschenken zu lassen. Gott die Chance einräumen, dass er wirklich in unser Innerstes eintreten kann, um uns zu verändern, zu heiligen. Und dann, sich bilden in den persönlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten. Diese auszubilden, zur Reifung zu bringen, damit sie anderen zum Nutzen werden können, damit sie eingesetzt werden können zum Aufbau und zum Dienst am Reich Gottes, an der Gemeinschaft der Kirche, ja einer ganzen Gesellschaft.

Die hl. Lioba verstand es, die Liebe zu leben, die Freude an Gott im Herzen zu tragen. Sie verstand es, den ihr Anvertrauten eine Herzensbildung zu ermöglichen, die bis in die Gegenwart ausstrahlt. Das alljährliche Lioba-Fest in Tauberbischofsheim gibt davon Zeugnis. Als junger Kaplan durfte ich es dreimal miterleben und mitfeiern. Und auch am vergangenen Samstag konnte ich dabei sein. Auf die Fürsprache der hl. Lioba wurde Tauberbischofsheim vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bewahrt, so haben es die Vorfahren für sich erlebt und erfahren.

Ein Gelübde der Tauberbischofsheimer, dieses Fest deshalb auf besondere Weise zu begehen, wird bis heute erfüllt. Das Geschäftsleben ruht, um für Gottesdienst und Gemeindeleben Zeit zu haben. Bloße Tradition? Für manche sicherlich Folklore, für andere ist dieses Fest nach wie vor mehr! Es ist und bleibt ein Fest, das auf den Ursprung verweist, auf diesen Weinstock Jesu Christi, der seine Reben hervorgebracht hat wie eine hl. Lioba und viele andere. Und auch wir dürfen uns an diesem Weinstock als Rebenzweige verstehen, die in dieser Zeit Früchte tragen. Früchte, die zeigen, dass wir selbst zu Christus gehören, Früchte, die genährt sind von diesem Lebensstrom göttlicher Liebe, der von Christus unaufhörlich ausgeht. Nichts anderes feiern wir jetzt, als uns von diesem Lebensstrom der Liebe tragen zu lassen. Wir geben uns selbst mit unserem Leben, mit unserer Hingabe an Christus neu in diesen Lebensstrom hinein.

Und wir erhalten am Ende dieser Feier keinen anderen Auftrag, als davon selbst Zeugnis zu geben. Dazu werden wir gesendet. Und das mag uns bei allem, was wir überlegen und planen, auch entlasten. Der Weinstock Christus trägt uns, seine Liebe befähigt uns. Und unser Mühen und Arbeiten wird dann in seinen Augen auch Früchte tragen. Ob das der Welt reicht oder einem objektiven Anspruch genügen wird, weiß ich nicht; wahrscheinlich nicht. Muss es aber auch nicht, denn Christus wird darüber entscheiden. Gelingt es uns, ihm zu genügen, haben wir alles erreicht. Das will unser Anspruch sein. Ein Anspruch, dem die hl. Lioba nachgekommen ist. Ihre Fürsprache begleite uns.

Weiterführendes Video: Deutsche Bischofskonferenz - Pressegespräch zum Thema ´Schöpfungsverantwortung nach Laudato si´


Foto Erzbischof Burger (c) Roger Koeppe/Erzbistum Freiburg


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