Blitzlicht aus der Ewigkeit

27. Oktober 2017 in Kommentar


„Zu lieben dich, mein Gott, hast du mir nur gegeben den heutigen Tag!“, schreibt Thérèse von Lisieux. BeneDicta von Petra Knapp-Biermeier.


Linz (kath.net) „Ich will nicht sterben!“ Er schaut mich mit seinen himmelblauen Augen herausfordernd an und wartet. Ich taste mich heran, verstehe noch nicht ganz. Wie jetzt? „Ich will nicht sterben und erst dann in den Himmel kommen. Ich will gleich in den Himmel kommen, ohne Sterben. Geht das?“

Ich rühre im Kartoffelgulasch und setze an zu einer philosophischen Antwort in drei Sätzen. Fürs Erste rutscht mir nur heraus: „Hmmm, sag das doch mal Jesus!“ Kurze Pause. „Ok“, meint er dann. „Ooooder nein…. Sag es ihm doch du, Mama.“ Ich nicke, und weg ist er, mein Fünfjähriger, dreht sich um und saust zu seinem Lego.

Ich hab sie gar nicht gebraucht, meine richtige Antwort, die kluge, durchdachte, theologisch und philosophisch korrekte Beantwortung einer Kinderfrage. Ehrlich gestanden hätte ich sie in dem Moment auch nicht gefunden, in meinem Beschäftigsein mit Handwerkern, Hausaufgaben und Reitstunde. Ich war nur ein kleiner Richtungsweiser.

Ein Wegweiser, der zeigt, wohin es geht. Denn die kompletten Antworten sind meist weniger gefragt als meine Ohren, die zuhören können, und mein Mund, der zur rechten Zeit schweigt. Eine Zunge, die Gottes Perspektive ins Spiel bringt. Ein wacher Geist, der solche Momente wahrnimmt als Goldadern. Und schließlich das wohl Wichtigste: Das Zeugnis, dass es das Natürlichste auf der Welt ist, im Dialog mit dem Allerhöchsten zu stehen.

Es ist einer jener Augenblicke, in denen ich sehe, wie wichtig es ist, dass ich hier bin, am unattraktivsten Ort für eine Frau, wie es gerne verkauft wird, nämlich am Herd und bei den Kindern. Nicht der beste Job dieser Welt könnte im Moment so sinnvoll sein wie mein kleiner Alltag, in dem die großen Fragen gestellt werden.

Es sind Momente, die man einrahmen müsste, in einen edlen Rahmen bringen und aufhängen, an eine Stelle, an der man täglich hunderte Male vorbeigeht, an hellen, stürmischen, trüben und verhangenen Tagen. Denn hier hat jemand ganz weit nach vorne geschaut. Mit einer Kinderstimme tief in den Abgrund geblickt. Dorthin, wohin ich selber ungern meinen Blick hinlenke.

„Schöne heilige Gedanken denken, Heiligenleben schildern, das alles wiegt es nicht auf, einer Frage, einer Bitte liebevoll Antwort zu geben“, schreibt Thérèse von Lisieux einmal. Ich begreife immer mehr, dass Gott es liebt, für uns spürbar da zu sein. Durch meine helfende Hand. Einen liebenden Blick. Durch ein aufmunterndes Wort.

Er ermutigt mich, in meinem Sein seine Liebe zu leben, vollkommen egal, wie klein und verborgen das ist, was ich tue. Immer wieder bricht Gott in meinem Leben durch, obwohl ich nach wie vor versuche, alles unter Kontrolle zu haben. Ich hantle ich mich durch den Tag, morgens verschlafen, abends müde. Immerzu beschäftigt balanciere ich zwischen den Welten, der sichtbaren und unsichtbaren, bin Kuscheldecke und Klagemauer, Taxifahrerin und Versorgerin, suche Antworten, stelle Grenzen auf, nerve meine Kinder, so sagen sie mir.

Aber welche Kämpfe sind es wert, dauerhaft ausgetragen zu werden? Wo stelle ich Stoppschilder auf, welche Werte zählen? „Sorge du!“ bete ich inmitten von Streitigkeiten, und „Komm, Heiliger Geist“ bei Attacken von Müdigkeit, Aggression und Verzweiflung. Die sichtbaren Erfolge eines durchschnittlichen Tages sind spärlich, denn Familienleben ist weder effizient noch durchgestylt.

Es ist ein Fluss, und keiner weiß, was hinter der nächsten Biegung kommt. Geplante „quality time“ ist eine gute Idee, aber echte Qualitätszeit bricht sich meist selber den Weg, beim Schnürsenkelbinden, fünf Minuten vor der Abfahrt, manchmal kurz vor dem Einschlafen, wenn mein Energielevel auf minus 20 ist.

„Mama, weißt du, was heute passiert ist…“, höre ich dann. Und Geschichten vom Himmel, und wie groß wir dort wohl sein werden. Ich lebe im Moment, und Gott spricht im Moment zu mir, jetzt und für heute. „Zu lieben dich, mein Gott, hast du mir nur gegeben den heutigen Tag!“, schreibt die kleine Heilige Thérèse in einem Gedicht.

„Wenn ich an morgen denk', dann fürcht' ich mein Versagen, und schon erahnt mein Herz Verdruss und Schicksalsschlag. Doch will ich, Herr, für dich gern Leid und Prüfung tragen am heutigen Tag!
In deinem Antlitz, Herr, halt' gütig mich geborgen, dass ich den Lärm nicht hör' von ängstlichem Geklag. Gib deine Liebe mir, dann leb' ich ohne Sorgen am heutigen Tag!“

Der „kleine Weg“ dieser außergewöhnlichen Heiligen geht mir nahe. Der kindliche Zugang zu den letzten Dingen, der so naiv scheint, wächst mir jeden Tag mehr ans Herz. Und so klebe ich Lego-Miniaufkleber auf weiße und schwarze Steinchen, kaufe Batterien, putze Schuhe, sitze beim Zahnarzt und versuche bei alledem, nahe am Herzen Gottes zu sein. Ich warte.

Inmitten aller Dinge, die getan werden müssen, warte ich. Auf den nächsten Moment, in dem das Wesentliche wieder Raum gewinnen darf. Wo ein Licht aufblitzt aus der Ewigkeit. Das himmlische Licht, das uns wärmt und aufrichtet inmitten dieser beschäftigten, getriebenen, verängstigten Zeit.


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