Auszug aus noch unveröffentlichten Roman „Ronnie der Sternenwanderer“

30. Oktober 2017 in Jugend


Leseprobe gibt Einblick in eine Schulstunde über Gender mainstream und Geschlechtergerechtigkeit. Von Peter von Steinitz


Münster (kath.net) Ronnie ist ein zwölfjähriger Junge, der vom Sternbild Orion stammt. Auf seinem erdähnlichen Planeten Aja ist vieles ähnlich wie auf unserer Erde, aber etwas Wesentliches ist anders: es gibt dort keine Erbsünde. Die Menschen dort haben einen ungetrübten Blick auf Gott und die Welt. Als Ronnie mit der gleichaltrigen Lisa aus seiner Gastfamilie den Schulunterricht besucht, kommt er mit dem Biologie-Lehrer und dem Gender-Beauftragten in Konflikt.

Die zwölfjährige Lisa erzählt:

Dann kam der Gender-Unterricht.
Dieses Fach ist neu. Es nennt sich Gender mainstream oder auch Geschlechtergerechtigkeit. Der Lehrer heißt Henning Kellermann, er möchte aber, dass wir ihn mit dem Vornamen anreden. Er ist etwa so alt wie mein Vater, aber sonst würde ich die beiden nicht miteinander vergleichen. Er ist immer sehr trendy gekleidet. Die Jeans haben sogar vorne an den Knien leicht angedeutete Löcher.

Herr Kellermann ist übrigens auch der Gleichstellungsbeauftragte für unseren Kreis.
Heute hatten wir diesen Unterricht zum zweiten Mal. Ehrlich gesagt, ich war schon gespannt, wie Ronnie sich verhalten würde. Ich habe den Eindruck, dass er in den letzten Wochen gewissermaßen reifer geworden ist. Er hat zwar immer gesagt, dass er zwölf Jahre alt ist, aber wer weiß, was das in seiner Welt bedeutet. Auf jeden Fall merke ich, dass er unheimlich schnell lernt, und dass er die Besonderheiten unserer Welt erstaunlich schnell kapiert hat. Er kann sehr rasch auf Leute reagieren, und manchmal hat er eine richtig ironische Redeweise. Er sagte mir mal, ironisch sein ist hart an der Grenze zum Bösesein, aber wenn man es mit Liebe macht, macht es doch Sinn. Tatsächlich hat er noch keine einzige wirklich böse Bemerkung gemacht, obwohl manche Mitschüler ihn dazu geradezu herausfordern.

Als jetzt Herr Kellermann, ich meine Henning, den Klassenraum betrat, sah ich auf Ronnies Gesicht so etwas wie einen Schatten.

„Liebe Mädchen und Jungen, ich freue mich, dass wir wieder zusammen über das große Thema Gerechtigkeit sprechen können. Insbesondere die Geschlechtergerechtigkeit ist etwas, das sich im Bewusstsein der heutigen Menschen Gott sei Dank immer mehr verbreitet. Welches war der eingängige Slogan, den wir das letzte Mal ermittelt haben?“

Amelie, meine beste Freundin, die komischerweise auf Herrn Kellermann abfährt, sagte: „Gleiches Recht für alle!“

„Also, die Tatsache, ob jemand Mann ist oder Frau, bzw. Mädchen oder Junge, spielt heute keine Rolle mehr, denn alle haben das gleiche Recht“. Er machte eine kleine Pause und schaute in die Runde.

„Ja aber könnte man nicht sagen, dass viele Menschen von vornherein festgelegt sind und deshalb doch nicht wirklich frei sind?“

Dann fragte er ausgerechnet mich: „Wie war noch dein Name? Ach ja Lisa, hast du jemals darüber nachgedacht, warum du ein Mädchen bist?“

Ich antwortete wahrheitsgemäß mit Nein, fand aber die Frage total blöd. Ob man Mädchen oder Junge ist - so kommt man doch auf die Welt.

Herr Kellermann lächelte ein bisschen und sagte dann: „Ich kann euch nur sagen, ihr sollt grundsätzlich alles hinterfragen, nichts soll man als selbstverständlich ansehen. Also, ein sehr gutes Beispiel wurde uns vor einigen Wochen geboten durch die Abstimmung im Bundestag über die so genannte Ehe für alle. Kann mir jemand sagen, was damit gemeint ist?“

Jetzt kam Udo dran, der mit der großen Klappe. „Ehe für alle heißt, jeder kann jeden heiraten.“

„Und? War das denn bisher anders?“

„Na klar bisher konnte nur ein Mann eine Frau heiraten…“ Udo machte plötzlich ein etwas hinterlistiges Gesicht.

„Mach weiter, und jetzt?“ sagte der Lehrer.

„Na ja, jetzt kann ein Mann einen Mann heiraten…“

„Und was noch?“

„Keine Ahnung, vielleicht einen Affen?“

Damit hatte Udo die Lacher auf seiner Seite.

„Was soll der Unsinn?“ Henning war entrüstet.

„Also, ihr habt über diese Dinge ja sicher schon im Sexualkundeunterricht geprochen. Ich denke, das ist eine der größten Errungenschaften unserer Zeit, dass die Öffentlichkeit endlich die ganze Vielfalt menschlicher Sexualität zur Kenntnis nimmt. Besondere Verdienste hat sich dabei die internationale LGBT-Community erworben.“

„Herr Henning, was ist LGBT-Community?“

„Diese vier Buchstaben stehen für lesbisch, gay, bisexuell und transsexuell. Aber man muss dazu sagen, dass es noch weitere, bis zu fünfundzwanzig Varianten gibt. Ihr seht also: eine großartige Vielfalt. Aber wenn der Mensch auf die Welt kommt, dann wird er nach den bisherigen Vorstellungen in eine Rolle hineingepresst, die er vielleicht gar nicht wollte.
Udo, hast du dir ausgesucht, ein Junge zu sein? Nein, du wurdest einfach so erzogen. Die neue Bewegung Gender-mainstreaming will allen Menschen die Gelegenheit geben, sich selbst zu definieren.“

Udo machte ein undefinierbares Gesicht, dann meinte er, da ihm gerade nichts Boshaftes einfiel: „Mein Vater sagt, keine Ahnung, Gender-mainstreaming bedeutet die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und dass die Frauen nicht weniger verdienen dürfen als die Männer.“

„Also, so steht es auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums, das ist für die Leute“. Herr Kellermann machte den Eindruck, dass er etwas gesagt hatte, was er nicht sagen wollte und räusperte sich umständlich.

„Alles gut! Also, passt auf. Ende der Neunziger Jahre hat die EU sich und damit die Mitgliedstaaten auf Gender-mainstreaming festgelegt. Das ist also für uns bindend. Aber man muss nicht erschrecken, es ist ja eine wahre Befreiung. Die Gender-Theorie spricht von der ‚Zwangsheterosexualisierung‘, die dadurch überwunden werden muss, dass jeder seine sexuelle Orientierung selber wählt. Also, es gibt keine vorgegebene Natur des Menschen. Der Mensch soll sein eigener Schöpfer sein und sich selbst beliebig modellieren können…“

In diesem Augenblick sah ich, wie bei Ronnie der Arm hoch ging und er etwas sagen wollte. Ich machte mich auf einiges gefasst.

„Herr Kellermann, Entschuldigung: Henning, ich möchte zunächst einmal sagen, dass ich es nicht in Ordnung fand, dass Udo diese unpassende Bemerkung gemacht hat.“

Henning freute sich und sagte: „Alles gut, kein Problem!“

„Aber dann wollte ich sagen, dass es meiner Meinung nach gar nicht in Ordnung ist, dass der Mensch sein eigener Schöpfer sein soll. Er ist doch Geschöpf, und der Schöpfer ist ein anderer, nämlich Gott, der alle Menschen geschaffen hat. Auch unsere Eltern haben uns nicht erschaffen, sie haben uns nur gezeugt.“

„Sehr gut, mein Junge. Wie heißt du?“

„Ich heiße Ronnie“.

Henning schaute ihn an, und ich hatte den Eindruck, dass der Junge ihn beeindruckte.

„Also, Ronnie, ich sehe, du bist nicht nur ein ansehnlicher, sondern auch ein intelligenter Junge, aber du kennst bisher, vielleicht von deinen Eltern her, nur das traditionelle Weltbild. Das ist nach den Erkenntnissen einer Judith Butler oder einer Elisabeth Tuider und vieler anderer, inzwischen überholt. Gott sei Dank leben wir in einer Zeit großer Freiheit des Menschen. Wir sind nicht mehr den Zwängen einer Gesellschaft oder einer zeitbedingten Kultur unterworfen. Sag doch selbst, ist das nicht ein wirklicher Fortschritt, wenn du selber ganz über dich und dein Leben bestimmen kannst?“

„Ich glaube, das funktioniert nicht wirklich. Kein Mensch ist total frei. Außerdem, wenn ich als Junge geboren wurde, wie soll ich denn ein Mädchen werden?“

„Also, das ist ja nicht nur eine körperliche Sache. Wenn du dich wirklich als Mädchen fühlst,…“

Ronnie wurde langsam das, was er so gut wie nie war: ärgerlich.

„…dann kann man das mit den Mitteln der heutigen Medizin problemlos hinkriegen.“

Die Schüler blickten etwas ratlos drein, aber Henning versuchte zum Glück nicht, hier ins Detail zu gehen.

Ich schaute wieder auf Ronnie und sah, wie er große Anstrengungen unternahm, um seinen Ärger herunterzuschlucken. Dann sagte er, und seine Augen leuchteten plötzlich: „Henning, glauben Sie eigentlich an Gott?“

Henning war verunsichert. Der Junge schien ihm das ganze Konzept aus der Hand zu nehmen, das hatte er wohl noch nie erlebt.

„Eh, also ich bin Agnostiker. Die Frage nach Gott muss jeder für sich allein klären“.

„Genau da ist das Problem. Ihr habt Gott vergessen. Ihr beschäftigt euch in eurer Wissenschaft mit allen möglichen Dingen, nur nicht mit demjenigen, von dem alles kommt. Wenn Gott nämlich der Schöpfer ist, hat er das Recht, gewissermaßen die Rahmenbedingungen festzulegen.“

Man konnte Herrn Kellermann ansehen, wie sehr er sich darüber wunderte, dass ein Schüler der siebten Klasse so mit ihm, dem Lehrer, redete. Ehrlich gesagt, wir alle wunderten uns. Dann aber gewann Henning seine Fassung zurück und sagte: „Liebe Schülerinnen und Schüler, unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, so wird doch jeder zu der Einsicht kommen, dass der Mensch glücklich sein will und soll. Wenn es Gott gibt, wird er das auch wollen…“

„Ja, sagte Ronnie leise, aber wie wird der Mensch glücklich?“

„Indem er das nutzt, was er vorfindet, die Sexualität. Hier haben frühere Generationen schwere Fehler gemacht, indem die Älteren den Jüngeren dieses Glück verdorben haben. Durch Verbote, überhaupt durch Konventionen, die unsinnig waren. Vielleicht versteht ihr jetzt, warum der Sexualkundeunterricht in den Schulen heute so intensiv gestaltet wird. Der junge Mensch muss ja konkret wissen, was ihn glücklich macht. Hier werden durch die Gender-Philosophie verschlossene Türen geöffnet, Tabus werden abgeschafft. Die Freude der Liebe in ihrer ganzen Vielfalt wird buchstäblich von alten Fesseln befreit und allen zugänglich gemacht.“

„Das klingt voll cool“, sagte Marlon, „aber ist denn dann noch Platz für die Ehe. Die braucht man doch dann gar nicht mehr.“

Herr Kellermann ging darauf aber nicht ein, sondern sagte: „Wie ich gehört habe, gibt es bei der EU Überlegungen, wie man als nächsten Schritt, nachdem die ‚Ehe für alle‘ praktisch durch ist, nun das fördern kann, was man ‚Liebe für alle‘ nennen könnte.“

„Das wäre dann das Ende“, rief Ronnie ganz aufgeregt, „Ehe, Familie all das ist dann weg“.

Auch Henning erregte sich und rief ganz euphorisch: „Das ist das Endziel, das Glück aller Menschen, dann gibt es keine Institutionen mehr, keine Formalitäten, jawohl auch keine Familien, nur noch Menschen, freie und erfüllte Menschen!“

Alle waren irgendwie aufgewühlt, die meisten wussten aber nicht recht warum, wahrscheinlich hatten sie nicht alles verstanden. Henning hatte eine regelrechte Show abgezogen, ich hatte aber den Eindruck, dass er viel mehr gesagt hatte als er sagen wollte.

Als er und die Klasse sich etwas beruhigt hatten, stand Ronnie auf und sagte sehr ruhig: „Gott erschuf den Menschen, als Mann und Frau schuf er sie. Viele Jahrhunderte haben sich die Menschen daran gehalten, dass eine Ehe der Bund zwischen einem Mann und einer Frau ist und sie gemeinsam Kinder zeugen und erziehen. Ob sie das wollten oder nicht, sie haben damit nach dem Willen des Schöpfers gehandelt.“

Henning erregte sich noch einmal und rief, wirklich lauter als nötig: „Der ist jetzt nicht mehr gefragt. Jetzt wird nur noch nach dem Willen des Menschen gehandelt!“

„Ronnie, der Sternenwanderer“ soll noch vor Weihnachten in einem süddeutschen Verlag erscheinen.

Foto oben: Symbolbild


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