Vittorio Messori: Wird die Kirche zur ‚flüssigen Gesellschaft’?

15. November 2017 in Weltkirche


In einer Zeit der Beliebigkeit sei es die besondere Aufgabe der Kirche, Stabilität und Orientierung zu vermitteln. Unter Papst Franziskus seien aber gegenteilige Tendenzen festzustellen, schreibt Messori.


Mailand (kath.net/LSN/jg)
Der italienische Autor Vittorio Messori (76) hat sich besorgt über die Entwicklung der Kirche unter dem Pontifikat von Papst Franziskus geäußert. In einem Artikel für das katholische Magazin Il Timore zeigte sich Messori besorgt, dass der Papst die Kirche in Richtung einer „flüssigen Gesellschaft“ umgestalten könnte, in welcher der Wandel die einzige Konstante ist und deren einzige Gewissheit in der Ungewissheit besteht.

Messori bezieht sich mit dem Begriff „flüssige Gesellschaft“ auf den polnischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925-2017), der die Gegenwart in einem gleichnamigen Buch als „flüssige Moderne“ bezeichnet hat. Diese ist dadurch charakterisiert, dass der moderne Mensch die Individualität weit höher einschätzt als soziale Bindungen. Er „fließt durch sein eigenes Leben wie ein Tourist“, ändert immer wieder seinen Wohnort, seinen Arbeitsplatz, seinen Lebenspartner, seine Werte und sogar seine sexuelle Orientierung und sein Geschlecht.

Menschen die so leben verzichten auf traditionelle, stabile gesellschaftliche Bindungen und befreien sich von deren Einschränkungen und Anforderungen. Diese extreme Form des Individualismus hat Gesellschaften hervorgebracht, in denen nichts stabil und alles veränderbar sei, schreibt Messori.

Diese Ideen, befürchtet er, hätten ihren Eingang in die Kirche gefunden. Die katholische Kirche sei stets ein Beispiel für Stabilität gewesen, doch jetzt würden Tendenzen sichtbar, die in Richtung der beschriebenen „Flüssigkeit“ gehen würden, schreibt er.

Als Beleg zieht er ein Interview mit P. Arturo Sosa Abascal, dem Generaloberen des Jesuitenordens, heran. Ausgehend von der Tatsache, dass die Worte Jesu nicht auf Band oder Platte aufgezeichnet worden seien stellt Sosa die Behauptung auf, wir würden nicht genau wissen, was er gesagt habe. Aufgrund dieser „Ungewissheit“ müssten die Christen die wahre Bedeutung der Bibel jeweils auf ihre konkreten Umstände bezogen erkennen.

„Lehre ist ein Wort, das ich nicht sehr mag, es vermittelt den Eindruck der Härte eines Steines“, sagte Sosa wörtlich und fügte hinzu: „Die Wirklichkeit des Menschen ist viel nuancierter, sie ist niemals schwarz oder weiß, sie ist in ständiger Entwicklung.“

Papst Franziskus, wie Sosa ein Jesuit aus Südamerika, habe wiederholt öffentlich die „Uniformität der Gebote, ihre Starrheit“ als „katholische Versuchung, die überwunden werden muss“ kritisiert. Stattdessen müsse man jeden Fall für sich betrachten. Dies sei zu einem „Eckpfeiler“ seiner Lehre und seines Pontifikates geworden, schreibt Messori.

Die Berufung auf die „Unterscheidung der Geister“ aus der klassischen jesuitischen Spiritualität, um selbst Dogmen abhängig von der Situation beliebig interpretieren zu können, habe bei einigen Kardinälen zumindest Verwirrung ausgelöst. Dies sei sogar in offiziellen Dokumenten zu finden, welche die Unterschrift des Papstes hätten, kritisiert der italienische Autor.

Er hält diesen Zugang für falsch und „schädlich für die Kirche und den Glauben“. In einer „flüssigen Welt“, in der alles ungewiss, widerrufbar und vorläufig sei, bedürfe die ganze Menschheit die Stabilität und Beständigkeit der katholischen Kirche, nicht nur die Gläubigen.

Die „Felsen des Dogmas, auf die der Generalobere des Gesellschaft Jesu allergisch reagiert, könnten und sollten der feste Grund einer Gesellschaft sein“, die sich derzeit selbst schmeichle und dabei ins Chaos abzusinken drohe, fordert Messori.

Vittorio Messori wurde insbesondere durch zwei Interviewbücher bekannt. Das erste war „Zur Lage des Glaubens“, ein Gespräch mit Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1984. 1994 erschien ein Interview mit Papst Johannes Paul II. unter dem Titel „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“.


© 2017 www.kath.net