Voderholzer warnt vor Verfälschung der Vaterunser-Bitte

29. November 2017 in Aktuelles


Regensburger Bischof warnt vor einer Verfälschung der Vaterunser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“


Regensburg (kath.net/pbr) Vor einer Verfälschung der Worte Jesu hat der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer gewarnt. Die Vater-unser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ sei genauso bei Matthäus und Lukas überliefert, und es gehe nicht an, Jesus zu korrigieren. Man müsse diese Worte erklären, aber man könne sie auch erklären in einem Sinne, dass das Gottesbild nicht verdunkelt wird. Bischof Voderholzer verweist in diesem Zusammenhang auf eine Predigt zum 1. Fastensonntag zum Evangelium von den Versuchungen Jesu (Siehe Predigt unten!). Viel gravierender sei im Hinblick auf die Gefährdung des Gottesbildes die Leugnung der kirchlichen Lehre von der Erbsünde. Wo die Sünde (und damit die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen) nicht in der Verfehlung der menschlichen Freiheit begründet wird, bleibt nur, Gott selbst für das Böse verantwortlich zu machen nicht nur im Sinne des Zulassens, sondern im Sinne der aktiven Urheberschaft. Das aber stehe tatsächlich im Widerspruch zum christlichen Gottesbild.

Siehe dazu auch diese Predigt von Bischof Voderholzer zum 1. Fastensonntag, 22. 2. 2015: Was heißt: „Und führe uns nicht in Versuchung“?

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Als Bischof werde ich immer wieder einmal auf die 6. Vater-Unser-Bitte angesprochen. Es ist die Bitte: „Vater, … und führe uns nicht in Versuchung“. Viele Mitchristen tun sich schwer beim Gedanken, der bei dieser Bitte ja scheinbar vorausgesetzt ist, Gott der Vater könne uns Menschen in Versuchung führen, Gott könne ein Interesse daran haben, uns aufs Glatteis zu führen und uns straucheln zu sehen. Regelmäßig kommt dann auch der Vorschlag, die Formulierung der Bitte abzuändern und zu sagen: „Führe uns in der Versuchung“, oder „führe uns durch die Versu-chung“ oder ähnlich. Vielleicht sind ja auch unter Ihnen Mitchristen, die ähnlich denken und denen dieser Vorschlag aus dem Herzen spricht.

Das Evangelium vom 1. Fastensonntag von der Versuchung Jesu nehme ich als Anlass, darüber einmal tiefer nachzudenken und die Frage zu beantworten.

Wer für eine Änderung der Vaterunser-Bitte im gerade beschriebenen Sinne eintritt, kann mit einem gewissen Recht den Jakobusbrief zu seinen Gunsten anführen, wo es im 13. Vers des 1. Kapitels heißt: „Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung ge-führt. Denn Gott kann nicht in die Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selber niemand in Versuchung.“

Was hindert also daran, das Vaterunser umzuformulieren?

Nun. Uns hindert erst einmal die textliche Überlieferung. Sowohl in der Vaterunser-Fassung des Matthäus-Evangeliums (6,13) als auch in der Fassung des Lukas-Evangeliums (11,4), die sich an manchen Stellen durchaus unterscheiden, heißt es eindeutig und gleichlautend: kai mee eisenénkees hemas eis peirasmon. Und führe uns nicht in Versuchung. Auch in den anderen Sprachen hält man sich treu an diese Überlieferung, im Englischen etwa, was mir durch die Reisen nach Indien und nach Südafrika in den letzten Wochen gegenwärtig besonders im Ohr ist: and lead us not into temptation (lateinisch: et ne nos inducas in tentationem).
Wenn wir anfangen würden, Jesus zu verbessern, zu sagen: Nein, Jesus, also so kannst du das nicht gesagt haben, wir wissen es besser und wir erlauben uns hier, dich zu korrigieren – dann bekommen wir bald eine ganz neue Bibel nach unseren menschlichen Vorstellungen. Die Bibel würde aufhören, Zeugnis von Gottes Offenbarung zu sein.

Also, die Änderung des Vaterunsertextes, so wie wir ihn gewohnt sind, scheidet aus, weil es die treue Übersetzung der Überlieferung des Jesus-Wortes ist.

Wir müssen versuchen, trotz der Schwierigkeiten, die sich unzweifelhaft mit dieser Aussage verbinden, Jesus richtig zu verstehen.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist dabei – wie eigentlich immer im Neuen Testament, dass man den alttestamentlichen Hintergrund bedenkt.

Es ist mehr als einmal im Alten Testament bezeugt, dass die Versuchung oder Anfechtung im Glauben als etwas Positives gesehen wird insofern, als sie in den Vorgang des Reifens, des Erwachsenwerdens des Menschen hineingehören. Im Buch Tobit etwa heißt es – gemäß einer Überlieferung in der griechischen Bibel: „Weil du bei Gott angenommen warst, war es notwendig, dass die Versuchung dich prüfe.“ Und im Buch Jesus Sirach steht geschrieben: „Der nicht in Versuchung geführt wurde, weiß wenig“ (Sir 34,10a LXX). Das sind Worte, deren Sinn man nachvollziehen kann, wenn man an die Reifung denkt, die einem selbst vielleicht eine bestan-dene Krankheit oder eine gut verarbeitete Verlusterfahrung im Leben gebracht haben. So gesehen kann man der Versuchung etwas Positives abgewinnen und sie vielleicht sogar als Teil göttlicher Pädagogik ein-ordnen und es nicht von Vorneherein für völlig ausgeschlossen halten, Gott könne einem diesen Weg der Reifung nicht zumuten.

Eine Lösung für unser Problem haben wir damit freilich noch nicht. Denn Jesus lehrt ja beten: Führe uns nicht in Versuchung!

Mir scheint, dass der Exeget Heinz Schürmann in seiner Vaterunser-Auslegung den richtigen Weg zum Verständnis weist. Er erinnert an alt-testamentliche Gebetsworte wie etwa Ps 26,2, wo es heißt: „Erprobe mich, Herr, und durchforsche mich. Prüfe mich auf Herz und Nieren.“ D. h. so viel wie: „Führe mich, oh Herr, ja, führe mich ruhig in Versuchung! Du wirst sehen, ich halte stand, ich bleibe treu!“ Das ist Ausdruck großen Selbstvertrauens, großer Sicherheit. Und da sagt nun Jesus: Betet nicht so! Seid euch nicht so sicher! Denn Jesus sieht unsere Versuchlichkeit, un-sere Gefährdung durch die Versuchung weit gefährlicher und tiefer. „Wer im Geiste Jesu betet, hat nicht die geringste Zuversicht, in der Ver-suchung bestehen zu können; darum muss er so dringend bitten, dass er erst gar nicht in sie hineingeführt werde.“ Dem entspricht die Mahnung an die Jünger auf dem Ölberg am Karfreitag: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geführt werdet“ (Mk 14,38).Von dieser Situation her wird dann auch klar, was die „Versuchung“ eigentlich meint, näm-lich: einen Angriff auf meinen Glauben und meine Hoffnung.

Wir müssen wahrscheinlich immer wieder auch unsere Vorstellung von der „Versuchung“ überprüfen und am Ernst des Evangeliums messen. Gerade im Reden von der „Versuchung“ gibt es viel Unernst und Ober-flächlichkeit – wenn ich nur an die Werbung denke für die Schokoladen-Marke, die gerühmt wird als „die ‚zarteste Versuchung‘, seit es Schoko-lade gibt.“ Liebe Schwestern und Brüder: Alle Versuche, in der Fastenzeit Verzicht zu üben in Ehren. Aber das Thema „Versuchung“ in erster Linie mit Süßigkeiten in Verbindung zu bringen, entspricht nicht dem Ernst der biblischen Botschaft.

Die Versuchung, um deren Ausbleiben Jesus die Jünger zu beten lehrt, ist zunächst einmal die Verunsicherung im Glauben durch das Kreuz Jesu, seine Verhaftung und seinen schmählichen Tod!
Versuchung hat mit Glauben und Hoffnung zu tun. Versuchung, das ist Not, das ist Krankheit, das ist Hunger, das ist Einsamkeit, das ist Todes-angst.

Versuchung, das ist die Not, die mich nicht mehr beten lehrt, sondern die mich an Gott irrewerden lässt und fluchen lehrt. Das Sprichwort: Not lehrt beten, ist ja nur die halbe Wahrheit. Die Erfahrung zeigt doch auch: Not lehrt fluchen. Versuchung ist diese Not, die einen fluchen lehrt.

In der Versuchung im wahren und ursprünglichen biblischen Sinn des Wortes sind derzeit unsere Mitchristen in Ägypten, denen die grausamen IS-Milizen im Nachbarland Libyen vor Augen führten, welche Konse-quenzen allein schon die Tatsache des Christseins hat. 21 Männer wur-den grausam enthauptet. In einer solchen Situation treu zu bleiben, nicht unsicher und wankend im Glauben an Jesus Christus zu werden, das ist eine schier übermenschliche Herausforderung. Dass sie nicht unsicher werden und fallen, dafür müssen wir beten für die Kopten – ganz abgesehen von der Empörung, die durch die ganze christliche Welt gehen muss.

In der Versuchung sind vor allem die Opfer der Hinrichtung selbst auf ihrem Weg zum Strand, geführt von den Henkern mit den Messern im Gewand. Nicht zu verbittern, nicht zu fluchen, sondern für die Henker zu beten … das hieße, in der Versuchung standzuhalten. Wie schwer muss das sein!?

Vater, … führe uns nicht in Versuchung. Wenn wir dieses Wort Jesu, uns geschenkt im Vaterunser, einordnen in das Gesamt der biblischen Überlieferung, dann können wir sagen:
Gott kann die Versuchung zulassen, aber es ist der Böse selbst, der uns in ihr begegnet. Die Bitte unterstellt Gott nicht die Gemeinheit, uns aktiv böse zu wollen, sondern sie erinnert uns an die eigene Gefährdung, an die Versuchlichkeit im Glauben, sie warnt uns vor Selbstsicherheit und Überheblichkeit, und sie lehrt uns so gesehen auch, das große Geschenk wertzuschätzen, das darin besteht, wirklich glauben zu können und von Verunsicherungen im Glauben verschont zu sein.

„Der Beter des Unservater ist kein Überfrommer, kein Superstar der Frömmigkeit; er bittet Gott nicht um Gelegenheit zur Bewährung seines Glaubens, sondern bittet ihn, ihn nicht auf die Probe zu stellen.“

Das heutige Evangelium von der Versuchung Jesu zeigt uns: Jesus weiß, wovon er spricht, wenn er uns beten lehrt: „Vater, führe uns nicht in Versuchung.“ Er hat, vom Geist in die Wüste geführt, die Urversuchungen des Menschen bestanden: Physische Not, Vermessenheit Gott gegenüber und schließlich die Vergötzung der Welt und ihrer Macht.

Die Versuchungen Jesu durchziehen freilich sein ganzes irdisches Wirken. Wenn Petrus ihn beispielsweise davon abhalten will, den Weg des Kreuzes zu gehen, muss er sich anhören: Hinter mich, Satan, du willst nicht was Gott will …

So ist für Jesus die große Versuchung auch noch einmal sein Leiden, wie es der Hebräerbrief sagt: „[Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen.] Denn da er selbst in Versu-chung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden.“ (Hebr 2,17) Und: „Wir haben ja nicht einen Hohenpries-ter, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat.“ (Hebr 4,15)

Liebe Schwestern und Brüder des geweihten Lebens,

das Thema der Versuchung, der Anfechtung im Glauben ist ein Thema, das jeden Getauften Christen, der seinen Glauben ernst nimmt, immer wieder beschäftigen wird. Die Glaubenserfahrung der Kirche weiß dar-über hinaus, dass der Weg in die besondere Nachfolge auch in besonde-rer Weise seine Prüfungen kennt. So könnten die Überlegungen zur Vaterunser-Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ Trost sein und An-sporn zugleich: Trost, weil der Herr um unsere Schwäche weiß und dass wir uns mit ihm verbinden können, wenn die Prüfungen uns an die Grenzen des Erträglichen führen; Ansporn, dankbar zu sein für den Glauben, dankbar vor allem, wenn wir sagen können, dass uns Prüfungen im Leben haben reifen lassen, wie wir in der Reflexion auf unseren Lebensweg vielleicht erkennen können. Aufforderung freilich auch, uns mit allen Mitchristen, die in schwerer Versuchung sind, im Gebet zu ver-einen; seien es die ägyptischen Christen, die Kranken und die Kinder und alle, mit denen Sie auf unterschiedliche Weise beruflich zu tun haben.

Der Herr hat stellvertretend für uns alle Versuchungen bestanden. Bitten wir ihn zum Beginn dieser österlichen Bußzeit, dass er uns in diesen 40 Tagen neu die Schönheit und das Glück des Glaubens und des Glaubenkönnens aufgehen lässt und dass wir uns, nach seinem Beispiel, durch Fasten, Gebet und Werke der Nächstenliebe in diesem Glauben stärken lassen, auf dass wir ihn in der Osternacht – in Erinnerung unserer Taufe – neu und froh bekennen können, Amen.

Fußnoten
1 Im Liborius-Blatt wurde einmal P. Anselm Grün diese Frage in folgender Formulierung zur Beantwortung vorgelegt: „Jedes Mal, wenn ich das Vaterunser bete, fällt es mir schwer, den Satz ‚und führe uns nicht in Versuchung‘ auszusprechen. Ich frage mich dann, ob es sein kann, dass Gott mich in Versuchung führt, das ist doch eigentlich Sache des Teufels. Interpretiere ich den Satz einfach nicht richtig, oder liegt vielleicht ein Übersetzungsfehler vor? Ich würde mich wohler fühlen, wenn es heißen würde ‚und führe uns in der Versuchung‘.“ (Quelle: http://www.liborius.de/wissen/fragen-an-pater-anselm-gruen/und-fuehre-uns-nicht-in-versuchung.html Abfrage: 20.2.2015)

2 Vgl. Johann B. Lotz, Wenn ihr heute Vater unser betet. Meditationen, Freiburg ²1978, 103.

3 Heinz Schürmann, Das Gebet des Herrn als Schlüssel zum Verstehen Jesu, Freiburg 41981, 113 f.

4 Vgl. auch Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus (= NTD 2), Göttingen ³1981, 98: „So wird Ps. 60,6 im Judentum etwa ausgelegt: ‚Du gibst Versuchung denen, die dich fürchten, damit sie erhöht werden‘ (Billerbeck zu Mt 4,1 A).“

5 Schürmann, Das Gebet des Herrn, 113.

6 So Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. in: Jesus von Nazareth, Bd. 1, Freiburg 2007, 195 (jetzt auch JRGS 6, 262 f.).

7 Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus (= NTD), Göttingen 1973, 98; zitiert bei Joachim Gnilka, Das Matthäusevangelium I (= HThKNT), Freiburg 1986, 226, Anm. 65.

8 Vgl. Gnilka, Das Matthäusevangelium I, 91.

9 Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. in Jesus von Nazareth I, 199 (JRGS 6, 264 f.): „Aber sollten wir dabei nicht daran denken, dass Gott den ihm besonders nahen Menschen, den großen Heiligen, von Antonius in der Wüste bis zu Therese von Lisieux in der frommen Welt ihres Karmels, eine besonders schwere Last an Versuchung aufgebürdet hat? Sie stehen sozusagen im Gefolge von Ijob, als Apologie des Menschen, die zugleich Verteidigung Gottes ist. Mehr noch: Sie stehen in ganz besonderer Weise in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, der unsere Versuchungen durchlitten hat. Sie sind gerufen, die Versuchungen einer Periode sozusagen an ihrem eigenen Leib, in ihrer eigenen Seele zu bestehen, sie für uns, die gewöhnlichen Seelen, durchzutragen und uns hindurchzuhelfen zu dem hin, der unser aller Last auf sich genommen hat.“

10 Der Apostel Paulus sichert uns zu: „Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, so dass ihr sie bestehen könnt“ (1 Kor 10,13).


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