Begegnung mit Destiny

30. März 2018 in Kommentar


Er trägt das Kreuz heute auch ganz besonders für Dich, bis ins ewige Leben. In Seinem Kreuz sind wir geheilt - BeneDicta am Freitag von Gudrun Trausmuth


Linz (kath.net)
Ein großes Krankenhaus, Orange, die Anti-Schockfarbe dominiert, die Wartezonen sind in anderen Farben, einfache Leitsysteme, denn Krankheit, Not und das Sprachengewirr der Großstadt bedürfen klarer Zeichensysteme. Ich warte auf eine Untersuchung, in einer gewissen Anspannung – und ich warte ganz schön lange. Durch den unendlichen Gang kommen die Patienten, einzeln die meisten, manche in Begleitung und gestützt, manche forsch und zuversichtlich, andere mit schweren Schritten und gezeichnet von Leiden. Auf ihrem Weg werden sie von den wartenden anderen Patienten taxiert, nach den Aufrufen der Ärzte verteilen sie sich auf die Untersuchungszimmer, Stationen der Erinnerung an unsere Sterblichkeit. Sprüche werden verhängt, Diagnosen zusammengeschaut, Wörter gesucht für Schmerzen, für Krankheiten.

Ist der medizinische Begriff definiert, schließt sich die vorgesehene Therapie an – die Antwort möge der Fragestellung, die die Krankheit aufwirft, gerecht werden, heilen oder doch eindämmen, erträglich machen. - Die andere Seite des Lebens, jene die nicht in der Werbung vorkommt, die verschwiegene, verdrängte, das Leid, der Schmerz, die Sterblichkeit, unsere Endlichkeit, hier ist einer der Räume, wo sie sich Bahn bricht. Manchmal sichtbar schon an äußerlichen Defekten, manchmal an den angstvollen Augen, den Sorgen auf der Stirn, dem Zucken im Gesicht, den fahrigen Bewegungen, der Unterwürfigkeit den Ärzten gegenüber. Arroganz oder Kälte tun hier doppelt weh, was für ein Licht ist da das sympathische Gespräch mit der Assistentin, die die Ultraschallbilder macht, wie dankbar ist man für die ungewöhnliche Freundlichkeit der Ärztin. Gütige Zuwendung, vielleicht einfach nur, weil wir alle Menschen sind, ausgesetzt dem Leiden, irgendwann sicher dem Tod.

„Gedenke, Mensch, du bist nur Staub…“ Der Anfang der Fastenzeit klingt hier das ganze Jahr durch die Räume.

Eine Afrikanerin kommt mit ihrer halbwüchsigen Tochter. Die Tochter zieht eine Körperhälfte mühsam nach, etwas ist ungewöhnlich in ihren Proportionen, immer wieder zucken ihre Glieder unkontrolliert, sie spricht undeutlich und ist in ihrem Verhalten auffällig. Die hellen Narben, die sich um ihren Kopf durch das kurze Haar ziehen, deuten auf schwere Eingriffe hin. Ich überlege, welche Krankheit den jungen Körper geschlagen und gezeichnet haben könnte, als sich das Mädchen mühsam neben mich setzt. Sie ist aufgeregt und traurig, einen Teil der Untersuchung hat sie hinter sich, und sie hat wieder einmal verstehen müssen, dass bei ihr etwas anders ist, und dass ihr Leben anders sein wird als das der meisten. Sie sieht mich an und Tränen laufen über ihr liebes, dunkles Gesicht.

Ich lächle ihr zu, ein langer Augenblick, dann erwidert sie das Lächeln unter Tränen und fragt dann plötzlich zutraulich und einfach so: „Kommst du in meine Kirche?“ „Getroffen!“, denke ich, und beginne ein Gespräch mit der 14Jährigen, deren Direktheit und Sensibilität mich berühren. Während wir unser Herz so oft verstecken und so vieles nicht zeigen können und dürfen, ist ihr Herz ganz sichtbar. Und es ist schön: ganz klar und einfach, ganz gerade und ehrlich. Sie muss Zuneigung und Sympathie nicht zurückhalten, sondern lebt sie mit Leib und Seele, genauso wie Trauer und Zorn genauso. Im Gespräch wechselt sie zwischen Englisch und Deutsch, sie artikuliert schwach und ich stelle mich langsam auf ihr Sprechen ein.

Wir denken über das Singen in der Kirche nach, darüber, dass sie schon in die neunte Klasse geht, dass sie eine kleinere Schwester hat, dass sie so gut Englisch und Deutsch spricht …. „Lade die Dame zu meinem Geburtstag ein, Mummy!“ sagt meine neue Freundin zu ihrer Mutter, und ich freue mich. Später will sie meinen Namen wissen und verrät mir ihren: „Destiny!“ Dankbar blicke ich auf Destiny’s Mutter: im schönen Klang von „destiny“, Schicksal, schwingt die „Vorsehung“ mit; „destiny“ ist als Wort also gleichsam die gläubige Schwester von „fate“, dem Schicksal, das auch ein Verhängnis sein kann. Destiny, das Mädchen, ist vertrauensvoll angenommen, als Geschenk von Einem, der sie, genauso wie sie ist, unendlich liebt: arm und schwach nach den Kriterien der Welt, aber groß und lebendig und schön in ihrem inneren Leben und ihren Äußerungen. Ob ich nicht mit ihr Namen tauschen möchte, erstaunt mich Destiny mit einer weiteren Frage, sie fände meinen schöner. Namentauschen, das geht tief. Der Name ist etwas, das uns doch tief prägt und begleitet, die Bedeutung unserer Namen ist wie eine Zuruf, eine Zusage, ein Zuspruch – wir müssen das natürlich nicht vernehmen, aber manchmal hilft es. – In dieser Begegnung gibt mir meine kleine dunkle Schwester etwas von ihrem Namen und ich gebe ihr etwas von meinem, lautlos und innerlich, in der geheimnisvoll geschenkten Berührung unserer Herzen. Nun muss ich zur Untersuchung. Destiny, ich bete für dich! Dein Weg wird manchmal sehr schwer sein, so wie heute werden Tränen Dein Anderssein begleiten. Du wirst viele Blicke bekommen, weil Du nicht der Konvention entsprichst, weil Du auffällst.

Als ich Dich später, weit hinten im langen Gang, noch einmal sehe, wie Du Dich schleppst und versuchst, mit Deiner Mutter Schritt zu halten, sehe ich das Kreuz, das Du trägst, von einer Untersuchungsstation zur nächsten, von einer Lebensstation zur nächsten. Er sei immer bei Dir, Destiny, schicke ich dem Mädchen im Gebet nach, Er nehme Dich in Seine Arme und tröste Dich. Denn Er war ausgesetzt wie Du und am Kreuzweg verletzten ihn wie Dich die Blicke der Menschen, er schleppte sich dahin, Er strauchelte wie Du. Destiny, Du wunderbare Begegnung, Er trägt das Kreuz heute auch ganz besonders für Dich, bis ins ewige Leben. In Seinem Kreuz sind wir geheilt.


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