Fromm, fröhlich, liebevoll und eine weise Zuhörerin

5. April 2018 in Spirituelles


Am 5. April 1744, einem Ostersonntag, stirbt Crescentia Höß. Kaufbeuren wird über Nacht von selbst zum Wallfahrtsort - Die monatliche Kolumne von Claudia Sperlich


Berlin (kath.net/cs)
Kaufbeuren, die freie Reichsstadt, ist durch Stoffe wohlhabend geworden. Aber Weber sind dennoch in der Regel keine reichen Leute. 1579 wird Kaufbeuren evangelisch, und die Bikonfessionalität trägt nicht eben zur friedfertigen Stimmung der Bevölkerung bei. Zudem wird das Allgäu dreimal von der Pest heimgesucht, am schlimmsten während des Dreißigjährigen Krieges. In den Jahren 1627 bis 1629 verliert Kaufbeuren zwei Drittel seiner Einwohner durch die Epidemie.

Mathias Höß ist Weber. Seine Frau Lucia hat von ihrem Vater, einem Barbier, einiges über Krankenpflege und kleine chirurgische Eingriffe gelernt. Die Eheleute sind hilfsbereit und großzügig, zuweilen über ihre Mittel hinaus, und sind in Kaufbeuren über die Konfessionsgrenzen hinaus beliebt.

Anna, das sechste von acht Kindern, zeigt bereits als Drei-, Vierjährige ein ungewöhnliches Interesse an allem, was heilig ist, lernt das Vaterunser und das Credo und kann bald schon vernünftig auf Fragen des Katechismus antworten. Einmal erscheint ihr Jesus als Knabe und sagt, sie solle an den dreieinen Gott glauben.

Anna lernt schnell lesen und schreiben, ist eine talentierte Sängerin, handwerklich geschickt, klar denkend und phantasievoll und dabei ein liebes, folgsames Kind. Sie lebt zurückgezogen; man kann sagen, sie interessiert sich für Gott und sonst für nichts, aber dies Interesse erfüllt sie vollkommen, sie tut alles um Seinetwillen. Vom Vater lernt sie das Weben, von der Mutter die Krankenpflege. Zu Armen und Kranken empfindet sie eine besondere Liebe und hilft mit wahrer Begeisterung.

Der Vierzehnjährigen erscheint ihr Schutzengel. Er trägt in einer Hand ein rotes Kreuz, in der anderen das Ordenskleid der Franziskaner. Anna will Franziskanerin werden, aber ihr Vater verbietet das. Die Franziskanerinnen in Kaufbeuren sind im Zuge der Reformation verarmt, und Mathias Höß fürchtet, seine Tochter sei diesem harten Leben nicht gewachsen. Auch kann er die geforderte Mitgift nicht aufbringen. Sie bittet dennoch um Aufnahme, wird wegen ihrer Armut abgelehnt und fragt fast zwei Jahre lang immer wieder nach, betet und hofft. Einmal kniet sie vor einem Kruzifix im Klostergebäude nieder und bittet den Herrn um Aufnahme. Sie hört Ihn sagen: „Hier wird deine Wohnung sein.“ Nach Zeugenaussagen ist von diesem Tag an der vorher geschlossene Mund des Kruzifix wie beim Rufen geöffnet.

Daß das „fromme Annerl“ abgewiesen wird, verübeln Katholiken wie Protestanten den Ordensschwestern gleichermaßen. Mathias Wörle, Bürgermeister und Protestant, ist schließlich der ausschlaggebende Faktor.

Ein Ärgernis für die Schwestern ist eine unmittelbar neben dem Kloster gelegene Kneipe, in der es bisweilen sehr laut zugeht. Der Stadtrat hat dem Kloster den Kauf von Immobilien verboten – selbst wenn die Schwestern Geld hätten, könnten sie also nichts machen. Aber Wörle findet, was einen Gottesdienst, und sei es ein katholischer, stört, ist falsch. Er verhandelt so oft und lange mit dem Stadtrat, bis endlich einstimmig beschlossen wird, die Kneipe gegen einen niedrigen Preis den Schwestern zu überlassen. Das Grundstück geht in Klosterbesitz über und wird auf stillere und frommere Weise genutzt als vorher – und die Schwestern sind dem Bürgermeister was schuldig. Der nun findet, wenn das Annerl, dieser Engel, unbedingt ins Kloster will, wäre es falsch, sie in der Welt zu lassen, und sagt das auch der Oberin, die sich widerwillig bereit erklärt, Anna aufzunehmen.

Im Sommer 1703 wird die zwanzigjährige Anna eingekleidet – nach all der Warterei ohne Vorbereitungszeit. Aber trotz dieses scheinbaren Entgegenkommens hat die Oberin keine Sympathie für die Novizin.

In einer Vision sieht Anna den kreuztragenden Heiland aus der Zelle der Oberin treten. In der Tat trägt sie selbst ein Kreuz, das ihr von der Oberin und einigen Mitschwestern aufgebürdet wird – sie erträgt freundlich und demütig, dass sie gemobbt und wie eine Sklavin gehalten wird. Mitleid erfährt sie von ihrer Novizenmeisterin, die ihr manchmal Brot zusteckt, wenn sie wieder einmal nicht annähernd genug zu essen bekommt.

Als die Oberin sie allerdings mehrmals vor Gästen lächerlich macht, wird es selbst den Schwestern zu viel, die sich an dem Mobbing beteiligt haben. Sie erklären Crescentia, daß der Gehorsam sie nicht zu würdelosem Verhalten auf Befehl verpflichte, die aber sagt freundlich und bescheiden, der Gehorsam sei ihr genug, mehr brauche sie nicht.

Nach einem Jahr legt sie die ewigen Gelübde ab. Der Ritus erscheint ihr wie eine himmlische Verlobung, bei der Jesus ihr einen kostbaren Ring an den Finger steckt. Sie erhält den Ordensnamen Crescentia.

In den folgenden vier Jahren häufen sich die satanischen Versuchungen, unter denen sie schon als Novizin gelitten hat; sie erlebt physische Gewalt von finsteren Mächten, die manchmal auch sichtbar erscheinen. Einmal trägt ein Dämon den Topf mit der eben von ihr zubereiteten Weinsuppe weg. Sie ruft Jesus um Hilfe an und rennt hinter dem Gourmet-Dämon her, vermöbelt ihn mit dem Kochlöffel und nimmt den Suppentopf wieder an sich. (Die Ikonographie hat leider bis heute versäumt, diese Szene darzustellen.)

Die Angriffe, die sichtbare Spuren hinterlassen, bringen das Kloster in Verruf. Crescentia wird teils für besessen, teils für eine Hexe gehalten. Zugleich nehmen die gemeinen Mobbing-Attacken durch die Oberin zu. Zwei junge Franziskanerpatres besuchen das Kloster und diagnostizieren unberufenerweise, Crescentia sei mit dem Teufel im Bund. Daraufhin wird sie tagelang fast ohne Nahrung in eine Kammer gesperrt. Die auch danach noch von satanischen Angriffen Geplagte bittet um die Erlaubnis, zu einem Gnadenbild der Muttergottes zu pilgern – aber die Oberin schlägt ihr das ab.

Endlich fällt es dem Provinzial auf, wie tyrannisch und unfromm die Oberin nicht nur mit Crescentia umspringt; statt ihrer wird eine fähige und freundliche Schwester gewählt, die Crescentia die Pilgerreise sofort gestattet. Crescentia wird vom Beginn der Wallfahrt an nie wieder von dämonischen Mächten heimgesucht. Jedoch ist sie häufig krank und hat fast immer starke Schmerzen. Erleichterung, einmal sogar eine Spontanheilung, erlebt sie durch den Empfang der Eucharistie.

Durch die große Armut bedingt, hat sich der Brauch im Kloster verselbständigt, Vesper und Komplet im Handarbeitssaal zu beten und dabei weiter zu arbeiten.

Crescentia spricht die neue Oberin darauf an, und bald ist das Gebet wieder nur Gebet, in der Kapelle, ohne Ablenkung. Fast unmittelbar darauf erfahren die Schwestern in ihrer materiellen Not Hilfe. Spenden von Unbekannten oder dem Kloster fernstehenden Menschen kommen zuverlässig, wenn es wieder einmal auswegslos scheint. Ein Hagelschlag verschont den klösterlichen Garten. Lebensmittel reichen ungewöhnlich lange, seit Crescentia vor dem großzügigen Austeilen an die Armen betet im Vertrauen darauf, dass Jesus das Brot vermehren kann. Auch ein Weinwunder ereignet sich auf Crescentias Gebet, als der bestellte Wein einmal nicht pünktlich ankommt und die Schwestern befürchten müssen, keinen Wein für das Messopfer zu haben.

Sechzehn Jahre lang versieht sie das Amt der Pförtnerin und zeigt sich hier außerordentlich liebevoll bei aller gebotenen Zurückhaltung. Die Armen finden bei ihr immer ein offenes Ohr und Hilfe. Wohl wegen der hier bewiesenen Eigenschaften ist sie dann einige Jahre in der Krankenpflege tätig und lange Zeit als Novizenmeisterin. Sie bleibt zeitlebens gütig, heiter und humorvoll, von großer Klugheit und dabei ohne einen Funken Eitelkeit. 1722 schreibt sie: „Herr, schenke mir nur die Liebe zu Dir, so bin ich reich genug; ich begehre auch nichts weiter mehr als allein, dass Du mich in meinem Nichts lassest, und dass, wenn ich so aus Heftigkeit der Liebe reden darf, Du allein alles verbleibst, Du, der Du in Deiner unendlichen Vollkommenheit Dir immer gleich und alles in allem bist. Ich will Dich lieben in dem, was ich tue, wie Du Dich selbst liebst; ich will Dich lieben mit Dir selbst als mit dem höchsten Gut, das Du auch mir bist; ich will Dich lieben mit Deinen göttlichen Gnaden und Gaben. Ich will Dich lieben, weil Du alles mir selbst in allem bist; ich will mich in nichts erfreuen als allein in Dir und wegen Deiner Liebe.“

Im Sommer 1741 wird Crescentia zur Oberin gewählt. Sie will die Wahl zunächst nicht annehmen, wird aber vom Provinzial unter Gehorsam dazu verpflichtet. Die Wahl ist ein Segen für das Kloster; Crescentia zeigt sich als kluge, umsichtige, zugleich bleibend fromme und liebevolle Oberin, unter der das Kloster einen hervorragenden, weit über die Landesgrenzen hinausgehenden Ruf bekommt. Crescentia muss als Oberin auch zurechtweisen, tut dies aber niemals ohne Überlegung und vorhergehendes Gebet. Alle Schwestern dürfen jederzeit zu ihr kommen, um über Zweifel und Anfechtungen mit ihr zu sprechen, und sie ist eine weise Zuhörerin. Freude und Fröhlichkeit prägen unter dieser Oberin das Kloster.

Am 5. April 1744, einem Ostersonntag, stirbt Crescentia Höß. Kaufbeuren wird über Nacht von selbst zum Wallfahrtsort. 1900 wird sie selig- und 2001 heiliggesprochen.


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