'Sie sind ein treuer Sohn der Kirche'

1. Mai 2018 in Weltkirche


"Wenn es keinen Karfreitag in unserem Leben gibt, wird es auch niemals einen Ostersonntag geben" - Erzbischof Fulton Sheen - Ein Portrait von Dom Antoine Marie / VISION2000


Wien (kath.net/VISION2000)
Am 2. Oktober 1979 schritt vor einer gewaltigen Menge von Gläubigen, die zur Begrüßung des Heiligen Vaters in die New Yorker Saint-Patrick-Kathedrale gekommen waren, ein ehrwürdiger Greis unter den amerikanischen Bischöfen mühsam nach vorne und fiel dort auf die Knie. Johannes-Paul II. zog ihn hoch und umarmte ihn mit den Worten: „Sie haben gut von unserem Herrn Jesus Christus geschrieben und gesprochen. Sie sind ein treuer Sohn der Kirche.“ Alle waren tief gerührt, und Bischof Fulton Sheen hätte gegen Ende seines Lebens für Jesus Christus und seine Kirche keine größere Freude widerfahren können als die Worte des Papstes.

Fulton Sheen kam am 8. Mai 1895 in El Paso (Illinois, USA) als Ältester von vier Brüdern zur Welt. Bei seiner Taufe legte man ihn zum Zeichen dessen, dass er speziell der Himmelskönigin geweiht werden sollte, auf den Altar der Gottesmutter. Sein Taufname lautete Peter John, doch normalerweise redete man ihn nur mit dem Mädchennamen seiner Mutter, Fulton, an, und unter diesem Namen wurde er berühmt.

Fulton erhielt eine klassische Schulbildung und erwies sich als in jeder Hinsicht hervorragender Schüler. Im Sommer half er seinem Vater auf der Farm, obwohl ihm diese Arbeit nicht sonderlich lag, da er eher geistige Interessen hatte. Ein Nachbar sagte einmal zu Fultons Vater: „Dein Ältester wird nie etwas taugen; seine Nase steckt immer in einem Buch.“

Nach der höheren Schule kam der junge Mann auf die Universität, wo er dank seiner Erfolge ein Promotionsstipendium angeboten bekam. Da er unterdessen den Ruf des Herrn ins Priesteramt vernommen hatte, fragte er einen guten Priester, Abbé Bergan, um Rat; dieser gab ihm folgende Antwort: „Verzichte auf dein Stipendium; das will der Herr von dir. Wenn du auf Ihn vertraust, wirst du nach deiner Priesterweihe eine viel bessere Universitätsausbildung bekommen.“ Fulton beschloss, ins Seminar einzutreten, und sollte diesen Schritt nie bereuen.

Am Tag seiner Priesterweihe, dem 20. September 1919, legte Fulton zwei Gelübde ab: Er wollte an jedem Tag seines Lebens eine Stunde vor dem Allerheiligsten verbringen und jeden Samstag eine Messe zu Ehren der Heiligen Jungfrau zelebrieren und dabei um den Schutz der Himmelskönigin für sein Priesteramt bitten.

Gleich nach seiner Priesterweihe schrieb sich Fulton an der „Catholic University of America“ in Washington ein, wo er bald einen Abschluss in Theologie und kanonischem Recht ablegte. Anschließend bat er, an einer europäischen Universität promovieren zu dürfen. Er entschied sich für die Universität von Leuven (Belgien), promovierte im Juli 1925 und legte noch ein Examen in Philosophie ab.

Danach wurde er zum Vikar einer armen Gemeinde in seiner Heimatdiözese (Peoria) ernannt. Angesichts seiner brillanten Studienabschlüsse schien diese Ernennung auf den ersten Blick demütigend zu sein. Er nahm das Amt jedoch bereitwillig an, stürzte sich mit vollem Einsatz in die Seel­sorgearbeit, freundete sich im Handumdrehen mit den Leuten an und bewirkte eine Reihe von Bekehrungen. Acht Monate nach seiner Ernennung sagte sein Bischof zu ihm: „Vor drei Jahren habe ich der Catholic University of America versprochen, dass Sie Mitglied des Lehrkörpers werden. Wegen Ihrer Erfolge in Europa wollte ich aber wissen, ob sie weiterhin gehorsam bleiben. Sie können nun mit meinem Segen in die Lehre wechseln.“

Fulton Sheen blieb über 20 Jahre in Washington und war bei den Studenten überaus beliebt. Er betrachtete die Lehre als „eine der edelsten Berufungen auf Erden, denn letztlich zielt jede Erziehung auf die Erkenntnis der Wahrheit und die Wahrheitsliebe ab“.

Neben seiner Lehrtätigkeit nahm Sheen oft Einladungen zu Vorträgen und Exerzitien an, auf die er sich sorgfältig vorbereitete, da er stets im Stehen und ohne Notizen sprach; man könne im Sitzen kein Feuer entfachen, pflegte er zu sagen. Seine Vorträge pflegte er immer wieder durch Scherze aufzulockern, um die Aufmerksamkeit nicht erlahmen zu lassen. Seine Bekanntheit wuchs rasch.

In seinen Augen mangelte es der Welt vor allen Dingen am wahren Glauben. So zögerte er nicht, entschieden an die großen Wahrheiten des Evangeliums zu erinnern, auf die man sich zur Umkehr besinnen sollte: den Tod, das Gericht, den Himmel und die Hölle. Der moderne Mensch wolle das Unmögliche: eine Religion ohne Kreuz, einen Christus ohne Kalvarienberg, ein Reich ohne Gerechtigkeit und in der eigenen Kirche „einen Pfarrer, der nie über die Hölle spricht“. Aber das entspreche nicht dem Glauben der Kirche.

Ab 1928 war die Stimme Sheens regelmäßig im Radioprogramm „Catholic Hour“ zu hören. Über 20 Jahre lang bemühte er sich, den Hörern den Inhalt des katholischen Glaubens in schlichten Worten nahezubringen und gegen Anfeindungen zu verteidigen. Die Sendungen bescherten ihm reichlich Post und Spenden, die er an Bedürftige verteilte: „Gott vergilt an Zeit, Kraft und Geld alles, was gegeben wird.“ Von 1951 an verkündete er sieben Jahre lang das Evangelium im Fernsehen – in der Sendereihe „Life is Worth Living“ (Das Leben ist lebenswert).

Das Bücherschreiben sowie die Vorbereitung seiner Predigten, Vorträge und Fernsehsendungen waren sehr zeitaufwändig; dennoch fand Sheen Mittel und Wege, um Arme, Kranke und abgelegene Missionen in der Dritten Welt zu besuchen, zehntausende von Briefen persönlich zu beantworten und viele Leute, die sich dem Glauben zuwandten oder wieder zuwandten, anzuleiten. Er betonte immer wieder gern, dass die Gnade Gottes nach Seelen suche, die sich ihm öffnen, und dass „der Riegel auf unserer Seite“ liege, denn „Gott bricht keine Türen auf; wir sind es, die den Eingang blockieren“.

Nach seiner Bischofsweihe am 11. Juni 1951 in Rom wurde Fulton Sheen zum Hilfsbischof von New York ernannt. Er übte dieses Amt rund 15 Jahre lang aus und leitete daneben die „Society for the Propagation of the Faith“, eine Organisation, die zusammen mit dem Heiligen Stuhl die Unterstützung für die missionarische Arbeit sämtlicher amerikanischer Diözesen koordinierte. Er sammelte auch beträchtliche Summen für die Mission.

Doch seine Bekanntheit und das viele Geld, das durch seine Hände floss, riefen immer wieder Neid und Kritik hervor. Eine Auseinandersetzung mit einem hohen kirchlichen Würdenträger über eine Regierungsspende zog sich über zehn Jahre hin. Paradoxerweise half ihm ausgerechnet dieser Streit aus einer Glaubenskrise heraus und ließ ihn die Freude am Leiden mit dem Herrn entdecken: „Wenn es keinen Karfreitag in unserem Leben gibt, wird es auch niemals einen Ostersonntag geben … Für sich selbst zu sterben ist die wichtigste Vorbereitung auf das wahre Leben für sich.“

Bischof Sheen nahm an allen Sitzungen des II. Vatikanums teil und meldete sich dort mehrfach zu Wort. 1966 wurde er zum Bischof von Rochester ernannt und übte dieses Amt drei Jahre lang aus. 1969 trat er offiziell in den Ruhestand und wurde bei dieser Gelegenheit mit dem Ehrentitel Erzbischof ausgezeichnet. Er blieb jedoch weiterhin aktiv: Predigt- und Vortragsreisen führten ihn quer durch die USA und Europa. Er fand sogar die Kraft, eine neue Fernsehserie mit dem Titel „What Now, America??“ (Was nun, Amerika??) in Angriff zu nehmen.

Ab 1977 verschlechterte sich Fulton Sheens Gesundheitszustand. Er musste sich einer Operation am offenen Herzen unterziehen – ein damals noch nie vorgenommener Eingriff an einem Patienten seines Alters. Sobald es nach der Operation möglich war, las ein Priester eine Messe an seinem Bett. Der schwerkranke Erzbischof konnte gerade die Wandlungsworte flüstern; obwohl er mit Luftnot kämpfte, erklärte er einer nichtkatholischen Schwester gleichwohl die Messe. Selbst in dieser Extremsituation beherzigte er das Wort des heiligen Apostels Paulus: Denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde. Eines Abends hörte er – kaum bei Bewusstsein – auf der Intensivstation eine Krankenschwester über einen anderen Patienten reden, der neben ihm im Sterben lag. Sheen hob einen Finger, machte das Kreuzzeichen zum Sterbenden hin, um ihm an der Schwelle zur Ewigkeit so die Absolution zu erteilen.

Im September 1978 musste Fulton Sheen erneut für vier Monate ins Krankenhaus. Er schrieb an einen Vetter: „Ich klage nicht über meine Lage. Ich glaube fest daran, dass der Herr uns deswegen so oft auf dem Rücken liegen lässt, damit wir immer zum Himmel aufblicken.“ Während dieses Krankenhausaufenthaltes führte er einen älteren selbstmordgefährdeten Mitpatienten, der sich bereits vor 45 Jahren von der Kirche abgewandt hatte, zum Glauben zurück, nahm ihm die Beichte ab und reichte ihm die heilige Eucharistie. Dieses Ereignis war ein großer Trost für den Altbischof, denn er betrachtete es als Frucht seiner bereitwillig angenommenen Leiden. „Ich habe den Herrn gebeten, er möge zulassen, dass meine Leiden etwas Gutes für eine Seele bewirken, und Er hat meine Bitte erhört.“

Im Januar 1979 war er zum National Prayer Breakfast mit dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter nach Washington eingeladen und begann seine Rede mit den Worten: „Herr Präsident, Sie sind ein Sünder.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich auch bin ein Sünder.“ Dann ließ er seinen Blick über die Anwesenden gleiten: „Wir alle sind Sünder, und wir alle haben es nötig, uns Gott zuzuwenden.“ Der evangelikale Prediger Billy Graham behauptete später, das sei eine der sprachgewaltigsten und anregendsten Predigten, die er je gehört habe.
Am Karfreitag 1979 stieg Erzbischof Sheen, von seinen Leiden stark geschwächt, zum letzten Mal auf die Kanzel der St.-Agnes-Kirche in New York. Er war fest entschlossen, eine Predigt zu halten, selbst wenn sie ihn das Leben kosten sollte. Er hatte stets die Ansicht vertreten, die Kanzel sei ein guter Ort zum Sterben. Doch nach der Predigt vergingen noch mehrere Monate… Erst am 9. Dezember wurde Fulton Sheen die Gnade zuteil, die er sich so oft erbeten hatte: angesichts des Allerheiligsten zu sterben. Kurz zuvor hatte er bekannt, er wünsche zu gehen: „Nicht weil ich das Leben nicht liebe; ich liebe es wirklich. Aber ich möchte den Herrn sehen. Ich habe Stunden vor Ihm verbracht, der im Allerheiligsten gegenwärtig ist. Ich habe im Gebet zu Ihm gesprochen, ich habe zu all denen, die mich hören wollten, über Ihn gesprochen und nun will ich Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen!“

Der 2002 eröffnete Seligsprechungsprozess für Bischof Fulton Sheen endete 2012 mit der offiziellen Anerkennung seiner heroischen Tugend.


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