Schutzwall für die Liebe

1. Mai 2018 in Familie


Über die missverstandene Botschaft der Enzyklika „Humanae vitae“ - Von Christof Gaspari / VISION2000


Wien (kath.net/VISION2000)
„Du findest Humanae vitae wertvoll?“ Ein Lächeln, erstaunt und ein bisschen herablassend, huscht über das Gesicht meines Gesprächspartners. „Wirklich?“ fragt er ungläubig. Für die meisten Zeitgenossen erübrigt sich dann jedes weitere Gespräch. Das Thema ist erledigt. Verhütung gehört zum modernen Lebensstil. Meine Enkel erzählen mir, dass fast alle Girls in ihrem Umfeld die Pille schlucken. Man weiß ja nie, was passieren wird… Warum also das Thema aufwärmen?

Weil die Sexualität des Menschen eben eine Dimension ist, die ihn zutiefst prägt, in alle seine Beziehungen hineinwirkt: zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen – und selbstverständlich auch zu Gott. Die meisten bedenken all das nicht. Sie leben so, wie es ihr Umfeld es ihnen nahelegt und vorexerziert. Wie die Antworten diesbezüglich ausfallen, ist bekannt. Man kann es in Aufklärungsbroschüren für die Jugend nachlesen: Sex ist ok – schon in jungen Jahren. Man muss nur sicherstellen, dass die Beteiligten bei dem, was sie tun, freiwillige mitmachen. Und vor allem: Nur ja keine ungewollten Folgen. Verhütung ist zum eigentlich einzigen Gebot in Sachen Sex geworden, das den Kindern schon in der Schule eingetrichtert wird.

Ich komme aus einer Zeit, in der Verhütung kein Thema war, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Obwohl ich in einer nicht religiösen Familie groß geworden bin, war mir klar, Sex gehört in die Ehe. Das hinderte nicht daran, sich zu verlieben, Zeichen der gegenseitigen Zuneigung auszutauschen – aber das soziale Umfeld, in dem ich groß wurde, Theater, Fernsehen, Kino, Romane vermittelten mir nicht den Eindruck, ich sei nicht normal, weil ich mit 20 nicht auf sexuelle Erfahrungen zurückblicken konnte.

Sicher hat auch der Umstand, dass voreheliche Beziehungen zu überstürzter Heirat führen konnten – was man ja doch auch erlebte –, zur Zurückhaltung beigetragen.
Wir haben 1968 geheiratet. Die Studentenrevolte mit ihrer liberalen Haltung in Fragen der Sexualität hat auch unsere Sichtweise beeinflusst. Nach der Geburt unserer ersten Tochter war das Verhüten auch bei uns ein Thema, da ein Arzt meiner Frau die Pille verordnet hatte. Auf Grund von Herzproblemen sollte sie nämlich in absehbarer Zeit keine Kinder bekommen.

Wir hatten damit kein Problem, denn die Pille gab es ja mittlerweile und sie wurde von allen Seiten angepriesen: Sie sei sicher und ungefährlich. Die Veröffentlichung von Humanae vitae bekamen wir gar nicht mit. Kirche war ja kein Thema.

Und dennoch war es eine katholische Zeitschrift, die meine Frau wenige Monate später bei einem halbjährigen USA-Aufenthalt in die Hände bekam, die uns erstmals in dieser Frage stutzig werden ließ. In ihr war die Rede von der möglicherweise abtreibenden Wirkung der vielgepriesenen Pille. Damit war diese Form der Verhütung für meine Frau gestorben.
Dass diese Form der Verhütung auch eine Unzahl weiterer schlimmer Nebenwirkungen hat, weiß man nun durch jahrzehntelange Erfahrung: Thrombosen, Schlaganfälle, Herzkrankheiten, Todesfälle, Gebärmutterhals- sowie Brustkrebs, sexuell übertragbare Krankheiten, die man für ausgerottet hielt, nehmen wieder überhand, die Gewässer werden mit weiblichen Hormonen überfrachtet…

Aber zurück zu unserer Erfahrung: Für uns kam somit die Pille nicht in Frage, umso mehr als wir auch aus der amerikanischen Zeitschrift erfuhren, dass es in Österreich einen Arzt gab, Josef Rötzer (Portrait 3/96), der eine natürliche Alternative zur Verhütung anzubieten habe. Heimgekehrt traten wir mit Rötzers Institut für Natürliche Empfängnisregelung (siehe https://iner.org) in Kontakt.

Anfang der siebziger Jahre fand dann ein Ereignis statt, das unser Leben auf neue Schienen setzte: Wir fanden zum Glauben an Jesus Christus. Ein neues Leben begann, über das es viel zu erzählen gäbe. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass nunmehr auch Humanae vitae (HV) in unseren Horizont geriet.
Im kirchlichen Raum war das Thema ja heftig umstritten – auch unter den Priestern, die wir kannten.

Allerdings vertrat die Mehrzahl von ihnen eine papstkritische Haltung, die mir zunächst auch sehr einleuchtend erschien. Wir sollten ja mündige Christen sein, mit einem Erwachsenenglauben, der am Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu sein hatte. Wir hatten uns für NER entschieden, lebten diese Methode jedoch mit Verhütungsmentalität.

Die Wende für mich kam, als mir ein befreundeter Priester ein Buch zum Thema HV in die Hand drückte, um mich in meiner Sichtweise zu bestärken: das Zeugnis von 12 Paaren über ihren Umgang mit der Verhütung – zehn Paare für die Pille, zwei Paare für eine natürliche Empfängnisregelung. Das Ergebnis meiner Lektüre: Bekehrung zum HV. Die Art, wie letztere zwei Paare über ihren Umgang miteinander erzählten, war einfach eindrucksvoll, überzeugend. Ja, das war’s.

Aber was war das Besondere, das diese beiden Paare auszeichnete? Es war die Art, wie sie ihre Beziehung beschrieben, der Umgang, den sie miteinander pflegten. Sie hatten sich weitaus mehr als die anderen Paare den Sinn dafür erhalten, dass sich die Körpersprache der Liebe nicht auf den Sexualakt beschränkt. Vielmehr kultivierten sie auch die „kleineren“ Zeichen der Zuneigung in den Phasen des weiblichen Zyklus, in denen sie sexuell enthaltsam lebten, um ihre Vorstellungen von verantworteter Elternschaft zu verwirklichen.

Und was die verantwortete Elternschaft betraf, erteilten sie mir ebenfalls eine Lehre. Sie nahmen ernst, was sie im Ehesakrament getan hatten: Gott in ihren Bund einzubeziehen. Sie lebten auch in ihrem Intimleben, was sie in jedem Vaterunser beteten: „Dein Wille geschehe.“ Gott sollte nicht gezielt und systematisch aus der sexuellen Vereinigung herausgehalten werden, indem diese ihrer lebenspendenden Funktion durch gezielte Unfruchtbarmachung beraubt wurde. Sie handelten im Vertrauen darauf, dass Gott einen Plan auch bezüglich ihrer Nachkommenschaft hatte. Zwar legten sie ihm mit ihrem Verhalten in den fruchtbaren Tagen des Zyklus ihre Vorstellung davon vor, ob sie ein Kind wollten oder nicht, überlassen es aber dem Herrn, esauch anders zu lenken.

Sie lebten damit das, was man als Keuschheit in der Ehe bezeichnen könnte. Ihre Körpersprache der Liebe blieb der Wahrheit verpflichtet. Der Sexualakt behielt seine eigentliche Botschaft: Ich gebe mich dir ganz hin, ich nehme dich an, wie du bist – mit der kostbaren Gabe deiner Fruchtbarkeit. Wie kostbar diese ist, merken heute viele erst, wenn sie nach Jahren systematischer Verhütung keine Kinder mehr bekommen können.

In den vergangenen 50 Jahren, in denen weltweit Verhütung propagiert wurde, konnten wir erleben, dass dies schwerwiegende Folgen für das Verhalten der Menschen hat: Indem man den Sexualakt unfruchtbar machte, beraubte man ihn jener Dimension, die auch den nicht gläubigen Menschen signalisierte, dass es sich da um einen bedeutungsvollen, möglicherweise das weitere Leben entscheidenden Akt handelte. Und damit wurde er banalisiert. Er verlor weitgehend den Charakter, Sprache der Liebe zu sein, höchste Ausdrucksform gegenseitiger Ganzhingabe.

Humanae vitae war der mutige Versuch von Papst Paul VI., die Kostbarkeit, den hohen Wert des Sexualaktes in Erinnerung zu rufen und ihn vor seiner Banalisierung – gerade auch in der Ehe – zu bewahren. Die meisten haben die Botschaft nicht hören wollen. Viele Menschen aber wurden hellhörig und griffen die von Papst Johannes Paul II. weiterentwickelte Lehre dankbar auf – und sind damit sehr gut gefahren.


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