Abriss

9. Mai 2018 in Kommentar


„Wir sind in der Kirche seit einigen Jahren in diese heiße Phase eingetreten, in der wir die Ernte einfahren von einer Elterngeneration, die null und nichts über den Glauben weiß, in dem sie einst getauft wurde.“ Gastkommentar von Pfr. Alipius Müller


Wien (kath.net/Blog „Totaliter aliter“) Nein. Ich will nicht versuchen, das Internet in heillose Verwirrung zu stürzen, indem ich in seit langem unerhörter Weise an zwei Tagen zwei Beiträge absetze. Ich muß nur aus vielen gegebenen Anlässen mal eben ranten.

[HINWEIS: Wie alle Rants ist auch dieser sicherlich an der einen oder anderen Stelle nicht wasserdicht. Aber wie bei allen Rants ist auch bei diesem Text die vornehmste und erste Aufgabe, den Druck auf das Gemüt der Verfassers zu erleichtern]

Wir sind ja in der Kirche seit einigen Jahren in diese heiße Phase eingetreten, in der wir die Ernte einfahren von einer Elterngeneration, die null und nichts über den Glauben weiß (wissen will), in dem sie einst getauft wurde. Klar, dass man dann von Kindern nichts erwarten darf, die von ihrer Mama mit folgender Information in die Erstkommunion-Vorbereitung geschickt werden: "Die Hostie ist nur ein Keks".

Aber Erstkommunion bitte trotzdem und unbedingt, weil halt irgendwie nett und Tradition und so.

Natürlich: Als Priester ist es nicht nur meine Aufgabe sondern auch meine Pflicht, da etwas entgegenzusetzen. Und das tue ich während der Stunden, die ich mit den Kleinen verbringe, selbstverständlich auch. Die haben, wenn sie zum ersten Mal den Leib Christi empfangen, aus meinem Munde mehr als einmal gehört, was so eine Hostie wirklich ist. Und sie haben es auch irgendwie kapiert. Das erkenne ich an dem kindlich-feierlichen Ernst, mit dem sie die Hostie entgegennehmen und sich in den Mund stecken (wenn sie sich die Hostie nicht von mir direkt auf die Zunge legen lassen, was auch vorkommt, da ich ihnen natürlich beide Empfangsalternativen beibringe). Das Problem ist, dass ich im gesamten Alltag und Leben der EK-Kinder nur als kurzer Blitz vorkomme, der im Idealfall auch mal die Eltern kurz aus dem Halbdunkel ihres Couch- und Koma-Christentums aufschreckt, bevor alles wieder ermattet die Hintern in die vorgeformten Polsterkuhlen fallen lässt. Von diesem Zeitpunkt an gehören die Kinder dann wieder den Eltern und deren Nicht-Interesse an allem, was Christus, Kirche und Glaube ist.

Mein jährlicher Stimmungsverlauf im Zusammenhang mit der Erstkommunion und der Vorbereitung darauf ist dieser: Anfangs blankes Entsetzen wegen der totalen Ahnungslosigkeit fast aller (95%, schätze ich mal) Kinder: Kreuzzeichen? Wie geht'n das? Vaterunser? Ist das 'ne Band? Jesus? Ich glaube, den haben wir in Reli mal gemalt und besungen! Während der EK-Vorbereitung keimt dann Hoffnung auf, weil es offensichtlich ist, dass die Kleinen durchaus Interesse haben und neugierig sind. Nach der Erstkommunion dann milde Resignation, weil alles, was aufgebaut wurde, in relativ kurzer Zeit wieder eingerissen wird.

Eine verschwindend geringe Zahl von Erstkommunion-Empfängern sehe ich in den darauffolgenden Wochen ein- oder zweimal in der Sonntags-Messe, bis Papa und Mama dann irgendwann meinen, dass es nun aber auch genug ist mit dem gezeigten guten Willen. Es geschieht sogar, dass Kinder, die bei mir zur Erstkommunion gegangen sind, plötzlich sonntags in der Sakristei auftauchen und ministrieren möchten. Bombe! Aber: Wenn sie dann plötzlich nicht mehr kommen und ich sie zufällig auf der Straße treffe und anspreche, dann heißt es: "Meine Eltern wollen das nicht".

Es gibt keinen Nährboden mehr. Es kann nichts mehr wachsen.

Wie verhindern wir das totale Abreißen der Überlieferung unseres Glaubens? Wahrscheinlich bleibt letztlich nur das persönliche Zeugnis und die Standhaftigkeit. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass die Priester nur noch für diejenigen da sind (wegen der Mehrfachbelastung in diesen Zeiten oft auch nur noch da sein können), die ohnehin noch - aus welchen Gründen auch immer - mit an Bord sind. Die Kirche aber, das sind wir alle. Somit sind wir alle aufgerufen, den Glauben unverfälscht und unverdünnt zu vermitteln. Nicht mit diesem "Ich bin nicht hier, um Freunde zu machen und populär zu sein, sondern um Euch getauften Heiden die Wahrheit zu verkünden!" – Opferstolz. Sondern mit der einzigen Einstellung, in der die oft bemühte und oft begähnte "Augenhöhe" wirklich einmal Sinn ergibt: Von Sünder zu Sünder.

Natürlich wird im öffentlichen Diskurs bei vielen Gelegenheiten gerne der Begriff der "Barmherzigkeit" bemüht. Aber dieses Prinzip der Barmherzigkeit kann ja erst dort Früchte tragen, wo es innerhalb des Koordinatensystems der Gebote unseres Herrn und der Lehre der Kirche angewendet wird.

Wird durch eine pussyfizierte, zuckerwattige Beliebigkeit in Glaubens- und Praxis-Fragen die Schar der Schäfchen anwachsen? I don't think so. Wer die Kirche und mit ihr den von Christus über die Apostel und die Väter auf uns gekommenen Glauben retten möchte, der muss mit dafür Sorge tragen, dass die Wahrheiten und Realitäten dieses Glaubens unverdünnt und unerschüttert hinabfließen auf die dürstende Masse. Es gibt nur eine "Lebensrealität", in der die Menschen "abgeholt werden müssen". Und diese lautet:

Wir alle sind Sünder, doch keiner von uns ist verloren. Hier sind Christi Gebote, für alle bewahrt und weitergereicht durch die Kirche in ihrer Lehre. Halten wir uns daran. Sonst gehen wir zugrunde.

Der Verfasser Alipius Müller can.reg., Augustiner-Chorherr, ist Pfarrer in Wien.

Foto: Symbolbild


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