Kardinal Kasper zur Interkommunionfrage

18. Mai 2018 in Kommentar


"Kasper nimmt in Kauf, Gläubigen die Erhellung von Sinn und Bedeutung des eucharistischen Glaubens nicht mehr zumuten zu können,zu wollen." Gastkommentar von Martin Hähnel - UPDATE: Reaktion von Kardinal Kasper - UPDATE 2: Antwort von Hähnel


Eichstätt (kath.net/pl) Es war bloß eine Frage der Zeit bis sich Kardinal Kasper in die Diskussion über die Zulassung konfessionsverschiedener Ehepartner zur heiligen Kommunion einschalten würde. In einem kürzlich gegebenen Interview mit dem Vatican Insider hat der Kardinal jetzt Stellung bezogen und den Leib Christi zu einem reinem, der ortsbischöflichen Autorität unterstellten Distributionsgut, das diejenigen getauften Christen empfangen können, die schlicht und ergreifend danach verlangen, erklärt. Unter diesen Minimalbedingungen glaubt Kasper insbesondere auch universellen Gerechtigkeitsanforderungen entsprechen zu können, wie man sie allenthalten aus zahlreichen ethischen Debatten kennt. Ich möchte im Folgenden jedoch hervorheben, dass der Umgang mit der katholischen Eucharistie aus vernünftigen Gründen gerade nicht eine Frage unparteiischer Verteilungsprozesse sein kann.

Indem Kasper am Anfang des Interviews zunächst darauf verzichten möchte, von „Interkommunion“ zu sprechen, kommt er bereits bestimmten Egalitätsforderungen entgegen, die vorsehen, dass die heilige Kommunion oder das Abendmahl nicht nur für bestimmte Gruppen reserviert sein dürfe, sondern für alle da sein müsse. Kasper relativiert damit auch die Forderung von Johannes Paul II., wonach Protestanten der Zugang zur heiligen Kommunion nur erlaubt sei, wenn sie den Glauben der katholischen Kirche in all ihren Facetten bekennen. Allerdings geht Kasper nicht davon aus, dass dies unbedingt in Form einer Konversion geschehen müsse. Damit ersetzt der Kardinal jene von Johannes Paul II. geforderte „Angleichung nach oben“ durch eine „Angleichung nach unten“, indem er den allgemeinen Standard für die Zugangsbedingungen zum Kommunionempfang senkt. Seine Argumentation ist dabei nicht selten widersprüchlich und beruft sich zumeist auf persönliche Beobachtungen und Erfahrungen, die sehr vage sind und damit auch nicht als Belege zur Untermauerung seiner These, wonach die Interkommunion mit Protestanten erlaubt werden sollte, dienen können: So behauptet er unter anderem, dass man in eucharistischen Angelegenheiten von Lutheranern nicht so viel verlangen dürfe wie von Katholiken, Katholiken aber des Öfteren Wissenslücken und Glaubensprobleme aufweisen, wohingegen für Lutheraner, die, so Kasper, oft ein christlicheres Leben als Katholiken führen, die Realpräsenz der Eucharistie für selbstverständlich erachten. Was aber heißt hier „besser“, „mehr“ oder „weniger“? Macht Kasper den christlichen Glauben etwa von bestimmten Leistungskriterien abhängig? Bin ich ein „besserer“ Katholik, wenn ich immer den Katholikentag besuche, aber noch niemals an einer eucharistischen Anbetung teilgenommen habe? Wieso sieht Kardinal Kasper in den Wissenslücken und dem grassierenden Glaubensmangel seiner Schäfchen nicht auch ein Versagen der eigenen kirchlichen Institution und ihrer Funktionäre? Oder möchte Kasper die Gläubigen vielleicht zu Unwissenden erklären, um sein „Gerechtigkeitsprogramm“ von oben besser durchsetzen zu können?

Wenn man die Aussagen Kaspers in dem vorliegenden Interview betrachtet, fühlt sich man sich zwangsläufig an die sympathische Figur des „schlechten Katholiken“ in Walker Percys Roman „Liebe in Ruinen“ erinnert, wo es heißt: „Ich zum Beispiel bin römischer Katholik, obschon ein schlechter. Ich glaube an die heilige katholische apostolische und römische Kirche, an Gott, den Vater, an die Auserwähltheit der Juden, an Jesus Christus, seinen Sohn, unseren Herrn, welcher die Kirche gegründet hat auf Petrus, seinen ersten Vikar, welche dauern wird bis ans Ende der Welt. Vor ein paar Jahren allerdings habe ich aufgehört, Christus zur Kommunion zu essen, aufgehört, zur Messe zu gehen, und führe seither ein liederliches Leben. Ich glaube an Gott und den ganzen Kram, aber Frauen liebe ich am meisten, dann Musik und Wissenschaft, dann Whiskey, Gott an vierter Stelle und meinen Nächsten fast überhaupt nicht. Im Allgemeinen mache ich, was ich will. Ein Mann, sagt Johannes, der sagt, er glaube an Gott, und seine Gebote nicht hält, ist ein Lügner. Wenn Johannes Recht hat, dann bin ich ein Lügner. Trotzdem, ich glaube noch.“ Wer den Roman kennt, wird auch wissen, dass der Protagonist Dr. Thomas More (die Anspielung auf den englischen Heiligen ist unverkennbar) gar nicht so „schlecht“ ist, weil er als einziger das durch Ärzte und Psychologen verursachte und von den meisten Priestern verkannte apokalyptische Unheil durchschaut.

Doch kommen wir zum eigentlichen philosophischen Kern der Argumentation des Kardinals zurück: Mir scheint es, als ob für Kasper Gerechtigkeitserwägungen nicht mehr von der Art des Gutes, um das es letztlich gehen sollte (d.i. die heilige Kommunion, die neulich wieder als „Oblate“ bezeichnet wurde), abhängig gemacht werden sollen, sondern von der Art, d.h. dem Mechanismus, seiner Verteilung. Damit erweckt Kasper den Anschein, Katholiken und Lutheraner trenne nichts voneinander außer das längst unterlaufene „Verbot“ der Interkommunion. Ich bin der Meinung, dass an dieser Stelle gar nicht so sehr aus theologischen, sondern vielmehr aus gerechtigkeitstheoretischen Gründen Bedenken angemeldet werden müssen. In der aktuellen philosophischen Debatte, in welcher Gerechtigkeit schon längst nicht mehr als eine Tugend, sondern vielmehr als erwünschter Endzustand eines Verfahrens angesehen wird, treffen wir immer wieder auf den Einwand, dass man Gerechtigkeit nicht über Gleichheit herstellen dürfe. Auf unser Problem umgemünzt hieße das, dass man zur katholischen Eucharistie kein Äquivalent finden könne, ohne damit eine sogenannte „Angleichung nach unten“ – engl. levelling down – vorzunehmen. Wenn beispielsweise von zehn Personen eine Person blind ist und neun Personen sehend sind, wäre es doch höchst unvernünftig, die neun sehenden Personen zu blenden, damit sich eine gerechte Situation einstelle. Diese „Angleichung nach unten“ entspricht dabei der gezielten Entwertung eines spezifischen Gutes, in diesem Fall ist es die Sehkraft, das Personen naturgemäß qualifiziert und auf welches sie um willen der künstlichen Herstellung von Gleichheit verzichten müssten. Übertragen auf die aktuelle Diskussion zur Interkommunion würde das bedeuten: ‚Geben wir das anspruchsvolle Denken über die Eucharistie endlich auf. Lasst uns doch lieber daran glauben, dass es sich bei der konsekrierten Hostie um eine einfache „Oblate“ handle, die alle unterschiedslos konsumieren können und sollten.‘ Doch um eine solche Form der Entwertung, die den Leib Christi zu einem verhandelbaren und für kollektive Gerechtigkeitserwägungen freigegebenen Gut machen, darf es nicht gehen, wenn es sich bei der konsekrierten Hostie tatsächlich um „heiliges Brot“ handelt.

Diese eben beschriebene „Angleichung nach unten“ geht nach Kasper insbesondere auch mit der Inkaufnahme der Tatsache einher, den Gläubigen die Erhellung des Sinns und der Bedeutung des eucharistischen Glaubens nicht mehr zumuten zu können (und zu wollen). Wäre damit aber nicht ein wichtiges Ziel des 2. Vatikanischen Konzils verfehlt? Allerdings, so behaupte ich, kann das Wissen um den Sinn der Eucharistie nur erschlossen werden, wenn wir den Glauben, der uns – um mit Nicolas Gómez Dávila zu sprechen – erst intelligent macht, vertiefen. Stattdessen erwecken die Überlegungen des ehemaligen Kurienkardinals den Anschein, als ob wir in Zeiten des Niedergangs der christlichen Bekenntnisse im westlichen Europa gezwungen wären, den Gläubigen die Zugangsbedingungen zur Eucharistie zu erleichtern, um diese nicht zu überfordern. Allerdings entspricht dieses Nicht-Überfordern-Wollen letztlich einer allgemeinen Unterforderung der Gläubigen, welche schließlich mit einer tatsächlichen Überforderung der örtlichen bischöflichen Autorität erkauft wird, der es in Zukunft überlassen werden soll, über den „Einzelfall“ in Sachen Interkommunion zu entscheiden. Es wäre aus meiner Sicht an dieser Stelle überaus ratsam und auch wünschenswert, wenn Rom durch seine besondere Autorität die deutschen Bischöfe vor dieser Überforderungssituation, deren man sich hierzulande offensichtlich nicht so bewusst ist bzw. nicht bewusst sein will, weil man glaubt, jedes Problem durch eine „Angleichung nach unten“ lösen zu können, bewahren würde – insbesondere auch, um einer Spaltung unter deutschen Katholiken vorzubeugen. Denn das Phänomen des „Einzelfalls“ wird sich künftig nicht bloß auf die Frage der Interkommunion und die Wiederverheiratung von Geschiedenen erstrecken, sondern auch andere, vor allem ethisch äußerst heikle Fragen erfassen. Aber wahrscheinlich erkennt dies nur der „schlechte Katholik“.

Dr. Martin Hähnel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bioethik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

UPDATE: Reaktion von Kardinal Kasper
Kardinal Kasper äußerte dazu gegenüber der kath.net-Redaktion: „Was der Beitrag ‚Kardinal Kasper zur Interkommunionfrage‘ aus einem in italienische Sprache geführten Interview herausliest, ist hahnenbüchener Unsinn. Der Artikel bringt kein einziges Zitat als Beleg seiner Behauptungen sondern ergeht sich vom ersten Satz an in Unterstellungen und Insinuationen so als ob ich die Kommunion für alle fordere und bis zu der Insinuation, als ob die Eucharistie für mich eine bloße Oblate sei. Völlig daneben! In dem Interview wird ausdrücklich gesagt, dass die Sakramente Sakramente des Glaubens sind und der Empfang der Eucharistie das „Amen“ zum Glauben der Kirche voraussetzt: „Das ist (est!) der Leib Christi.“ Ausdrücklich wird im Interview auf die Mahnung des Apostels Paulus verwiesen, sich vor dem Empfang der Eucharistie zu prüfen und den Leib des Herrn zu unterscheiden (1 Kor 11,28). Das ist das genaue Gegenteil des im Soziologenkauderwelsch abgefassten Beitrags und seines Vorwurfs einer Anpassung nach unten wie seiner Unterstellung, die Eucharistie sei ein der Ortsautorität unterstelltes Distributionsgut nach universellen Gerechtigkeitsanforderungen.

Ich kenne keinen katholischen, aber auch keinen evangelischen Theologen, der einen solchen Quatsch vertritt. Jeder katholische Theologe kann eine solche Unterstellung nur mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Sie ist unverantwortlich, weil sie nichts als Verwirrung und Verunsicherung unter die Gläubigen trägt.“

UPDATE 2: Antwort von Dr. Martin Hähnel
„Eminenz,

es fällt mir sehr schwer Ihnen auf Ihre Erwiderung zu meinem Beitrag zu danken, nicht nur weil ich mir von Ihnen solche Ausdrücke wie ‚Quatsch‘, ‚Kauderwelsch‘ oder ‚Unsinn‘ gefallen lassen muss.

Meines Erachtens haben Sie die Intention meines Beitrages nicht verstanden, denn ich wollte überhaupt keinen Beitrag zur theologischen Diskussion liefern (als Philosoph bin ich in diesen Fragen auch überhaupt nicht kompetent), sondern es war vielmehr mein Anliegen, den advocatus diaboli spielen.

Denn von außen betrachtet, sozusagen aus einer agnostischen Perspektive – die ich selbst lange geteilt habe –, kann es so erscheinen, als ob sich der angemessene Umgang mit der heiligen Kommunion nicht mehr danach richte, welche objektiven Voraussetzungen für einen Empfang erfüllt sein müssen (da ist die Katholische Kirche eigentlich immer ganz klar gewesen), sondern mehr und mehr davon abhängig gemacht werde, wem man in welchen Situationen und Gemütslagen den Zugang erlauben kann.

Ich gehe davon aus, Eminenz, dass Ihnen die Frage nach den objektiven Voraussetzungen und ihrer Bestimmung am meisten am Herzen liegt, doch habe ich den Eindruck, dass eine Infragestellung dieser Voraussetzungen bzw. eine Infragestellung ihrer Vollständigkeit (der Canon 844 des Kirchenrechts hat diese Vollständigkeit bereits irreparabel unterminiert) dazu führt, die heilige Eucharistie zu einem Gut zu machen, das anderen Forderungen – nämlich säkularen Gerechtigkeitsvorstellungen – unterworfen wird und damit in Widerspruch zu den überlieferten Forderungen der Kirche, die da lauten: Integrität des Glaubens, hierarchische und eucharistische Gemeinschaft, steht.

Hochachtungsvoll, Martin Hähnel“




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