Gänserndorf: Kritik an geplantem Abriss einer ehemaligen Synagoge

1. Juli 2018 in Österreich


Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit: "Soll die jüdische Vergangenheit Gänserndorfs aus dem Gedächtnis zukünftiger Generationen der Stadt gelöscht werden?" - Die frühere Synagoge stammt aus dem Jahr 1889


Wien (kath.net/KAP) Heftige Kritik an den Plänen der Stadtgemeinde Gänserndorf, das Gebäude der ehemaligen Synagoge abzureißen und einen Parkplatz zu errichten, hat der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit geübt. Im Gedenkjahr 2018, 80 Jahre nachdem Gänserndorf am 24. Oktober 1938 in einer Mitteilung an die Bezirkshauptmannschaft als "judenrein" erklärt wurde, solle nun die "letzte Erinnerung an das jüdische Leben in der Stadt ausgelöscht werden", formuliert der Koordinierungsausschuss in einer Presseaussendung scharf und weiter wörtlich: "Soll die jüdische Vergangenheit Gänserndorfs aus dem Gedächtnis zukünftiger Generationen der Stadt gelöscht werden? Soll damit gar verhindert werden, dass sich wieder jüdische Familien in Gänserndorf ansiedeln?"

Das Gebäude, das abgerissen werden soll, stammt aus dem Jahr 1889 und wurde nach Plänen des Architekten Jacob Modern errichtet. Das allein mache es nach Ansicht des Koordinierungsausschusses schon zu einem "Denkmal, das schützenswert ist". Als Gebäude, in dem eine religiöse Gemeinde, die zum überwiegenden Teil nach 1938 ermordet wurde, sich zwischen 1889 und 1938 zum Gebet eingefunden hat, sei es außerdem ein "historisches, unwiederbringliches Dokument".

Im Erhalt solcher Gebäude, die zur Auseinandersetzung mit dem Judentum auffordern, spiegle sich auch der seit der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils "Nostra Aetate" von 1965 offen formulierte Wunsch der Kirchen nach Berührungen mit historischen wie lebendigen jüdischen Gemeinden wider, um die Wurzeln christlichen Glaubens verstehen zu lernen. Diese Aufforderung richte sich auch an alle Christen und Christinnen.

Der Koordinierungsausschuss appelliert an alle zuständigen oder auch nur interessierten Personen und Institutionen, gegen diesen "Anschlag auf die Erinnerungskultur (Nieder-)Österreichs" Einspruch zu erheben, "damit die Zerstörungen jüdischer Kult- und Kulturbauten durch das Nazi-Regime nicht in der Republik Österreich weitergeführt werden". Der Koordinierungsausschuss hat sich in der Causa auch bereits an den Gänserndorfer Bürgermeister René Lobner sowie die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gewendet.

Stadtratsbeschluss für Abbruch

Am vergangenen Freitag hatten die Grünen eine Kundgebung vor dem Haus organisiert, um gegen den Abbruch zu protestieren. Bürgermeister Lobner dazu in den "Niederösterreichischen Nachrichten" (NÖN): "Diese Aufregung versteht in Gänserndorf kaum jemand. Ein altes, abbruchreifes Gebäude plötzlich mit dem Gedenkjahr und Antisemitismus in Verbindung zu bringen, disqualifiziert die Grünen von selbst." Vom Protest des Koordinierungsausschusses dürfte der Bürgermeister zum Zeitpunkt dieses Statements noch nichts gewusst haben.

Allerdings läuft auch die Historikerin Ingrid Oberndorfer seit längerem Sturm gegen die Pläne, die ehemalige Synagoge abzureißen. "Wir sollten das wenige jüdische Kulturgut, das noch erhalten ist, schützen und bewahren", so Oberndorfer gegenüber den NÖN. Es wirke unglaubwürdig, wenn VP-Bundeskanzler Sebastian Kurz nach Israel fahre, dort auf Österreichs historische Verpflichtung hinweise und gleichzeitig in der Heimat ehemalige jüdische Gebetshäuser abgerissen würden.

Raimund Fastenbauer, Generalsekretär des Israelitischen Kultusgemeinde, sagte in einer Stellungnahme gegenüber den NÖN wörtlich: "Ich finde es bedauerlich und befremdlich, dass die ehemalige Synagoge Parkplätzen weichen soll. Wir sind der Ansicht, dass das Gebäude in einer anderen Form genutzt werden sollte, beispielsweise als Museum. Aber das Haus gehört der Gemeinde."

Das betont auch Bürgermeister Lobner: "Die Stadtgemeinde ist seit Jahrzehnten im Besitz dieses Gebäudes und ohne irgendwelche Auflagen uneingeschränkte Eigentümerin. Da das Haus keinem Denkmalschutz unterliegt, obliegt es einzig der Stadtgemeinde, was mit dem Gebäude passiert."

1938 wurde das Bethaus unter der Nazi-Diktatur enteignet. Letztendlich kaufte die Gemeinde Gänserndorf die Liegenschaft von der Israelitischen Kultusgemeinde. Nach dem Krieg wurde die ehemalige Synagoge als gewerbliche Berufsschule verwendet. Es kam anschließend zu Umbauten, weil das Gebäude unterschiedlichen Funktionen diente, so war auch eine Musikschule in dem Haus untergebracht. Derzeit befindet sich ein Jugendzentrum in dem ehemaligen Bethaus.

Für den Abbruch gibt es laut Lobner einen einstimmigen, gültigen Stadtratsbeschluss vom Jänner 2014 (vor Lobners Zeit als Bürgermeister, Anm.). Dieser wurde in der jüngsten Stadtratssitzung erneuert. Der Abbruch werde demnach erfolgen. Und, so Lobner: "Bereits im Sommer könnten die Bauarbeiten beginnen."

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