„Wir müssen die Herzen der Nordkoreaner gewinnen“

15. Juli 2018 in Weltkirche


Priester spricht über humanitäre und religiöse Lage in der Diktatur


München-Wien (kath.net/KIN) Internationale Beobachter sähen in Nordkorea „lediglich einen Unsicherheitsfaktor mit einem über Raketen verfügenden Diktator. Dabei werden die Lebensbedingungen der 24 Millionen Nordkoreaner häufig ausgeblendet.“ Dies erklärte der südkoreanische Priester Kang Ju-seok in einem Gespräch mit dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“. Kang leitet das „Nordostasiatische Katholische Institut für Frieden und Zusammenarbeit“. Es befindet sich in der Stadt Paju, nur wenige Kilometer von der demilitarisierten Zone entfernt, die Nord- und Südkorea trennt. Das Institut engagiert sich in der Friedensarbeit – „jenseits von Schlagzeilen“, wie Kang anmerkt.

Mehr Informationen aus dem Ausland – weiterhin schlechte Versorgungslage

Die historischen Begegnungen des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un mit US-Präsident Donald Trump und dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in würden zwar die Hoffnungen auf Reform und Annäherung nähren, meint der Priester. „Allerdings wird das nordkoreanische Regime die Wachsamkeit gegenüber den Religionen nicht verringern.“

Man wisse kaum etwas über die alltägliche Situation in Nordkorea – sowohl was die humanitäre Situation als auch die Zahl der Christen anbelange. Flüchtlinge berichteten jedoch, dass immer mehr Informationen aus dem Ausland nach Nordkorea gelangten. „Immer mehr Nordkoreaner haben Zugang zu Handys, DVD-Playern und Computern“, sagte Kang. Es herrsche aber nach wie vor eine mangelhafte Lebensmittelversorgung. Der Schmuggel mit China blühe – davon profitierten jedoch am ehesten höhere Angestellte und Parteikader. „Ich mache mir Sorgen um die Armen und Verletzlichen, denn sie leiden am meisten.“ Die internationalen Sanktionen würden die Situation noch verschärfen. „Viele Nordkoreaner leben in extremer Armut“, so Kang.

Auch was die Zahl der Christen und Angehörigen anderer Religionen anbelange, gebe es keine verlässlichen Zahlen. Fakt sei aber, dass in der Hauptstadt Pjöngjang heute vier vom Regime errichtete Kirchen existieren: zwei russisch-orthodoxe, eine römisch-katholische und eine protestantische. Ausländischen Besuchern werden diese Gotteshäuser als Beleg für religiöse Toleranz gezeigt. Auch Katholiken und Priester aus Südkorea können seit 20 Jahren vereinzelt an Gottesdiensten teilnehmen, so Kang. Diese regelmäßigen heiligen Messen seien eine Ausnahme im Vergleich zu den anderen christlichen Konfessionen. Diese könnten seltener Gottesdienste feiern.

Die Meinungen über die Zusammensetzung der Gemeinde sei jedoch gespalten: „Einige sind von den Gottesdiensten beeindruckt. Anderen ist die Situation verdächtig. Sie fragen sich, ob die Nordkoreaner, die an der Messe teilnehmen, wirklich Gläubige sind.“ Kangs Auffassung nach würden die meisten Gottesdienstbesucher vom Regime in die Kirche beordert, wenn Gäste teilnehmen. Es sei so gut wie unmöglich, in Nordkorea längerfristig eine Religion auszuüben, ohne Repressalien des Regimes fürchten zu müssen. „Aber wir glauben dennoch, dass es Christen in Nordkorea gibt“, sagte Chang.

Diese seien vielleicht Überlebende der Christenverfolgung oder deren Nachkommen. Die kommunistischen Machthaber hatten bereits nach der Teilung der koreanischen Halbinsel im Jahr 1948 mit der systematischen Verfolgung begonnen. „Schon bevor der Koreakrieg ausbrach (1950-1953, Anm. d. Red.), gingen viele Christen auf der Suche nach Religionsfreiheit über die Grenze.“ Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren in Pjöngjang drei von zehn Einwohnern Christen. Die Stadt wurde sogar „Jerusalem des Ostens“ genannt. In der Region wurden damals mehr als 2000 Kirchen gebaut.

Hass als Ersatzreligion?

Der Kult um die Kim-Dynastie sei nach wie vor eine Art „Ersatzreligion“. Die Loyalität zum Regime speise sich jedoch auch aus dem immer wieder geschürten Hass auf Südkorea und den Westen. „Während des Koreakriegs starben zwei bis drei Millionen Nordkoreaner, und die Regierung nutzt dieses Trauma immer wieder aus.“ Zum Erhalt der Alleinherrschaft trage auch das ein Art „Kastensystem“ namens Songbun bei, das die Kim-Dynastie eingeführt habe. „Bei der Zuteilung von Gütern und Dienstleistungen erhält die Gruppe der Menschen, die dem Regime loyal ergeben sind, einen besseren Anteil oder wird großzügiger behandelt“, sagte Kang. Ob diese quasireligiöse Verehrung aber auch in die private Vorstellungswelt der Nordkoreaner vorgedrungen sei, könne niemand sagen. „Wir wissen nicht genau, wie diese Gesellschaft funktioniert.“

Diese jahrzehntelang etablierten Verhaltensmuster seien schwer zu durchbrechen. Deshalb ist der Priester überzeugt, „dass im Zuge der Reform und der Öffnung zwar nicht kurzfristig, aber langsam das Christentum zurückkehren wird. Letztlich müssen wir die Herzen der Nordkoreaner gewinnen.“ Dies könne durch die Erfahrung von „Werken der Nächstenliebe ohne Gegenleistung“ erfolgen. Der Weg zu mehr Menschenrechten und Religionsfreiheit könne gegenwärtig nur über Veränderungen von Seiten des Regimes erfolgen. Dazu sei eine Zusammenarbeit aller friedensliebenden Kräfte nötig, ist Kang überzeugt. „Laut Papst Franziskus sollen wir daran glauben und dafür beten, dass der Weg zur Öffnung über Dialog und Verhandlungen führt, nicht über Militärmacht.“

Foto: Grenzanlagen an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea © KIRCHE IN NOT


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