Bischöfe interpretieren Prager Frühling heute als große Illusion

5. August 2018 in Chronik


Den Intellektuellen auch in der katholischen Kirche schien mit der Niederwalzung der Beweis erbracht, dass das System nicht reformierbar war.


Prag-Pressburg (kath.net/ KAP)
Der "Prager Frühling" des Jahres 1968 erscheint in den Augen der tschechischen Katholiken und der Demokraten des Landes heute als wichtiger, aber fehlgeschlagener Versuch, nach 20 Jahren das Joch des Kommunismus abzuschütteln. Der Stellenwert, den das Gedenken an 1968 in der katholischen Kirche der Tschechischen Republik genießt, lässt sich gut an der programmatischen Homilie ablesen, die Erzbischof Jan Graubner am 5. Juli beim Hauptgottesdienst der Nationalwallfahrt 2018 in Velehrad hielt. Der Stellvertretende Vorsitzende der Tschechischen Bischofskonferenz erinnerte gleich eingangs daran, dass man heuer "diese Cyrill-und-Method-Wallfahrt in der Mitte eines Jahres voll runder Gedenktage" feiere.

Graubner zählte dann die Achterjahre auf: "Wir feiern das 100-Jahr-Jubiläum der Tschechoslowakei, die unter den unermesslichen Geburtswehen eines großen Weltkrieges geboren wurde und mit großen Erwartungen und Hoffnungen verbunden war. Schon nach 20 Jahren wurde das Land bedroht und erklärte die Mobilmachung, die eine Vorahnung des Weltkriegs war. Nach kurzem freien Aufatmen begann eine vierzigjährige kommunistische Diktatur, in deren Mitte die Menschen das Haupt erhoben, doch ihre Hoffnungen wurden von sowjetischen Panzern eingefroren."

Daran schloss der Erzbischof von Olmütz und Metropolit der Mährischen Kirchenprovinz noch eine Erinnerung an ein unrundes Jahr an: "Vor 25 Jahren teilte sich die freie Tschechoslowakei auf und entstand die Tschechische Republik. Damals haben wir in Velehrad für den neuen Staat gedankt, riefen auf ihn den Segen herab und vertrauten das ganze Volk Gott mit den Händen der Jungfrau Maria an."

Das Jahr 1968 ist also eingebettet in eine emphatische Erinnerung an 1918, eine beklemmende an 1938, eine verklausulierte an 1948 und eine im Verlauf der Predigt noch weiter ausgeführte hymnische auf 1993. Die mit dem Einmarsch der "Bruderarmeen" im August 1968 erfolgte Prolongierung der Diktatur um weitere 20 Jahre in der sogenannten "Normalisierung" verstärkte die Aversion gegen das System. Einen "Sozialismus mit dem menschlichen Gesicht", wie ihn Alexander Dubcek im Jahr des Aufatmens gefordert hatte, wollte nur mehr eine Minderheit. Den Intellektuellen auch in der katholischen Kirche schien der Beweis erbracht, dass das System nicht reformierbar war.

Politische Gallionsfigur der neuen Ära wurde der Thatcherist Vaclav Klaus, der eine Marktwirtschaft ohne sozialen oder gar ökologischen Zusatz propagierte und auch viele Katholiken auf seiner Seite wusste. Ein Abrücken von dieser Positionierung ist auch im Pontifikat von Franziskus nicht eingetroffen.

Es war deshalb nur eine kleine Gruppe um den Philosophen Jan Bierhanzl, die heuer im Februar Papst Franziskus aufgefordert hatte, den Prager Erzbischof Kardinal Dominik Duka nach dessen 75. Geburtstag nicht länger im Amt zu belassen. Bierhanzl sieht in Duka - und mehr noch in dessen möglichem Nachfolger Tomas Holub - einen Handlanger des Neoliberalismus.

1978 statt 1968

In der Slowakei bedeutete das Jahr 1968 die Föderalisierung des Gesamtstaates. 23 Jahre nach dem Ende des Slowakischen Staates zur Zeit des Dritten Reiches gab es wieder eine Slowakische Republik, mit geringen politischen, aber bedeutsamen kulturellen Befugnissen. Die tschechische Missachtung des nationalen Faktors bei den Slowaken, die dann nach 1989 stark wurde, sollte den Zerfall der Tschechoslowakei wesentlich beschleunigen.

Die katholische Kirche, deren Führung bis heute von der Nostalgie an den katholisch geprägten Tiso-Staat von 1939 bis 1945 nicht ablassen will, erinnert sich ungern daran, dass die Föderalisierung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von den wieder moskauhörigen Kommunisten durchgeführt wurde. Sie gedenkt daher lieber eines weiteren Achter-Jahres, nämlich 1978, als Papst Paul VI. in der Slowakei eine eigene Kirchenprovinz errichtete und damit, 60 Jahre nach der Ausrufung der Tschechoslowakei, auch auf kirchlicher Ebene die letzten Bande mit Ungarn durchschnitt.

Bei den Gedenkfeiern zu 1978 heuer in Nitra strich die römisch-katholische Kirche heraus, dass sie die Föderalisierung des Staats und damit letztlich die Ausrufung der Unabhängigkeit 1993 auf ihrer Ebene vorweggenommen hat. Sich als nationale Institution zu profilieren hat angesichts der Präsenz zweier dezidiert slowakisch-nationaler Parteien, die um die Stimmen der Christen buhlen, auch politisches Gewicht.

Völlig anders verhält es sich mit der griechisch-katholischen Kirche, die 1968 ihre Katakomben zumindest formal verlassen konnte. Die Einverleibung in die orthodoxe Kirche im Jahr 1950 wurde rückgängig gemacht, und zwar im Juni, am Höhepunkt des "Prager Frühlings" und nicht erst nach dessen gewaltsamer Beendigung. In den Augen der griechisch-katholischen Kirche der Slowakei nimmt das Gedenken an 1968 einen zentralen und geradezu triumphalen Platz ein. Es ist eingebettet in etliche andere Jubiläen: 200 Jahre seit der Gründung der Eparchie Presov, 15 Jahre seit deren Erhebung zur Archieparchie und 10 Jahre seit ihrer Aufwertung zur Metropolie mitsamt der Gründung der neuen Eparchie Bratislava.

Innerkirchlich hat in den beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei das Gedenken an 1968 also nur in der griechisch-katholischen Kirche und bei dieser, in Anbetracht ihrer Größe, vor allem in der Slowakei Gewicht. In der römisch-katholischen Kirche erinnert man sich einer kurzfristigen Regeneration, etwa durch die Presse- und Organisationsfreiheit sowie die Kontaktmöglichkeiten mit Rom und der Weltkirche, konzentriert sich aber auf andere Jubiläen, die deutlicher den Beitrag der Kirche zu Gesellschaft und Staat in Geschichte und Gegenwart hervortreten lassen.

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