Missbrauchsskandal und Zeitendeuter

23. August 2018 in Buchtipp


„Alle Schönrednerei übertönen und das Volk und seine Hirten aufwecken“, denn am Tag des Herrn wird gerichtet. Leseprobe aus der Neuerscheinung „Zeitgerecht statt zeitgemäß – Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist“ von Helmut Müller


Paderborn (kath.net) „Der Herr brüllt vom Zion her, aus Jerusalem dröhnt seine Stimme so dass Himmel und Erde erbeben“ (Joel 4,16) Anlässlich des Missbrauchsskandals in der Kath. Kirche passt folgende Leseprobe aus: Zeitgerecht statt zeitgemäß – Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist von Helmut Müller.(S. 89f […] 92f.)

Vorweg. Die Propheten des Alten Testamentes waren Zeitendeuter. Das Maß ihrer Zeitdeutung war die Nähe und Ferne des Volkes Israel zu seinem Gott Jahwe. Nähe zu Jahwe bedeutete Heil, Ferne Unheil. So kann man in Bezug auf das Heil, Heils- und Unheilsprophetien unterscheiden. Die Prophetie selbst hatte das Heil des Volkes Israels im Auge. Eine Heilsprophetie kam selbstredend immer besser an als das Gegenteil. Oft waren die Zeitenläufe aber so, dass die Propheten das Volk davor warnen mussten sehenden Auges ins Unheil zu laufen. Die Lesungen vom Freitag und Samstag aus dem Buch Joel sind zunächst Unheilsprophetien: So war gestern (10. 10. 2015) z. B. zu hören: „Der Herr brüllt vom Zion her, aus Jerusalem dröhnt seine Stimme, so dass Himmel und Erde erbeben“ (Joel 4,16). So als wolle er alle Schönrednerei übertönen und das Volk und seine Hirten aufwecken, dass am Tag des Herrn gerichtet wird. Der Alttestamentler Hans Walter Wolff schreibt zu diesem Grundtenor des Buches Joel: „Lasst euch durch die katastrophale Bedrohung der Gegenwart und der Zukunft zur gänzlichen Umstellung auf die bezeugte und verkündete Barmherzigkeit Gottes bewegen.“

Auch Jeremia war zeitlebens damit befasst, Israel vor Augen zu halten, was auf es zukommt, wenn es diesen Pfad der Abkehr von Jahwe weitergeht. Diese Prophetie kam beim Volk nicht gut an im Gegensatz zu seinem Kollegen Hananja, der ein Heilsprophet war und sagte es kann uns nichts passieren, der Tempel des Herrn steht in Jerusalem. Jeremia klagte darüber, dass er nur Unheil anzukündigen habe, er verfluchte sogar seine Geburt deshalb, weil er nur dazu berufen war, Unheil zu kündigen.

Wie halten wir es heute? Wie sollen wir die Ereignisse deuten? Am Freitag wurde in der ersten Verlautbarung der deutschsprachigen Gruppe der Synode verlangt mehr die positiven Zeichen der Zeit zu sehen, als die negativen. Am gleichen Tag klang Papst Franziskus in der Morgenmesse ganz anders: Er warnte vor den „Fallen des Teufels“. Der Teufel wolle das „Gewissen betäuben“, „Weltlichkeit“ sei „eine Tochter des bösen Geistes“. […]
Mehr Heil oder eher Unheil? […]

Ich denke, wenn sich Unheil anbahnt, sollte man das Unheil beim Namen nennen, auch wenn es Unheilspropheten in der Geschichte denkbar schlecht erging, Jeremia steckte man bis zum Hals in eine Latrine, andere kostete es sogar den Kopf, oder wie Kardinal Ratzinger die Reputation, mit Beinamen wie „Apokalyptischer Würgeengel“, „Panzerkardinal“, „Rottweiler Gottes“ und „Hitlerjunge“. Als er 1985 sein Buch zur Lage des Glaubens veröffentlichte, wurde sogar mancherorts der Verkauf blockiert. Er selbst, der Ablehnung vielfach erleben musste, als Theologe, Bischof, Kardinal und schließlich als Papst deutete dies so: Pessimismus sei in einer Zeit des positiv Denkens schlechthin der Sündenfall gegen den Geist der Epoche. Dagegen antwortete er mit einem Beispiel: „Was würde man wohl von einem Geschäftsmann sagen, der nur noch rote Zahlen schreibt, aber anstatt das Übel anzuerkennen, seine Gründe zu suchen und ihm beherzt entgegen zu steuern, sich seinen Gläubigern allein durch Optimismus empfehlen würde?“ (Ratzinger, J.: Mitarbeiter der Wahrheit, S. 297f, Zitat S. 306.)

Natürlich gibt es immer beides, Erfreuliches und Unerfreuliches. Allein auf die Gewichtung kommt es an. Das ist Prophetenaufgabe. Wenn ich Ereignisse genannt habe, sind sie von mir schon gewichtet, Neutralität ist unmöglich, deshalb fordere ich auf: Glauben Sie mir nichts, hinterfragen Sie alles, Kopfnicker haben wir genug.

kath.net-Buchtipp
Zeitgerecht statt zeitgemäß
Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist
Von Helmut Müller
Hardcover, 244 Seiten
2018 Bonifatius-verlag
ISBN 978-3-89710-790-8
Preis Österreich: 15.40 EUR (inkl. USt.)

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