Ich bleibe!

4. September 2018 in Kommentar


"Die Enthüllungen und Verdächtigungen in der katholischen Kirche in den letzten Wochen lassen mich nicht kalt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht weine über diese Kirche, verbrecherische Priester und junge Opfer." Von Claudia Sperlich


Berlin (kath.net/Blog „Katholisch? Logisch!“/cs) Die Enthüllungen und Verdächtigungen in der katholischen Kirche in den letzten Wochen lassen mich nicht kalt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht weine über diese Kirche, über die korrupten Priester, die Verbrechen begangen oder vertuscht haben, über die Kinder und die jungen Menschen, die ihre Opfer wurden, deren Vertrauen so übel missbraucht wurde, über die zumindest zweifelhafte Rolle des Papstes, über die unbescholtenen Priester, die tapfer ihren Dienst tun und dabei auf dem Zahnfleisch gehen, über die Seminaristen, die einfach nur Priester werden wollen und nun mit diesem grausigen Chaos konfrontiert sind, über das ganze Volk Gottes, in dem nun auch mehr als sonst Streit und Parteiung herrscht und von dem viele sich entfernen, über die Welt, die mit Ekel und Verachtung auf die Kirche schaut.

Man merkt, ich bin traurig.

Ich will hier nicht darauf eingehen, welche Schuld der Heilige Vater auf sich geladen hat und wieviel davon. Mir sind von gleichermaßen intelligenten und frommen Katholiken widersprüchliche Erklärungen bekannt, die jede für sich plausibel klingen. Immer wieder versuche ich, mir ein sinnvolles Urteil zu bilden, und immer wieder scheitere ich, weil die Sache so verworren ist.

Jesus Christus hat versprochen, daß auch die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwinden.
Vor knapp vier Jahren drohte der IS, Rom niederzumachen. Es ist ihm – vorhersehbar – nicht gelungen.
Ich bemühe mich zu glauben, daß auch die Pforten der Kirche die Kirche nicht überwinden werden. Meistens gelingt mir das.

Was die katholische Kirche lehrt, ist immer noch richtig. Es ist richtig, an den Dreieinen Gott zu glauben und Jesus Christus als Herrn und Messias zu lieben. Es ist richtig (wie ich in den über dreißig Jahren meines Christseins immer mehr erfahren habe), die göttlichen und die kirchlichen Gebote zu befolgen und die Heiligen zu verehren. Die Kirche mit ihrer Liturgie, mit den Sakramenten, den vielfältigen Gottesdiensten, dem Kirchenjahr von Advent bis Christkönig, mit ihrer reichen Kultur und ihrer sozialen Bedeutung, ist nicht nur mir Mutter und Lehrerin.

Eine pervertierte Kirche, ausgehend von Menschen, die ihr Hirtenamt für ekelhafte Machtspiele mißbrauchten, hat sich über die sichtbare Kirche gestülpt, so daß sie in vielen Teilen verzerrt und schrecklich aussieht. Ich vertraue dennoch weiter den von mir als vertrauenswürdig erlebten Priestern, Ordensleuten und Laien. Ich weiß, daß der Herr im Sakrament der Eucharistie anwesend ist, daß Er in der Absolution durch den Priester spricht, daß Er „in Seiner Kirche lebt und wirkt“, wie wir im Rosenkranzgebet sagen. Ich weiß nicht, warum Er so Schreckliches in Seiner Kirche zulässt.

Aber ich soll den guten Kampf kämpfen. Gott hat uns überwältigende Freude zugesagt – aber erst nach diesem Leben. Er hat gesagt, daß es auch falsche Propheten und schlechte Hirten geben wird. Es muss sie geben, weil alle Menschen – auch Propheten und Hirten – frei sind, sich für oder gegen die Wahrheit zu entscheiden. Es darf sie nicht geben, weil sie Gottes Liebe widersprechen. Mit diesem Widerspruch muss ich leben, so wie ich auch mit meiner eigenen Fehlbarkeit leben muss.

Ich liebe die unsichtbare Kirche, die mystische Braut Christi, und ich liebe in großen Teilen immer noch auch die sichtbare Kirche, Wohnung der Menschen, selbst wenn diese Wohnung verlaust und dreckig ist. Es geht mir dabei, als hätte jemand meinen Vater als Amokschützen, meine Mutter als Giftmischerin überführt. Aber ich bleibe. Zu wem sonst sollte ich gehen? Hier ist die Kirche, hier ist Jesus Christus.

Vielleicht werde ich erleben, daß die Apostolische Sukzession endet und damit erst die Bischöfe und dann die Priester aussterben, daß die Sakramente nicht mehr gespendet werden können (außer dem der Taufe, die im Notfall nicht nur jeder Christ, sondern jeder Mensch guten Willens spenden kann, wenn er nur die Taufformel kennt und Wasser da ist, und dem der Ehe, das sich die Brautleute gegenseitig spenden), daß wir Laien zusehen müssen, wie wir mit Gebetskreisen, Wortgottesdiensten und Andachten dabeibleiben. Ich weiß nicht, ob Gott auch das Seiner sichtbaren Kirche zumuten wird, und inwieweit sie dann noch Kirche wäre. Die unsichtbare, mystische, herrliche Kirche aber wird nicht vergehen. Jesus Christus hält sie an Seinem Herzen. Darauf vertraue ich – so gut es mir gelingt.

Archivfoto: Blick vom Tiber zum Vatikan


Foto (c) kath.net/Jorgelina Jordá


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