Wir proklamieren den Sieg Jesu über unsere Kirche!

21. September 2018 in Kommentar


Es ist die Stunde der Laien angebrochen, die ihren Glauben radikal leben. Fragmente und Notizen zur Kirchenkrise - BeneDicta am Freitag von Petra Knapp-Biermeier


Linz (kath.net) Die Sonne legt sich wie eine zarte goldene Decke auf den Vorplatz der Basilika. Ein spätsommerlicher Samstagnachmittag, eine lange Festmesse, Kuchen und Wein, fröhliche Gesichter. Auch das gibt es noch, in der katholischen Kirche, die gerade von Skandal zu Skandal taumelt. Ich vergesse für ein paar Stunden McCarrick, Viganò und alle dazwischen aufgespannten Dramen und lasse mich beschenken, in der Eucharistie, im Lied, in der Freundschaft.

Frodo Beutlin kommt mir immer wieder in den Sinn in diesen Tagen. In Tolkiens Epos „Der Herr der Ringe“ begibt sich der kleine Hobbit mit seinen Gefährten auf eine Reise, deren Gefährlichkeit und Ungewissheit alles übersteigt, was in ihrem Horizont ist. Und doch tauchen an den äußersten Rändern der Gefahr regelmäßig kleine Inseln auf, die sie herausnehmen aus Zeit und Raum: Elben, Tom Bombadil und Co. versorgen sie mit Essen, Liedern, Spaß, erholsamem Schlaf, inneren Updates und kleinen Geschenken, die sie brauchen werden, um die nächsten Gefahren zu meistern.

Stunden später bin ich wieder im Alltag drin, erfrischt und gestärkt. Seit Wochen verfolge ich die Kirchenkrise, aber außer Ahnungen, Vermutungen, Sorgen bringe ich nichts Vernünftiges zu Papier. Alles klingt holprig und brüchig.

„Wo sollen wir jetzt hin?“, steht schon mal da. „Wer die katholische Kirche je als Heimat erlebt hat, als Hoffnungsspenderin, als sicheren Hafen, der alle möglichen Krisen überstanden hat und ein Garant ist für das Gute, Wahre und Schöne, der könnte sich in dieser verwirrten, beklemmenden Zeit fühlen, als zöge man ihm den Boden unter den Füßen weg. Eine schlechte Nachricht jagt den nächsten Skandal und wir sind gebeutelt und schockiert von biographischen Fragmenten jener, die unsere Hirten sein sollen.“

Aber was nun? Ich frage mich, ob ich nicht einfach beten sollte und nicht weiter drüber nachdenken. Ob ich nicht dem glauben sollte, was mir ein Priester so nebenbei sagte, nämlich, es sei ja „alles schon einmal dagewesen in der Kirchengeschichte“. Er zuckt mit den Achseln, lächelt mich entschuldigend an und sagt „Jo mei!“

Das regt mich eigentlich ziemlich auf, kritzele ich wütend. „Denn ich stehe jetzt mittendrin, und nicht nur ich frage mich, ob meine Kinder katholisch bleiben werden. In welchem sicheren Hafen werden sie Gott finden? Menschliches Versagen haut mich selber längst nicht mehr um. Und es hält mich nicht davon ab, trotzdem das Positive noch sehen. Aber werden meine Kinder dies können? Die weder das Feuer der Weltjugendtage erlebt haben noch die Wüstenväter kennen noch einen mutigen, heiligen Papst wie Karol Wojtyla?“

Aber auch dieser Gedanke endet in der Sackgasse. Wo setze ich bloß an? Ich denke daran, wie wunderbar still die Zeit gestanden ist, rund um diese Eucharistiefeier. An den Freiraum, den ich plötzlich verspürt habe, als ich einem Bekannten von den kleinen Wundern erzählt habe, die immer wieder in meinem Leben passieren. Ganz echt. Nicht erfunden, ausgedacht oder fantasiert. Nein: Ich erlebe nach wie vor starke Gebetserhörungen und Wachstum im Glauben, trotz Kirchenkrise.

Der Cursor blinkt, ich schreibe weiter: „Wie viel Mühe, Tränen, Scham und Schmerz muss es manche gekostet haben, die jetzt bekennen, dass Verrat an ihnen geschehen ist, Missbrauch. Gewalt. Es ist eine Zumutung für alle Seiten. Eigentlich reicht es. Eigentlich will ich nichts mehr von alledem hören, weder die Anklage derer, die vieles ans Licht bringen, und auch nicht das laute Schweigen derer, die eigentlich reden sollten.“

„Eigentlich möchte ich wieder vom Guten reden, von dem, wie und wo Gott wirkt, von seinen Wundern. Eigentlich will ich nicht plötzlich konfrontiert sein mit einer Phase meiner Kirche, die mich verwirrt, unsicher und ratlos macht. Eigentlich will ich eine Kirche, die das Heil widerspiegelt, wenn die Welt doch so unheil ist.“

Mitten in mein Nachdenken platzt dann noch eine Stimme. Alles Negative, was gerade abgehe, so ungeniert aufzuzeigen schade der Kirche, lese ich, das sei zerstörerisch, kontraproduktiv, und wie kann man nur als Katholik so offensiv sein. Wo bleibt die Solidarität, wo bleibt das Gute, wo bleibt die Loyalität? Auch das sickert, lässt mich nachdenken. Aber es rumort. „Und wer verleiht dann den Opfern eine Stimme?“, notiere ich.

„Denen, die nicht einmal einen Eingangsstempel für ihre Beschwerde bekommen haben? Die ignoriert und totgeschwiegen wurden? Wo man 'unangenehme Sachen' diskret loswerden wollte, die Täter geschützt hat und die Opfer auf der Strecke geblieben sind? Nein, das ist definitiv die Stunde der unabhängigen Medien, denen niemand vorschreibt, was gesagt werden darf. Dennoch ist alles eine Frage des Abwägens, der Berufung, der inneren Unterscheidung: Welche Verantwortung hast du persönlich in dieser Kirchenkrise? Hast du einen wesentlichen Beitrag zu den aktuellen Skandalen, kannst du der Wahrheitsfindung dienen? Bist du Fürbitter, Hoffnungsspender, Ermutiger? Bist du einer, der im Gebet die Krise mitträgt, ohne viele Worte zu verlieren?“

Immer wieder versuche ich, vernünftig zu denken und schreibe Gedanken auf wie: „Mein Kopf sagt mir, dass einen Katholiken nichts so schnell umhauen sollte. Alle Anfälligkeiten, die Macht und Einfluss so mit sich bringen, sind längst Geschichte. Denn es ist eben condition humaine, dass wir sündigen. Und je mehr Macht uns gegeben ist, desto stärkere Versuchungen gibt es, diese zu missbrauchen. Und die schlimmsten Sünden spielen sich ohnehin nicht direkt vor unserer Nase und für alle sichtbar ab, sagen uns weise Männer und Frauen Gottes.

Wer sieht schon Stolz, Neid, Missgunst, wer sieht ins Herz? Ich weiß, dass mich das alles nicht erschüttern soll. Und dennoch: Es ist ein Unterschied, etwas zu wissen und mitten in einer Sache drinnen zu stehen. Es ist ein kalter Windstoß, der gerade durch eine Kirche fährt, der ich treu sein will. Einzelfälle von üblem Verhalten sind verkraftbar. Aber ein System, das übles, skandalöses Verhalten aufrecht erhält, stützt und vertuscht – das verschlägt mir die Sprache.“

Und dann ist Sendepause. Ich schreibe nichts und denke vieles. Es dauert Wochen, müde Tage, durchbetete Nächte, aufgewühlte Stunden, handfeste Krisen, bevor ich einen schmalen Pfad der Hoffnung finde, der aus der finsteren Schlucht herausführt. „Vielleicht ist dieser Supergau der katholischen Kirche ein wunderbarer Moment, um über wesentliche geistliche Prinzipien neu nachzudenken“, klopfe ich in die Tasten.

Das erste dieser Prinzipien liegt auf der Hand, weil es meinen Alltag sowieso durchzieht: Gott liebt Prüfungen. „Prüfungen sind ein Weg, wie Gott unser Herz weich klopft, geschmeidig macht, offen für sein Wirken. Deswegen blickt Gott wohl keineswegs ratlos auf die katholische Kirche sondern gespannt. Wie wird die geliebte Braut Christi es schaffen, back to the roots zu kommen?“, notiere ich.

Back to the roots heißt zurück zum ersten Gebot. Erste Prioriät ist es nämlich, Gott zu lieben, weil er der einzige Gott ist und für dich sein will, wie in Dtn 6,4 steht. Alles andere ist nachgereiht. Das gilt für mich, für dich, für deinen Pfarrer, deinen Papst. „Gott ist nicht interessiert an frommen Bräuchen oder korrektem Verhalten“, kommt mir in den Sinn.

„Er will dein Herz. Und deswegen lässt er immer wieder mal zu, dass Dinge wegbrechen, die dein Herz zu sehr in Anspruch nehmen. Die Kirchenkrise ist deswegen eine echte Chance, sich selbst zu prüfen. Was bleibt dir, wenn das positive Bild von heiligmäßigen Priestern, Bischöfen und Kardinälen eine Schramme kriegt? Wenn kirchliche Missstände dir das Leben schwer machen? Wo schaust du dann hin? Was ist dein Anker? Gehst du frustriert weg oder gehst du tiefer?“

„Und ist es nicht so, dass die kleinste Zelle der Kirche genau in der Sekunde entsteht, wo du eine Herzensbeziehung mit deinem Schöpfer eingehst? Das hat weder etwas mit Traditionen zu tun noch mit kurialen Behörden oder päpstlichen Dokumenten. Es ist unsichtbar und spielt sich im intimen Raum ab, wo nur du und Gott einander begegnen.“

„Gibt es diesen Raum in deinem Leben? Forderst du ihn von dir selber hartnäckig ein? Hast du Jesus irgendwann schon mal dein Leben anvertraut? Mit ganz konkreten Worten wie 'Jesus, ich übergebe dir heute mein Leben. Ich anerkenne, dass du Gott bist und unterstelle mich deiner Herrschaft.' Zwei Sekunden, aber was für eine Explosion! Jetzt ist der Moment gekommen, wo so etwas ausgesprochen werden muss: Wenn dein Glaube nämlich auf diesen Fels gebaut ist, der Jesus Christus ist, dann wirst du stehenbleiben, selbst wenn es ringsum kracht.“

Das könnte ein Anfang sein, schreibe ich jetzt in Echtzeit, und es ist kurz vor Mitternacht. Die Kirche wächst da wieder und ist siegreich, wo du und Jesus Christus Gemeinschaft haben. Alleine, ungesehen, ohne Lob, Anerkennung von außen. Deine stille, ungesehene, verschwendete Zeit mit ihm wird Türen öffnen und neue Räume schaffen, wo Menschen die Gegenwart Gottes spüren und suchen.

Vielleicht müssen auch bei uns die Hauskirchen neu aufleben, wie in Ländern der Verfolgung? Vielleicht müssen wir den Glauben von Grund auf neu lernen, in seiner Einfachheit und Radikalität? Vielleicht dürfen wir uns viel stärker noch inspirieren und beschenken lassen von unseren Glaubensgeschwistern bei den Freikirchen?

Auf jeden Fall ist diese Kirchenkrise die Stunde der Laien, die zu hundert Prozent Verantwortung für ihren Glauben übernehmen. Die ihr Gebetsleben eigenständig in die Hand nehmen. Die aktiv in den geistlichen Kampf eintreten. Auf jedem einzelnen Glaubensakt, der jetzt – in dieser Krise – passiert, wird sich die Kirche in diesen Tagen neu gründen, unsichtbar, felsenfest, siegreich.

Ja, es liegt echte Hoffnung verborgen hinter dieser Krise. Es besteht eine unglaubliche Chance, dass endlich wieder etwas wächst in dieser Kirche: Nicht Papierberge, Verwaltung und Strukturen, sondern Glaube. Gefragt bist du: Wo stehst du? Auf der Seite der Jammerer, der Depressiven, der Ankläger, der Rechthaber – oder auf der Seite jener, die zunächst ihr eigenes Herz genauestens prüfen und nach neuen Wegen suchen, ihren Glauben zu leben.

Die Stunde der Wahrheit kommt ohnehin, für dich ebenso wie für den Papst. Jede Sünde hat Folgen, die ungesehene wie die gesehene. Sünden, die aufrecht erhalten werden, nicht bekannt, nicht bereut in Wort und Tat, geben dem Feind Anrechte, das ist der Preis der Freiheit, jeder Christ sollte das wissen.

Wer also in sich die Pflicht verspürt, einen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten, darf seinem Gewissen folgen. Aber darüber hinaus ist jede Anklage und Jammerei kontraproduktiv. Repetieren von geschehenem Unrecht hilft keinem. Zwei Dinge kannst du jetzt tun: Dein eigenes Herz prüfen und einen Neubeginn mit Gott machen. Und für die Kirche im Gebet eintreten, aktiv, offensiv, damit das Reich Gottes hier wieder in seiner Schönheit sichtbar wird.

Es ist die Stunde der Laien angebrochen, die Gott die Ehre geben, die ihn anerkennen als einzigen Gott, die ihre eigenen Herzensgötzen von Thron stoßen, die sich prüfen lassen, die zu Überwindern werden. Es ist die Stunde der Laien, die kämpfen lernen mit geistlichen Waffen, die Gottes Wort ausrufen über die befleckte Braut Christi.

Es ist die Stunde der Laien, die sich zusammentun, neben ihren Jobs, ihren Kindern, ihrer Alltagsmühle, die neue Wege suchen, um ihren Glauben radikal leben. Gebetshäuser, Tag- und Nacht-Anbetung, gelebte Ökumene, Seite an Seite, in der gegenseitigen demütigen Annahme.

Denn es ist doch nur ein einziger, auf den wir alle schauen. Sein Name ist Jesus Christus. Und wer diesen Namen laut ausspricht, der hat an der Schraube zur Ewigkeit gedreht, der verändert Wirklichkeit, der heilt Kirchenkrisen, der bringt Segen. Wir proklamieren jetzt in dieser Stunde den Sieg Jesu über unsere Kirche. Amen!


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