Wahrheit, die befreiend wirkt

18. November 2018 in Spirituelles


In der Beichte das Leben erzählen, wie es wirklich ist - Von P. Leo Liedermann OSB / VISION 2000


Wien (kath.net/VISION2000)
Es gilt, das wertvolle Sakrament der Beichte wiederzuentdecken. Es wirkt insofern befreiend, als der Beichtende sein Leben wahrhaftig mit der von Gott geoffenbarten Wahrheit konfrontiert und von Ihm Verge­bung, Befreiung empfängt.

Frei geworden von geistigen Feinden
Der russische Priester Tichon, später Bischof von Jegorjewsk, wurde zu seinem ehemaligen Hochschullehrer und Kunstkenner Sergej Fjodorowitsch Bondartschuk gerufen, der im Sterben lag. Sergej war ein wunderbarer Lehrer seiner Studenten gewesen. Als Kind getauft und im atheistischen Umfeld aufgewachsen, war er im hohen Alter zur Erkenntnis Gottes gelangt, doch nicht in der Kirche, sondern im Gefolge von Leo Tolstoj - eine selbst gemachte Religion ohne Kirche und Sakramente.
Professor Sergej Fjodorowitsch erduldete zu seiner körperlichen Krankheit noch schwere geistige Qualen. Ihm erschienen verstorbene Bekannte, Schauspieler und Künstlerkollegen in abscheulicher Gestalt und quälten ihn Tag und Nacht. Die Ärzte waren machtlos, ebenso die Lehre des verehrten Tolstoj.

Der Priester dankte dem Kranken zuerst für sein Vorbild an der Hochschule. Dann kam er zur Hauptsache, zum kostbaren Wissen, dass der physische Tod kein Ende unserer Existenz bedeutet, sondern ein großes Ereignis ist für alle, die sich von unserem Herrn Jesus Christus hinüber geleiten lassen in eine neue, unendlich gute und lichte Welt. Dann ging er auf die quälenden Erscheinungen ein: Der Mensch ist an der Grenze des irdischen Lebens wegen seiner nicht bereuten Sünden anfällig für geistige Mächte, die manchmal das Aussehen bekannter Personen annehmen, tatsächlich aber Dämonen sind. Der Kranke war sehr aufmerksam und stimmte der befreienden Beichte und dem Empfang der Kommunion zu, ebenso dem Verlangen des Priesters, das Tolstojbild im Krankenzimmer durch eine Christus-Ikone zu ersetzen.
Nach dem Empfang der Sakramente war alle Qual aus dem Gesicht des Sterbenden verschwunden. Er empfing dankbar einen Rosenkranz und das Jesusgebet. In der ganzen Familie breitete sich ein wunderbarer Frieden aus, bis er sein Leben vollendete.

Der Geist wird klar

Derselbe russische Priester erfuhr von der hochgestellten 90-jährigen Claudia Eugenia, zeitlebens aktive Atheistin, die seit drei Jahren an geistiger Verwirrung litt und ihre eigene Tochter nicht mehr erkannte. Durfte man es wagen, ihr von Beichte und Kommunion zu sprechen?
Tichon überwand sich schließlich, in der Hoffnung auf die Kraft der heiligen Eucharistie. Er trat an ihr Bett und grüßte freundlich. Claudia Eugenia wandte sich ihm mit leeren Augen zu. Da plötzlich verwandelte sich ihr Blick und sie rief: „Vater . . . endlich sind Sie da! Wie lange habe ich auf Sie gewartet.“ Ihre klaren Worte erschütterten die Familie. Sie aber fuhr fort: „Vater! Warum sind Sie so lange nicht gekommen? Und wir müssen jetzt etwas Wichtiges tun – ich weiß nur nicht mehr, was.“ Tichon fasste Mut und sagte: „Wir müssen beichten und die Kommunion empfangen!“ – „Ja, richtig. Aber bitte helfen Sie mir dabei.“
Aufrichtig und klar legte die bisher Verwirrte ihre Lebensbeichte ab. Dann kreuzte sie die Hände über der Brust, wie sie es wohl als Kind getan hatte, und empfing die Eucharistie. Die Worte der Beichte waren ihre letzten auf Erden. Bald darauf starb sie in Frieden.

Vom Zorn zur Versöhnung

Es war zur Zeit des heiligen Pfarrers Johannes Maria Vianney. Ein Architekt in Lyon geriet in schweren Streit mit seiner Frau, schreit ihr ins Gesicht: „Du hast mich zum letzten Mal gesehen!“ und rennt davon. Auf dem Platz sieht er einen Postwagen, der nach Ars fährt. Man sagt ihm: Ein Dorf, wo es einen Wunderpfarrer gibt.
Nur um sich abzulenken steigt er ein, kommt zu Beginn der täglichen „Christenlehre“ an, lauscht, und tief erschüttert von dem, was er hört und sieht, fragt er auf dem Kirchplatz einen der Priester: „Ist es möglich? Dieser Priester, diese Liebe Gottes, diese Herzensglut! Ich wage jetzt den Kopfsprung wie die vielen andern hier!“ Reiht sich in die Schlange der Beichtenden ein und verlässt die Kirche wie verwandelt: als Glücklichster der Menschen. Heimgekehrt warf er sich wie der verlorene Sohn seiner Gattin in die Arme, „die ihn nie mehr wiedersehen sollte“. Er war auch tatsächlich nicht mehr der gleiche Mann.

Beichte wider Willen
Ein anderer Sünder war nur Freunden zuliebe nach Ars, in das wunderbare Dorf mit gekommen und verschanzte sich beim Weihwasserbecken. Da winkte der Pfarrer ihm zu. „Er ruft Sie zu sich,“ mahnten die Leute den verdutzten Ungläubigen. Verlegen schritt er vor. Vianney reichte ihm die Hand: „Ihre letzte Beichte ist schon lange her?“ – „Mein guter Pfarrer, gegen 30 Jahre.“ – „Dann beichten Sie heute, nicht wahr?“ Der Eingeladene wagte nicht zu widersprechen. „Aber“, sagte er später, „ich empfand sofort ein unbeschreibliches Wohlgefühl.“ Die Beichte dauerte 20 Minuten und wandelte den Mann ganz um.

Kinderherzen jubeln

Die Beichte ist die selige Brücke beim letzten großen Übergang. Sie kann den Geist ins helle Licht heben, selbst wenn sein Organ, Leib und Gehirn, schon untauglich sind. Die Beichte lässt Kinderherzen jubeln, wie Schwester Emmanuelle von Kairo erzählt: „Ich sehe noch die Bank, auf der wir dem jungen Kaplan gegenüber saßen. Er sprach mit uns über Jesus Christus in einer so lebendigen Art und Weise, dass man den Eindruck hatte, Er ist da, steht neben uns, schaut uns lächelnd an und liebt uns . . . Mit unserem Priester geschah alles mit Freude. Sogar die Beichte. Er erklärte uns: Meine Kinder, wenn eure Seele schwarz ist wie Kohle, könnt ihr beichten mit den Worten: Jesus, ich war nicht nett, habe das und jenes getan, und eure Seele wird wieder weiß wie Schnee. – Ich wusste, dass ich egoistisch war, nicht nett, und es erfüllte mich mit Freude, zu wissen, dass ich in der Beichte ganz rein werden würde.“ (5)

Verborgene Wunder

Das alles sind vielleicht „besondere“ Beichten, doch davon zu hören hilft sehr, diese lebendige Quelle neu zu schätzen. Das Wesentliche davon geschieht bei jeder anderen Beichte auch, vorausgesetzt man nimmt sie ernst, bereitet sich auf die Begegnung mit Jesus aufrichtig vor - oder stürzt sich, wie es nicht selten ist, zwar kopfüber hinein, lässt aber jede ängstliche Sorge um die eigene Ehre und alles übrige in diesem Moment ganz zurück.

Was wird der Priester von mir denken? Wie stehe ich jetzt vor ihm da? Diese Fragen schweigen jetzt, denn wer beichtet, steht nicht vor dem Priester da, sondern vor dem Herrn, der nicht im Geringsten vorhat, unsere Ehre zu trüben – im Gegenteil: Spürbare Freude danach kommt zum guten Teil daher, sich wieder rein und ehrenhaft zu sehen vor Gott und vor sich selbst. Die Selbstachtung wächst aus der Hochachtung hervor, die Jesus dem erweist, der ehrlich und wahr zu Ihm kommt. Mit dieser Rückendeckung tritt man auch den Mitmenschen ruhig gegenüber.

Wenn ich jemanden finde, der ganz zu mir steht und mich total annimmt, brauche ich mich vor ihm nicht mehr selbst zu schützen und zu verschönern. Ich darf mein Denken und Leben erzählen und ausbreiten, aus erster Hand, wie es wirklich ist. Das ist eine ungewohnte Erleichterung. Sonst ist in vielen Gesprächen ein innerer Beobachter mit dabei: „Wie wirke ich, mach’ ich es auch richtig, ist der Eindruck gut?“ Alle Gedanken und Tatsachen werden blitzschnell zugestutzt, geglättet und für die Bühne des Lebens geschminkt.
Finde ich diesen Jemand? Die Suche lohnt sich, und es gibt Begegnungen, wo man mit der vol­len Wahrheit immer weiter gehen kann, ohne dass der andere sich zurückzieht. Nicht alle finden solch ein hilfreiches Du. Darum gibt es die Beichte. Hier erlebt man, wie die Offenheit wächst und wie man ohne Angst immer mehr aus sich heraus gehen kann. „Ja, ich bin angekommen und angenommen! Ich darf ich selber sein. Schluss mit Verstellung und Lüge. Ich habe mich für die Wahrheit entschieden, und ich bin frei.“

Gabe des Rates

Die Freiheit in der Beichte darf ich noch für eine besondere Situation empfehlen, die manche von uns kennen: Rat zu suchen in einer wichtigen Sache. Beichtväter mit tiefem Einblick in Gottes Wege sind nicht häufig und nicht immer leicht zu erreichen. Zudem will Gott ja den Ratsuchenden in Seine Wegweisung einbeziehen, mit aller Geduld und Mühe, die es kostet. So darf man mit einem Priester, dem man vertraut und der einen schon ein wenig kennt, einmal diese Art und Weise des „Rates“ üben, als einer Gabe des Heiligen Geistes: „Hochwürden - oder Lieber Pater - oder lieber N., auf die Frage, die ich jetzt sagen werde, erwarte ich keine Antwort von Dir, ich erwarte sie vom Herrn. Doch in Deiner priesterlichen Gegenwart will ich sie im Schutz der Beichte vorbringen, hier unter den Augen Gottes. Indem ich alles offen und ohne Rückhalt vor Ihm ausspreche, erbitte ich Seine Hilfe für die rechte Lösung.“

Es ist tatsächlich ein Unterschied, ob man seine Sorge allein hin und her wendet oder ob man sie in Gegenwart des Priesters und im Sakrament darlegt. Da öffnen sich sonst verschlossene Kammern geheimer Gefühle und treten ans Licht. Demütig ehrlich und ehrlich demütig ist der Mensch vor seinem Gott, ohne sich im Blick auf den Priester zu schützen oder zu verschönen. Freilich kann Gott auch dem Beichtvater eine klare Antwort geben und beiden gemeinsam die entsprechende innere Sicherheit schenken. Doch die hier erwähnte Art, sich in Gegenwart des Priesters ganz der Führung Gottes zu öffnen, ist eine Probe wert.

Im Fatima-Jubiläumsjahr haben manche von uns eine neue Erfahrung gemacht: Dem Wunsch Mariens gemäß haben wir 5 Monate nacheinander am 1. Samstag gebeichtet und erlebt, dass uns dieses Sakrament näher kommt, und keinen Widerstand mehr erzeugt. Der Blick auf das eigene Leben wird klarer, die Arbeit an den Fehlern zielstrebig. Im mühsamen, oft zähen Kampf mit eingefahrenen Gewohnheiten erkennt das Herz staunend Gottes Geduld mit uns und wird in aller Demut sehr frei. So wächst das Verständnis für diese Wohltat namens Beichte, zu der wir auf Entdeckungsreise sind !

Der Autor ist Mönch in Seckau. Die Beispiele entnommen aus: Bischof Tichon Schewkunow, Heilige des Alltags. Eos Verlag; Francis Trochu, Der Pfarrer von Ars. Christiana-Verlag; Schwester Emmanuelle, Der Himmel, das sind die anderen. www.sonntagsblatt.at, Graz.


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