Höchstes Schweizerisches Gericht wies Klage der Diözese Chur ab

15. Februar 2019 in Kommentar


Bundesgericht erlaubt „Katholischer Landeskirche Graubünden“ mit Kirchensteuern die Organisation „adebar“ zu unterstützen, welche entgegen kirchlicher Lehre Abtreibungen, In-vitro-Fertilisation und PID gutheisst. Gastbeitrag von Niklaus Herzog


Chur (kath.net) Das höchste Schweizerische Gericht (Bundesgericht) erlaubt es der vom Staat geschaffenen „Katholischen Landeskirche Graubünden“, mit Kirchensteuern eine Organisation zu unterstützen, welche Abtreibungen als legitim betrachtet, In-vitro-Fertilisation samt Samenspende befürwortet und pränatale Diagnostik mit allfälliger Abtreibung gutheisst. Eine dagegen erhobene Klage der Diözese Chur wies das Bundesgericht letztinstanzlich ab.

Johannes Georg Fuchs, weiland Rechtsprofessor der Universität Basel, reagierte jeweils auf Urteile des in Lausanne residierenden Bundesgerichts auf die ihm eigene, spöttische Weise: „Wissen Sie: Urteile aus Lausanne, die schieres Kopfschütteln hervorrufen, kommentieren ich und meine Kollegen von der juristischen Fakultät jeweils mit dem Standardsatz: Da war wieder einmal die 'Loterie Romande' am Werk.“

Als geradezu willkürlich wird man das hier zur Debatte stehende Bundesgerichtsurteil nicht bezeichnen wollen, aber es enthält doch mehrere Argumente und Beweisführungen, die einer näheren Überprüfung nicht standzuhalten vermögen. Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen sei zunächst auf eine weltweit einzigartige Besonderheit des schweizerischen Staatskirchenrechts hingewiesen: Öffentlich-rechtlich anerkannt sind nicht (oder nur in einzelnen Kantonen) die Pfarreien und Diözesen der katholischen Weltkirche, sondern die vom Staat nach protestantischem Muster parallel dazu geschaffenen, sogenannten Kirchgemeinden und Landeskirchen. Und nur letztere haben das Recht, Kirchensteuern zu erheben und über deren Erträge zu verfügen. Und um ein solches Gebilde handelt es sich bei der „Katholischen Landeskirche Graubünden“.

Um was geht es konkret bei diesem Rechtsstreit?

Am 31. Oktober 2012 beschloss das Parlament der Katholischen Landeskirche Graubünden, den Verein „adebar“ mit Fr. 15'000.- zu unterstützen, obwohl Generalvikar Martin Grichting im eigenen Namen als auch in jenem der Diözese einen Antrag auf Ablehnung gestellt hatte. Dies mit der Begründung, dass der genannte Verein Positionen vertritt und Aktivitäten unterstützt, welche nicht mit der Lehre der katholischen Kirche vereinbar sind (so insbesondere in den Bereichen Abtreibung; pränatale Diagnostik und In-Vitro-Fertilisation). Der Streitfall landete schliesslich vor dem Bundesgericht. Zunächst hielt das Bundesgericht fest, die Frage, ob auf die Klage einzutreten sei, könne offen gelassen werden, da sich diese materiell als unbegründet erweise. Hoppla! Nach allen Regeln der Logik müsste doch umgekehrt zuerst die Frage der Beschwerdelegitimation geprüft werden. Wird diese Frage verneint, erübrigt sich ein Eintreten auf die Sache. Zutreffend hat das Bundesgericht demgegenüber die Kernfrage wie folgt umschrieben: Gemäss Art. 1 der Verfassung der Katholischen Landeskirche Graubünden hat letztere in ihrer Tätigkeit die „Gesetze der römisch-katholischen Kirche und der Kantonsverfassung“ zu berücksichtigen. Art. 2 verpflichtet eben diese Landeskirche, im „Rahmen ihrer Befugnisse und Möglichkeiten die Belange der römisch-katholischen Kirche im Kanton Graubünden zu unterstützen und zu fördern.“ Die Diözese Chur zieht daraus die Schlussfolgerung, dass aufgrund dieser Bestimmungen die Landeskirche auf Lehre und Ordnung der römisch-katholischen Kirche verpflichtet werde. Eben diese Ordnung würde somit gleichsam zum Recht der Landeskirche selbst. Das Bundesgericht macht sich demgegenüber den Standpunkt der Landeskirche zu eigen. Diese hatte im beanstandeten Beschluss selbst entschieden, dass die an den Verein „adebar“ zu überweisende Subvention nur unter Berücksichtigung der Gesetze der römisch-katholischen Kirche verwendet werden dürfe, insbesondere nicht für Beratungen über Abtreibungsmethoden und dergleichen. Mit dieser sog. „negativen Zweckbindung“, so das Bundesgericht, „sei das Anliegen der Beschwerdeführerin (sc. der Diözese Chur) erfüllt, „dass landeskirchliche Gelder nicht für Zwecke eingesetzt werden, die mit den Lehren der römisch-katholischen Kirche unvereinbar sind.“ Tatsächlich? Diese Argumentation ist auf den ersten Blick plausibel, aber eben nur auf den ersten Blick. Denn damit werden für den Verein „adebar“ Finanzmittel frei, welche er zugunsten kirchenferner bzw. kirchenkonträrer Aktivitäten einsetzen kann und über die er ohne diese Subvention nicht verfügen würde. Indirekt werden somit sehr wohl Kirchensteuern von katholischen Gläubigen für Zwecke erhoben, die im Widerspruch zur Lehre ihrer Kirche stehen.

Die Diözese Chur macht des weiteren geltend, das Bild der katholischen Kirche werde in der Öffentlichkeit verzerrt, ihre Glaubwürdigkeit beschädigt, wenn Gelder der sog. Landeskirche für kirchenwidrige Zwecke eingesetzt würden, Dies, weil die Allgemeinheit keinen Unterschied mache zwischen der katholischen Kirche als solcher und der staatlich aufoktroyierten Parallelstruktur namens „Landeskirche“. Das Bundesgericht verwirft dieses Argument als „weit hergeholt“. Mitnichten! Dass in der öffentlichen Wahrnehmung die beiden Bereiche unterschiedslos miteinander vermischt, ja gleichgesetzt werden, illustriert auf geradezu exemplarische Weise kein geringerer als Christoph Blocher, seines Zeichens ehemaliges Mitglied der Schweizer Regierung (Bundesrat) und unbestrittene Galionsfigur der Schweizerischen Volkspartei. In einem Interview mit dem 'Landboten' vom 24. Dezember 2018 empörte sich Blocher zu Recht über Franziska Driessen, die sich zur Aussage hinreissen liess, „ein Christ könne nicht SVP wählen“. Blochers Kommentar: „Eine Anmassung sondergleichen. Die oberste Katholikin Zürichs spricht gleichsam als Gott und verurteilt.“ Die auf mediale Dauer-Resonanz abonnierte Driessen lässt sich diesen Titelschwindel noch so gerne gefallen, notabene ein Titelschwindel, den sich diese Dame mit einem obszön hohen Salär vergolden lässt. Doch wer ist Franziska Driessen wirklich? Sie präsidiert seit gut einem Jahr den Synodalrat. Dieser bildet die Exekutive der sog. römisch-katholischen Körperschaft – so will es das Zürcher Kirchengesetz, welches staatskirchenrechtlich gesehen die katholische mit der protestantischen Landeskirche gleichgeschaltet hat. Von daher ist es nur konsequent, dass die Existenz der römisch-katholischen Kirche im gesamten Zürcher Kirchengesetz totgeschwiegen wird. Die angesprochene 'römisch-katholische Körperschaft' könnte man zugespitzt formuliert als Inkassoverein bezeichnen. Sie hat – mit Franziska Driessen an de Spitze - die Hauptaufgabe, für die Erhebung und Verwaltung der Kirchensteuern besorgt zu sein. Von der 'obersten Katholikin Zürichs' namens Franziska Driessen kann demzufolge keine Rede sein. Aber auch der kirchliche bzw. kirchennahe Bereich bleibt vom Dictum „Wer bezahlt, befiehlt“ nicht verschont. Exponenten von staatskirchlichen Parallelstrukturen wie der römisch-katholischen Körperschaft Zürich können oft der Versuchung, ja der Anmassung nicht widerstehen, selbst Lehramt und Bischof zu spielen. Es überrascht deshalb nicht wirklich, wenn selbst intellektuelle Schwergewichte wie alt Bundesrat Christoph Blocher - und er ist beileibe nicht der einzige - dem Irrtum unterliegen, solche Exponenten würden die römisch-katholische Kirche als solche vertreten. Und was für Führungskräfte zutrifft, gilt für das 'gemeine Volk' erst recht. Die Diözese Chur hatte also allen Grund, vor der offensichtlichen Gefahr zu warnen, dass die römisch-katholische Kirche von staatlich verordneten Parallelgebilden quasi in Sippenhaft genommen wird. Diese Gefahr ist umso grösser, wenn wie hier der staatskirchenrechtlichen 'Landeskirche des Kantons Graubünden' von Gesetzes wegen eine besondere Nähe zur eigentlichen Kirche zugeschrieben wird. Auch diesem Faktum hat das Bundesgericht nicht in genügendem Masse Rechnung getragen, als es die Verletzung der korporativen Religionsfreiheit der Diözese Chur verneinte.

Fazit: Das Urteil des Bundesgericht vom 17. Dezember 2018 wird man nicht willkürlich nennen wollen, ein Fehlurteil aber ist es allemal.

Der Verfasser, Niklaus Herzog, ist Theologe und Jurist (je ein Lizentiat an der Universität Fribourg) mit Schwerpunkt Kirchenrecht und war jahrelang als Geschäftsführer der Kipa sowie als Chefredaktor von Christian Solidarity International tätig. Bis zu seiner Pensionierung war er Geschäftsführer der Ethikkommission des Kantons Zürich. Derzeit ist er Mitglied des Interdiözesanen Kirchlichen Gerichts der Schweizer Bischofskonferenz.

Foto oben: Symbolbild


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