Die Entfremdung zwischen Papst Franziskus und Kardinal O’Malley

1. März 2019 in Weltkirche


Der US-Kardinal war 2014 zum Vorsitzenden der vatikanischen Kinderschutzkommission ernannt worden. Beim Missbrauchsgipfel im Februar war er nicht einmal mehr im Organisationskomitee.


Vatikan (kath.net/jg)
Das ehemals gute Verhältnis zwischen Papst Franziskus und Sean Kardinal O’Malley hat sich über die Haltung des Vatikan zum sexuellen Missbrauch abgekühlt. Das Wall Street Journal hat noch vor dem Missbrauchsgipfel im Februar einen Bericht über die Entfremdung zwischen den beiden veröffentlicht.

Die Bewältigung der Missbrauchskrise habe Risse in der kirchlichen Hierarchie sichtbar werden lassen, schreibt Francis X. Rocca. Die Kluft zwischen dem Vatikan und den Bischöfen der USA, die auf ein rigoroseres Vorgehen gedrängt hatten, sei noch größer geworden. Diese Entwicklung sei am Verhältnis zwischen Papst Franziskus und Sean Kardinal O’Malley, dem Erzbischof von Boston, deutlich geworden.

Franziskus ernannte O’Malley 2014 zum ersten Präsidenten der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. Der Kardinal hatte sich eine hohe Reputation im Umgang mit Missbrauchsfällen in Boston und anderen Diözesen der USA erworben. Franziskus habe O’Malleys Politik der Nulltoleranz bei Missbrauchsfällen mitgetragen.

Heute seien die Begegnungen der beiden formaler und deutlich weniger entspannt als zu Beginn, berichtet Rocca unter Berufung auf Personen, welche die beiden miteinander beobachtet haben.

Mittlerweile sei der Einfluss O’Malleys so weit abgesunken, dass der Papst ihn nicht in das Organisationskomitee des Missbrauchsgipfels aufgenommen habe, obwohl dieser Gipfel eine Idee des Bostoner Kardinals war.

O’Malley, der fließend spanisch spricht, habe sich stets für die Zustände in Lateinamerika interessiert. Er habe sich für kirchliche Hilfsprojekte engagiert, was ihn in Kontakt mit Kardinal Jorge Bergoglio, dem Erzbischof von Buenos Aires und späteren Papst Franziskus gebracht habe.

Laut Austen Ivereigh, dem Biographen von Papst Franziskus, soll Kardinal O’Malley einer der ersten amerikanischen Kardinäle gewesen sei, die Kardinal Bergoglio beim Konklave 2013 unterstützt hätten. Nach der Wahl habe Papst Franziskus O’Malley als Repräsentanten für Nordamerika in den Kardinalsrat berufen.

Auf seine Initiative sei auch die Kommission für den Schutz der Minderjährigen gegründet worden, schreibt Rocca. 2015 habe die Kommission ein Sondergericht für Bischöfe vorgeschlagen, die Missbrauchsfälle ignorieren oder vertuschen. Papst Franziskus habe im Rahmen einer Sitzung des Kardinalsrates seine Zustimmung gegeben, seine Meinung aber 2016 geändert.

Die Kinderschutzkommission schlug außerdem vor, dass nicht nur Priester, sondern auch externe Personen an den Untersuchungen mitwirken sollten und dass Akten des Vatikans auch den Opfern und zivilen Behörden zur Verfügung gestellt würden. Keine dieser Ideen wurde umgesetzt. Die Vertreter der Opfer, Peter Saunders und Marie Collins, verließen daraufhin 2017 die Kommission.

Die Kommission verschob den Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten. Statt konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten veranstaltete sie wissenschaftliche Konferenzen. Papst Franziskus änderte auch die personelle Zusammensetzung der Kommission. Marie Collins fragte Papst Franziskus beim Treffen mit Missbrauchsopfern in Dublin 2018, warum er die personellen Änderungen vorgenommen habe. Dieser antwortete, bei der Auswahl der Personen seien Fehler gemacht worden. Außerdem sei die Kommission ihm gegenüber nicht ehrlich gewesen. Collins konfrontierte Kardinal O’Malley mit diesen Aussagen von Franziskus. „Ich kann mir nicht vorstellen, warum er so etwas gesagt haben könnte“, antwortete der Kardinal.

Im Januar 2018 kritisierte O’Malley öffentlich die Haltung des Papstes im Fall eines chilenischen Bischofs, der Missbrauchsfälle vertuscht hatte. Franziskus hatte die Vorwürfe gegen den Bischof als „Verleumdung“ bezeichnet und behauptet, die Opfer hätten sich nie bei ihm gemeldet. Die Associated Press berichtete allerdings, dass Kardinal O’Malley bereits 2015 einen detaillierten Bericht eines chilenischen Opfers an den Papst übergeben hatte.

Der Skandal um den mittlerweile aus dem Klerikerstand entlassenen Theodore McCarrick und der Bericht der Grand Jury von Pennsylvania waren für die US-Bischöfe ein Anlass, strenge Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention von Missbrauch durch Kleriker ins Auge zu fassen.

Die Ankündigung eines weltweiten Missbrauchsgipfels im Vatikan im September 2018 ließ die Bischöfe der USA hoffen, der Vatikan werde eine strengere Linie bei der Missbrauchbekämpfung einschlagen.

Am Tag darauf besuchte Kardinal O’Malley gemeinsam mit drei führenden Mitgliedern der US-Bischofskonferenz den Papst. Sie wollten die Maßnahmen zur Missbrauchsprävention vorstellen und den Vatikan um eine Untersuchung des McCarrick-Skandals bitten.

Franziskus machte deutlich, dass er einer genauen Untersuchung des McCarrick-Skandals nicht zustimmen werde. Er überraschte seine Gäste mit dem Vorschlag, die Vollversammlung der US-Bischofskonferenz im November abzusagen, auf der Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung diskutiert werden sollten. Sie sollten statt dessen spirituelle Exerzitien halten, schlug Franziskus vor. Die US-Bischöfe folgten dieser Empfehlung und organisierten einen Einkehrtag im Januar, hielten ihre Vollversammlung im November aber trotzdem ab.

In der Woche davor kündigte Kardinal O’Malley an, dass die Versammlung auch Maßnahmen gegen Bischöfe vorschlagen werde, die Missbrauch begehen, ignorieren oder vertuschen. Die letzte Entscheidung müsse aber in Rom fallen. Der Vatikan reagierte auf die Ankündigung indem er den US-Bischöfen die Abstimmung über die Maßnahmen zur Missbrauchsprävention untersagte.

Neun Tage später gab der Vatikan das Organisationskomitee für den Missbrauchsgipfel im Februar bekannt. Daran nahm zwar ein Kardinal aus den USA teil, aber nicht Sean O’Malley sondern Blase Cupich.

Rocca schließt seinen Artikel mit einer Aussage von Papst Franziskus, der die Erwartungen bewusst niedrig halten wolle. Der Gipfel solle in erster Linie der Aufklärung und Information dienen, sagte Franziskus gegenüber Reportern.



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