Gretas Fragen und die Gretchen-Frage

22. März 2019 in Kommentar


Vielleicht sind Greta Thunbergs Fragen wichtig. Doch damit brennende Fragen sich ordnen und das ihnen entsprechende Gewicht bekommen, muss man schon die echte „Gretchen-Frage“ stellen - BeneDicta am Freitag von Gudrun Trausmuth


Wien (kath.net)
Wochenlang haben wir damals im Französisch-Unterricht über Jean Anouilhs „Antigone“ (1944) diskutiert, und ich kann mich erinnern, wie groß und einhellig zunächst die Sympathie unserer Schülergruppe mit der Protagonistin war. Diese kühne Mädchen, das den als Hochverräter verurteilten Bruder, dem von König Kréon das Begräbnis verweigert werden soll, dennoch symbolisch begräbt, eine Handvoll Erde über den als Mahnmal vor den Toren der Stadt liegenden Leichnam streut. …. Ihre Radikalität beeindruckte auch mich, das „Je veux tout et tout de suite“, der unbedingte Anspruch, hatte eine Faszination. Bis, ja, bis ich verstand, dass hinter dem scheinbar so humanen Handeln der Antigone ihre eigene Absage an das Leben, ein absoluter Nihilismus stand. Ab diesem Zeitpunkt wurde Kréon die Gestalt, die ich liebte und gegenüber dem Unverständnis meiner Kollegen verteidigte. Der tapfere Kréon, der Entscheidungen treffen musste, die ihm schwerfielen, der so Vieles opfern musste, der fade Kompromisse eingehen musste, der pragmatisch zu sein hatte, um Sinn zu stiften und Hoffnung zu geben.

Heute hat die Attitüde des kindlichen, radikalen Geschöpfs wieder ein Gesicht: jenes von Greta Thunberg. Jünger wirkend als ihre 16 Jahre, ganz und gar nicht der Mädchentypus des digitalen Zeitalters, sondern mit ihren geflochtenen Zöpfen eine gleichsam archetypische Verkörperung ihres Vornamens. Unbeirrbar, standhaft, vorwurfsvoll, eine strenge Antipodin der Spaßgesellschaft - und bereits stilbildend: Werden Zöpfe bekanntlich in manchen Kindergärten als Zeichen einer besorgniserregenden Weltanschauung des Elternhauses gewertet, , so gibt es dank der schwedischen Klimaaktivistin unübersehbar einen neuen Zopf-Hype unter Teenagern, der übrigens noch mit keinem Wort negativ besprochen wurde. – Es kommt auf die Seite an: baumelt der Zopf rechts, Mordio!, baumelt er links, dann Bravo! Die Zopfgeschichte ist ein unwesentliches Detail, aber doch symptomatisch für das konsequente Messen mit zweierlei Maß, das die veröffentlichte Meinung ständig vorführt.

Das Phänomen Greta Thunberg ist nur teilweise mit der Sympathie für den Typus der Antigone zu erklären. Im wahrsten Sinne des Wortes unangreifbar wird das Mädchen durch das von ihr selbst und den Medien betriebene Rekurrieren auf ihren Autismus: “I see the world a bit different, from another perspective. I have a special interest. It’s very common that people on the autism spectrum have a special interest.” Entsteht vielleicht dadurch eine Art Empathiezwang, dem sich Politiker und internationale Organisationen besonders verpflichtet fühlen?

Dazu kommt: um das Ganze zu einem Generationenkampf hochzustilisieren, also eine Massenmobilisierung einer bestimmten Altersgruppe zu signalisieren, ist es ein Geniestreich, die Klimademonstrationen mit einem Schulstreik zu kombinieren. Seien wir ehrlich: wären die Demos nicht am Freitagvormittag („Fridays for Future“), sondern Samstagnachmittag (z.B „Saturdays for Sense“), müssten die kolportierten Teilnehmerzahlen wohl auch in den Greta-affinen Medien ganz anders lauten.

An der Überzeugtheit und Wahrhaftigkeit Gretas sei gar nicht gezweifelt, wohl aber angemerkt, dass die ganze Klimawandelprotestbewegung ignoriert, dass es auch unter Fachwissenschaftlern nach wie vor Klimawandelskeptiker gibt, denn um den Klimawandel ist es ganz und gar nicht so klar bestellt, wie gepredigt wird. Apropos Predigt: nicht nur, dass Grete Thunberg für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erhebt die schwedische Aktivistin gar in den Rang einer Prophetin, wenn sie sie mit dem sozialkritischen Propheten Amos vergleicht - so geschehen in einer Kanzelrede in der evangelischen Salvatorkirche in Duisburg.

Wenn Greta in Interviews den amerikanischen Präsidenten Trump als einen „nur sehr gefährlichen Verrückten“ bezeichnet, kann man das wohlwollend als Changieren der tragischen Antigone in Richtung rotzfrecher Pippi Langstrumpf (übrigens auch Zopfträgerin!) betrachten, aber auch als souveräne Bedienung dessen, was Klimawandelmotivierte natürlich hören möchten.

Was an der ganzen Geschichte am meisten stört und irritiert, ist das Agieren und Kalkulieren mit einer gezielten Angst der Menschen. Wenn Greta anfängt zu drohen und zu schimpfen, wird sie mir unsympathisch, auch wenn ich ihre unordentlichen Zöpfe mag. Wird Angst als Triebkraft stark genug, kann sie alles Mögliche legitimieren; Vorschläge grüner Politik, wie eine Flugrestriktion auf drei Flüge pro Jahr oder ein verpflichtender „Veggie-Tag“, sind diesbezüglich nur der Beginn.

Vergessen wir nicht: Angst kann wunderbar für diktatorische Maßnahmen funktionalisiert werden. In Bezug auf den Bereich Klima und Umwelt steigt die Verbotsbereitschaft im Moment rasant, und das ist kein gutes Zeichen.

Vielleicht sind Greta Thunbergs Fragen wichtig. Doch damit brennende Fragen - und zwar alle brennenden Fragen - sich ordnen und das ihnen entsprechende Gewicht bekommen, muss man schon die echte „Gretchen-Frage“ stellen, so wie sie in Goethes „Faust I“ steht: „Sag Heinrich, wie hältst du’s mit der Religion?“ Die Antwort auf diese Frage entscheidet alles, denn wer sich Gott gegenüber weiß, lebt in einer Verantwortung, die sinngebend und umfassend ist. Und er lebt in einer Freiheit und Hoffnung, die sich dem Wissen verdankt, dass der Herr sein Volk nicht im Stich lässt.

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