Zölibat – Das Beispiel Niederlande

17. Mai 2019 in Weltkirche


„In den sechziger Jahren wurde den Bischöfen der Niederlande eine Diskussion über den Zölibat aufgedrängt. Sie brachte nichts als Verlierer mit sich.“ Gastkommentar von Paul Hamans


Amsterdam (kath.net) In den sechziger Jahren wurde den Bischöfen der Niederlande eine Diskussion über den Zölibat aufgedrängt. Sie brachte nichts als Verlierer mit sich. Auch verlor hierdurch die Kirche in den Niederlanden die Bedeutung, die sie einst als blühender Teil der Weltkirche innehatte. P. Hamans untersuchte die Zusammenhänge mit Bestrebungen, den Zölibat freizustellen. Fünfzig Jahre nach den Ereignissen publizierte er eine fundierte Studie über die Hintergründe für die Abschaffung des Zölibats und über die Lobby, die sich dafür einsetzte, in seinem Buch Het Pastoraal Concilie van de Nederlandse kerkprovincie (1966-1970) en het bisdom Roermond in de jaren zestig, ’s Hertogenbosch 2018.

Lobby für die Anpassung der Kirche an die Welt

Einflussreiche Priester und die Medien redeten den Bischöfen ein, man müsse die Kirche an die Zukunft anpassen. Sie meinten, die Kirche auf ein Bestehen in einer liberalen Wohlstandsgesellschaft vorbereiten zu müssen. Diese Anpassung kulminierte in der Forderung nach Abschaffung des Zölibats. Hiermit wollte man den Glauben, die Moral, das Weiheamt und die Pastoral anpassen an dasjenige, was Gläubige, wie man dachte, künftig vertragen könnten.

Die Kirche der Zukunft müsse eine rational vertretbare Kirche sein in einer aufgeklärten Gesellschaft. Darum müssten die Priester nivelliert werden. Sie müssten mehr den Laien angeglichen werden. Die Geistlichen sollten sich anpassen an den Glauben der Laien. Hierdurch würde die Verkündigung angepasst an die liberale Wohlstandsgesellschaft. Die Priester müssten auf die Laien hören. Hierdurch würde die Leitung der Kirche reduziert auf das, was Gläubige selbst akzeptierten. Man würde verkündigen, was die Leute hören wollten, und durch dieselben Leute würde man hochgejubelt werden. Die Priester sollten die Freiheit haben, heiraten zu können, so dass sie durch die Freuden und Sorgen der Familie in Beschlag genommen sein würden. Sie müssten auch in der Ehe den Leuten gleich werden. Die Priester sollten ihre geistliche Kleidung ablegen, so dass ihr täglicher Umgang mit den Laien nicht behindert würde durch die Sendung, die sie in ihrer Weihe empfangen haben.

Geschichte einer Diskussion

Die Abschaffung des Zölibats stand nicht auf der Tagesordnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der niederländische Missionsbischof P.P. Koop M.S.C. (1905-1988), Bischof von Lins in Brasilien (1964-1980), brachte die Abschaffung des Zölibats während des Konzils vor. Papst Paul VI. (1963-1978) lehnte die Besprechung dieses Themas ab. Er wurde darin von der Plenarversammlung des Konzils mit übergroßer Mehrheit unterstützt. Der Papst gab nochmals eine Auslegung über den Zölibat in seiner Enzyklika ‘Sacerdotalis caelibatus’ (24. Juni 1967). Er konstatierte, dass der Zölibat von großem Wert sei und dass er aufrechterhalten bleiben müsse.

Dessen ungeachtet ließen sich die niederländischen Bischöfe von ihren Beratern und den Medien dazu verleiten, eine Kampagne für die Abschaffung des Zölibats zu bewilligen und zu unterstützen. Die Bischöfe gaben ihre Erlaubnis für eine Umfrage unter Priestern und Priesterstudenten. Die Fragen, die hier gestellt wurden, waren von Soziologen so formuliert, dass sie eine maximale Ablehnung des Zölibats zum Ergebnis haben mussten. Das gelang. Mit Hilfe der Medien wurde fortan verbreitet, dass fast alle Priester den Zölibat abschaffen wollten. Man setzte die Bischöfe unter Druck. Ihnen wurde suggeriert, dass es um ein dringliches Problem ginge, dass nun schnell gehandelt werden müsse, um weiteren Schaden für die Kirche zu vermeiden.

Das Pastoralkonzil von Noordwijkerhout (1966-1970) war eine selektiv zusammengestellte Versammlung von Bischöfen, Priestern und Laien. Dieses Beratungsgremium war ins Leben gerufen worden, um die Beschlüsse des Zweite Vatikanische Konzil in den Niederlanden zu realisieren. Die Abschaffung des Zölibats wurde hier zum wichtigsten Thema. Man stimmte dann auch dafür mit einer Mehrheit (mehr als 95%), auf die man in faschistischen und kommunistischen Diktaturen stolz wäre.

Erzbischof Alfrink wurde nach Rom gesandt, um von Papst Paul VI. die Abschaffung des Zölibats zu verlangen. Der Papst wollte ihn nicht empfangen, bis dass der Kardinal ihm versichert habe, eine Abschaffung des Zölibats nicht mehr anzustreben.

Folgen einer fruchtlosen Aktion

Dem Beschluss zur Abschaffung des Zölibats war eine gezielte, effiziente und erfolgreiche Kampagne vorangegangen, die geleitet wurde vom Pastoralinstitut der niederländischen Kirchenprovinz (PINK) und den Medien. Auf diese Weise wurden Bischöfe, Priester und Laien vorbereitet auf die Sichtweise einer Minderheit mit hoher Selbsteinschätzung. Dass diese Minderheit ihre Argumente der heiligen Schrift, der Tradition oder dem Lehramt entnahm, kann nicht festgestellt werden. Für sie waren der Ausgangspunkt die ‘Zeichen der Zeit’, so wie sie diese interpretierten.

Was war nun das Resultat der Diskussion über die Abschaffung des Zölibats?

Als im Januar 1970 in Nordwijkerhout die Loslösung des Priestertums vom Zölibat zur Sprache kam, waren in den Niederlanden zwischen 1960 und Ende 1969 bereits 794 Priester ausgetreten. Die Hoffnung, die geweckt wurde bezüglich einer baldigen Abschaffung des Zölibats sorgte dafür, dass nach der Abstimmung des Pastoralkonzils zugunsten einer Abschaffung des Zölibats zwischen 1970 und 1975 nochmals 1012 Priester das Amt niederlegten. Innerhalb fünfzehn Jahren legten in den Niederlanden 1806 Priester ihr Amt nieder. Eine geschickt geführte Medienpolitik, bei der den Befürwortern der Loslösung viel Raum gegeben wurde und man jene, die dagegen waren, nicht zu Wort kommen ließ, legte bei vielen die Vermutung nahe, dass die Abschaffung des Zölibats innerhalb und außerhalb der Niederlande bald eine Tatsache sein würde .

In Erwartung der Abschaffung des Zölibats gingen Priester vorschnell eine Beziehung ein. Diese wollten oder konnten sie nicht aufgeben, als die Abschaffung des Zölibats auf sich warten ließ und letztendlich nicht zustande kam. Inzwischen waren sie in Anspruch genommen durch die Beziehung mit einer zukünftigen Ehefrau und konnten sich nicht ungeteilt ihren geistlichen Pflichten widmen.

Dies waren nicht die einzigen Gründe für Amtsniederlegung

Die große Anzahl Austritte wurde nicht allein durch die Diskussion über die Abschaffung des Zölibats verursacht. Auch die wachsende Glaubensunsicherheit in den sechziger Jahren spielte eine wesentliche Rolle. Viele Priester verließen ihr Amt, weil sie nicht mehr glaubten oder weil sie nicht mehr so glauben wollten, wie die Kirche lehrte, oder weil sie sich nicht mehr mit der Kirche und ihrer Moral identifizieren wollten. Es kam vor, dass Priester jahrelang Glaube und Moral in ihrer Verkündigung relativierten, Gläubige aus der Kirche predigten, um danach selbst die Soutane an den Nagel zu hängen und den Priesterberuf aufzugeben.

Ein anderes Element, das eine Rolle spielte, war der Funktionsverlust des Klerus in den Niederlanden. Mit dem Rückgang der katholischen Bevölkerung ging die Achtung vor den Priestern verloren, die sie in der Vergangenheit genossen hatten. Namentlich im sozialen Leben ließ die Rolle des Priesters nach. Die Bedeutung des Priesters für Kirche und Welt änderte sich, und viele konnten sich mit diesem Funktionsverlust nicht abfinden.

Stimulierung von Priesterberufungen

Es muss gebetet und geopfert werden, um Berufungen geschenkt zu bekommen. Die Förderung von Berufungen zum zölibatären Priestertum in der lateinischen Kirche geschieht jedoch nicht weniger dadurch, dass der Glaube und die Moral angenommen und gelebt werden. Persönliche Heiligkeit der Gläubigen erweckt Berufungen, die von Bedeutung sein können für die Kirche. Eine Kirche, in der man ernsthaft den Glauben lebt, wird keinen Priestermangel leiden.

Wer eine Diskussion über die Abschaffung des Zölibats beginnt, muss wissen, dass eine Kirche mit verheiratete Priestern nicht mehr dasselbe sein wird, was die Catholica zwanzig Jahrhunderte lang gewesen ist. Verheiratete Priester sind zuallererst verantwortlich für ihre Familie und danach erst für die Verkündigung des Glaubens und die Kirche. In einer Kirche ohne Zölibat braucht niemand mehr die Verantwortung für die Kirche als seine Lebensaufgabe anzusehen. Es wird eine andere Kirche sein.

Dr. Paul W.F.M. Hamans (*1951) unterrichtet Kirchengeschichte am Priesterseminar Rolduc im Bistum Roermond, am St.-Willibrordseminar im Bistum Haarlem-Amsterdam und am Theologischen Institut Rolduc, wo ständige Diakone ausgebildet werden und Laien im Dienst für die Kirche.


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