Kutschera übt Selbstkritik – ohne seine Thesen zu revidieren

11. Juni 2019 in Interview


Evolutionsbiologe Prof. Kutschera: „Als ich mit Ihnen damals das beanstandete Interview zur ‚Ehe für alle‘ führte, konnte ich nicht erahnen, welch heftige Reaktionen folgen würden.“


Linz (kath.net) Am 5. Juli 2017 wurde auf kath.net ein Interview mit dem Evolutionsbiologen Prof. Dr. Ulrich Kutschera unter dem Titel „Ehe für alle? ‚Diese widersinnige Entscheidung überrascht mich nicht‘“ publiziert. Es folgte eine ungewöhnliche Medienresonanz, wobei bei uns fast alle Kommentare positiv ausfielen. Am 5. Juni 2019 fand im Kasseler Amtsgericht ein Prozess gegen den umstrittenen Biologen statt – als Anschuldigungen wurden „Volksverhetzung und Fahrerflucht“ genannt. Wir befragten Prof. Kutschera auf Grundlage der Medienberichte zur aktuellen Situation.

kath.net: Herr Prof. Kutschera, in den deutschen Medien sind Sie im Moment in den Schlagzeilen. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation bezüglich unseres Online-Mediums?

Prof. Kutschera: Als ich mit Ihnen damals das beanstandete Interview zur „Ehe für alle“ führte, konnte ich nicht erahnen, welch heftige Reaktionen folgen würden.

Zunächst einmal, weil ich als Biologe Probleme erforsche, für die sich die Allgemeinbevölkerung wenig interessiert, zum anderen, weil ich die Reichweite von kath.net unterschätzt hatte. Ich finde es großartig, dass Sie, als gläubige Katholiken, einem „bekennenden Atheisten“ wie mir, der schon vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten ist, ein Forum bieten. So sollte ein demokratisch-divers organisiertes Miteinander funktionieren: Man respektiert die unterschiedlichen Standpunkte und diskutiert sie ergebnisoffen-undogmatisch aus.

Zum aktuellen Fall: Nach derzeitigem Stand liegen mehr als zehn Medienberichte vor, von unterschiedlicher Qualität.

kath.net: Welche Darstellungen entsprechen Ihrer Ansicht nach am ehesten dem wahren Sachverhalt, und was würden Sie an dieser Berichterstattung kritisieren?

Kutschera: Im Artikel aus der hiesigen „Hessischen / Niedersächsischen Allgemeine“ mit dem Titel „Prozess gegen Uni-Prof vorerst geplatzt. Verfahren wegen Volksverhetzung muss neu angesetzt werden“ wird dargelegt, ich hätte mich als Unfallflüchtiger schuldig gemacht. In Wahrheit habe ich aber lediglich beim Ausparken versehentlich den Plastik-Kotflügel eines Kleinwagens geschrammt, was ich nicht bemerken konnte; dies wurde durch ein Verkehrsgutachten bestätigt. Der unbedarfte Leser sieht hinter dieser Berichterstattung aber ein schwerwiegendes Vergehen, so z. B. das Anfahren einer Person ohne Hilfeleistung. Als aufrichtig-ehrlicher Bundesbürger würde ich mich niemals so verhalten. Leider wird aber auch in diesem ansonsten ordentlichen Bericht aus dem Zusammenhang gerissen zitiert.

Man muss das Interview als Ganzes lesen, um den Kontext meiner Aussagen zu verstehen. In einem Artikel im Nachrichtensender FFH („Wegen Volksverhetzung angeklagt. Universitäts-Professor steht vor Gericht“) wird behauptet, ich wäre zwischenzeitlich beurlaubt worden und dürfe jetzt wieder Vorlesungen halten.

Das ist eine Falschaussage: Seit dem Sommersemester 1993 habe ich, bis heute durchgehend, in jedem Semester meine Lehraufgaben in vollem Umfange erfüllt und nebenbei hunderte an Fachpublikationen sowie zahlreiche Lehrbücher veröffentlicht. Die Arbeitsbedingungen an der Universität Kassel sind exzellent, sodass wir hier auf hohem Niveau forschen und produktiv-international publizieren können.

kath.net: Gibt es auch Negativ-Darstellungen, die Sie so nicht stehen lassen wollen?

Kutschera: Die Berichte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („Prozess wegen Volksverhetzung: Professor will umstrittene Aussagen zu Homosexuellen belegen“), dem gleichlautenden Report auf Sputnik Deutschland, sowie auf Spiegel Online („Prozess in Kassel: Professor verteidigt umstrittene Aussagen über Homosexuelle“) sind in Ordnung. Dort wird immerhin erwähnt, dass 14 Beweisanträge eingereicht und von meinem Rechtsanwalt verlesen worden sind. Diese wurden u. a. von namhaften Professoren sowie einem Kinderarzt verfasst, womit die Korrektheit meiner Aussagen belegt werden kann.

Problematisch ist der Bericht auf t-online („Neigung zum sexuellen Missbrauch. Prozess: Biologie-Professor beleidigt Homosexuelle“). Dort wird mir unterstellt, ich hätte absichtlich und vorsätzlich homoerotisch veranlagte Männer und Frauen beleidigen wollen. Das ist nicht der Fall. Es ging mir im Interview ausschließlich um das Kindeswohl, und meine bekannte Aussage, dass Kinder ein natürliches Recht auf Vater und Mutter haben, stand im Vordergrund.

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei all jenen Menschen entschuldigen, die meine offensichtlich zu drastischen Formulierungen persönlich genommen und falsch verstanden haben. In Zukunft werde ich mich diplomatischer ausdrücken.

Völlig unakzeptabel ist der Bericht in der Bild-Zeitung („Bekannter Kasseler Biologe vor Gericht. Professor Dr. Schwulenhass. Weil er behauptet, dass Homosexuelle zur Pädophilie neigen“). Diese Schlagzeile empfinde ich als persönliche Beleidigung und Verleumdung. Insbesondere auch, weil sie auf meine Person und nicht die Inhalte ausgerichtet ist. Ich habe mit schwulen Biologen im In- und Ausland Kooperationsprojekte und bin keineswegs „homophob“ – das ist eine unhaltbare Unterstellung.

kath.net: Was sagen Sie zu den Inhalten dieser umfassenden Berichterstattungen?

Kutschera: Das Leitmedium Spiegel Online schreibt, wie auch anderswo zu lesen ist, ich hätte „homosexuellen Personen eine grundsätzliche Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern vorgeworfen“, und des Weiteren wird mir unterstellt, homosexuellen Menschen eine „Neigung zur Pädophilie“ zuzuschreiben. Beides ist unzutreffend.

Zunächst sei vermerkt, dass in keinem Satz des kritisierten kath.net-Interviews aus dem Jahr 2017 das Wortpaar „sexueller Kindesmissbrauch“ vorkommt – das ist eine freie Erfindung meiner Kritiker. Ich beziehe mich vielmehr auf emotionalen und physischen Kindesmissbrauch, d. h. die Vater- bzw. Mutter-Entbehrung, wie auch die Stiefvater- bzw. Stiefmutter-Gewalt. Diese Phänomene sind leider in Familien ohne gegengeschlechtlichen Elternpart in erhöhter Häufigkeit zu beklagen.

Weiterhin habe ich den vieldeutigen Begriff „Pädophilie“ klipp und klar nach John Money (1921–2006) definiert: Das Wort steht für „übersteigerte Elternliebe“. All das kann man im Fachbuch Das Gender-Paradoxon (2. Auflage 2018) nachlesen (1). Bei oberflächlichem Studium des Interview-Textes wird der spezielle Pädophilie-Begriff impliziert, d. h. die ausschließliche erotische Zuneigung von Männern zu vor-pubertären Kindern. Darauf habe ich mich aber in keiner Zeile des kritisierten „Ehe für alle?-Textes“ bezogen.

kath.net: Sie beharren auf Ihrem Standpunkt, würden Sie heute Ihre Kritik erneut so äußern?

Kutschera: Da ich mich seit nunmehr über 40 Jahren intensiv mit biowissenschaftlichen Fragestellungen befasse (Schwerpunkte u. a. Sexualverhalten von Anneliden, Myxomyceten, Embryophyten), gebe ich zu, eine gewisse „Betriebsblindheit“ erlangt zu haben. Insbesondere meine physiologischen Forschungsarbeiten, die entscheidend auf physikalisch-chemischen Zusammenhängen basieren (2), führten bei mir zu einem streng logisch-rationalen Denken und Argumentieren. Daher habe ich auch den viel kritisierten Begriff „Klimawandel-Hysterie“ geprägt, den ich immer noch für angemessen halte.

Obwohl ich seit früher Jugend Klavier spiele und nebenbei auch als Musikproduzent tätig bin, muss ich selbstkritisch zugeben, dass ich mit dieser „geradlinigen“ Art oft auf Unverständnis stoße.

Ich habe aber aus meinen Fehlern gelernt und nach Erscheinen des umstrittenen kath.net-Interviews 2017 bereits in unserem Nachfolgetext „Homo-Ehe: Staatlich-kirchliche Zementierung von Fehlverhalten?“ mildere Formulierungen gewählt.

Leider bin ich bisher davon ausgegangen, dass Andere ähnlich „mental gestrickt“ sind wie ich, aber diesbezüglich muss ich mich selbst korrigieren.

Viele Menschen sind eher emotional als rational veranlagt, und das muss man respektieren – ebenso wie den christlich-religiösen Glauben, mit dem ich leider nichts anfangen kann, nach meinem Motto: „Glauben heißt nicht wissen“ bzw. „naturwissenschaftliche Fakten und Theorien stehen über irrationalen Glaubenssätzen.“

Referenzen:
(1.) Kutschera, U. (2018) Das Gender-Paradoxon. Mann und Frau als evolvierte Menschentypen. 2. Auflage. LIT-Verlag, Berlin
(2.) Kutschera, U. (2019) Physiologie der Pflanzen. Sensible Gewächse in Aktion. LIT-Verlag, Berlin.

kath.net-Buchtipp
Das Gender-Pardoxon
Mann und Frau als evolvierte Menschentypen
Von Ulrich Kutschera
Taschenbuch, 446 Seiten, 2. Auflage
2018 LIT Verlag
ISBN 978-3-643-13297-0
Preis 25,60 EUR (Österreich)

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