Bischof Genn: „Sie sehen mich hier heute wirklich fassungslos“

11. Juli 2019 in Deutschland


Münsteraner Bischof Felix Genn suspendiert Ruhestandsgeistlichen nach umstrittenen Aussagen über sexuellen Missbrauch, kürzt ihm das Gehalt und verbietet dem Priester das Reden in der Öffentlichkeit - VIDEO des Bistums Münster


Münster (kath.net/pbm) kath.net dokumentiert die Stellungnahme „Nulltoleranz gegenüber unsäglichen Äußerungen zum sexuellen Missbrauch“ des Bischofs von Münster, Felix Genn, in voller Länge.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen, dass Sie der kurzfristigen Einladung gefolgt sind. Am vorletzten Sonntag hat ein emeritierter Pfarrer in der Heilig-Geist-Kirche in Münster, die zur Pfarrei St. Joseph gehört, über das Thema „Vergebung“ gepredigt und dabei auch Aussagen zur Vergebung für die Täter sexuellen Missbrauchs gemacht. Natürlich kann man in einer Predigt das Thema „Vergebung“ aufgreifen. Vergebung ist ein zentrales Thema unseres Glaubens. Entscheidend ist aber, wie man das macht. Man kann und darf von Opfern niemals Vergebung verlangen, Vergebung ist immer ein Geschenk, auf das ich kein Anrecht habe. Vergebung ist immer eine Gnade, die mir geschenkt wird.

Ich stand im Nachgang und in den sich anschließenden Auseinandersetzungen und Diskussionen über diese Predigt vor dem Problem, dass die Predigt nicht schriftlich vorlag. Das, was ich darüber hörte, reichte aber aus, dass ich den emeritierten Pfarrer bereits Ende der vergangenen Woche eindringlich gebeten habe, bis auf weiteres nicht mehr zu predigen. Durch den Gesprächsabend, durchgeführt von der Pfarrei St. Joseph, wurde aber der Kontext klar beleuchtet; diese glaubhafte Beschreibung vermittelte einen ganz anderen Zusammenhang; vor allem zeigt es sich, dass der Pfarrer nicht missverstanden wurde.

Zwischenzeitlich hat sich der Pfarrer nun sowohl auf seiner eigenen Homepage als auch in verschiedenen Interviews geäußert. Am gestrigen Abend wurde in der Lokalzeit im WDR-Fernsehen ein Beitrag ausgestrahlt, in dem der Priester mehrfach zu Wort kommt.

Ich zitiere im Folgenden bewusst wörtlich, was er unter anderem gesagt hat: So spricht er über die Opfer und sagt, dass er sich wundert, „dass sie so lange damit gewartet haben“ – mit „damit“ meint er offenbar das Gehen an die Öffentlichkeit. Weiter führt er aus: „Wenn Kinder wirklich so etwas Schreckliches erlebt haben bei einem Jugendkaplan, warum gingen sie immer wieder dahin, hinterher?“ Das bekräftigt er noch einmal, wenn er auf Nachfrage sagt: „Ich meine eben, wenn die Kinder immer wieder dahin gingen, hatten sie ja offenbar auch ein positives Verhältnis zu dem Mann, finde ich, sonst würden sie ja nicht hingehen.“ Und generell vertritt er im Blick auf den sexuellen Missbrauch die Auffassung, „dass es vielleicht nicht so tragisch für die Kinder war.“

Sehr geehrte Damen und Herren, es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Aussagen zumuten musste. Ich habe das aber getan, weil sie gemeinsam mit dem, was der Priester ansonsten in den letzten Tagen gepredigt und gesagt hat, die Grundlage für die Konsequenzen sind, die ich heute angeordnet habe und die ich dem Priester bereits habe mitteilen lassen.

Ich möchte aber, bevor ich darauf eingehe, noch Folgendes sagen: Sie sehen mich hier heute wirklich fassungslos. Dass ein Priester bei alldem, was wir inzwischen über sexuellen Missbrauch, gerade auch durch Kleriker, über Täterstrategien und das Leid der Opfer wissen, hingeht und solche Äußerungen tätigt, ist unfassbar. Wenn mich diese Äußerungen schon derart fassungslos machen, wie muss es dann erst für die von sexuellem Missbrauch Betroffenen sein? Mit diesen Äußerungen verhöhnt der Priester die Betroffenen – er schlägt ihnen mitten ins Gesicht. Und seine Aussagen stehen im absoluten Widerspruch zu der Haltung, die uns im Umgang mit sexuellem Missbrauch prägen muss: Alles, was wir tun, muss sich daran messen lassen, dass im Mittelpunkt die Perspektive der Betroffenen steht. Es geht jetzt nicht um Vergebung für die Täter, sondern um Gerechtigkeit – soweit das überhaupt und ansatzweise möglich ist – für die Opfer. Nulltoleranz gegenüber dem Verbrechen sexuellen Missbrauchs heißt für mich auch Nulltoleranz gegenüber solchen unsäglichen Äußerungen, wie sie der Priester getätigt hat.

Ich habe mich daher zu den folgenden Maßnahmen entschlossen:

Pfarrer Ulrich Zurkuhlen ist es verboten, sich weiterhin in dieser Sache zu äußern, sei es schriftlich oder mündlich. Ich möchte dadurch verhindern, dass er weiterhin die Betroffenen mit seinen unsäglichen Thesen belästigt.

Ich habe ihm mit dem heutigen Tage jeglichen Dienst als Seelsorger untersagt, die öffentliche Zelebration und Predigt. Außerdem wurde ihm die Beichtvollmacht entzogen.

Ich erwarte von ihm eine glaubhafte schriftliche Entschuldigung gegenüber den Betroffenen, gegenüber der Gemeinde, den Kolleginnen und Kollegen, gegenüber all den Menschen, die er verletzt hat.

Mit dem heutigen Tag habe ich Pfarrer Zurkuhlen in den Ruhestand versetzt und die Bezüge gekürzt.

All dies bedeutet, das Pfarrer Zurkuhlen nicht mehr als Seelsorger tätig sein kann und darf. Wenn einer meiner Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen solche Thesen vertritt, kann er nicht weiterhin im Dienst bleiben.

Bistum Münster - Pressetermin mit Bischof Felix Genn zu den Missbrauchsaussagen des Ruhestandsgeistlichen Zurkuhlen


Bistum Münster: Bischof Felix Genn und Pfarrer Stefan Rau bei Pressekonferenz über umstrittene Missbrauchsaussagen des Ruhestandspriesters


Foto (c) Bistum Münster


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