1788 Jahre vor Kant lebte ein Religionspopulist namens Jesus

6. August 2019 in Kommentar


Religionspopulismus und die Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion auf den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen - Eine Satire von Helmut Müller zu merkwürdigen Thesen des Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet


Salzburg (kath.net)
Vor etwa 1788 Jahren vor der großen praktischen Erleuchtung Immanuel Kants, seiner Deklarierung des autonomen Willens, wurde der große „Religionspopulist“ Jesus von Nazareth mit unbedingtem Wahrheitsanspruch in eine schon damals komplexe Gesellschaft geboren. Eine Menge Volk, wie es heißt, Mühselige und Beladene, Arme, Kranke, Lahme, Blinde, Aussätzige, Besessene und vom Leben Gebeutelte zogen hinter ihm her. Allen war gemeinsam, dass sie die schon damals komplexe Gesellschaft auf ihr Gebrechen hin schrumpften, Komplexität reduzierten und „einfach“ nur glaubten und Heilung erhofften. Der Nazarener unterstützte diese einfachen, unreflektierten Haltungen dadurch, dass er sie bestätigte mit: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Hin und wieder waren auch verschämt ein paar Mächtige und Intellektuelle unter dem Volk. Andererseits hat er so ziemlich alle Intellektuellen, die da hießen Pharisäer und Schriftgelehrte, die alles wesentlich komplexer sahen und differenzierter, gegen sich aufgebracht. Er verstieß gegen beinahe alle theologischen Grundsätze der damaligen Zeit, nannte den Unnennbaren, Abba, Vater, verschärfte und entschärfte alle Gesetze und Regeln nach Belieben und degradierte Mose auf einen Vorläufer. Seine offensichtliche Herkunft aus Nazareth, woher nach Meinung Vorgenannter „nichts Gutes kommen konnte“ dementierte allerdings seinen hohen Anspruch, so dass die damaligen Intellektuellen ihn als Hochstapler entlarven wollten und etwas dagegen hatten, dass er Komplexitätsreduktion betrieb und die 613 Gebote und Verbote auf die 10 Gebote eindampfen wollte.

Nur in einem war er sich mit den Intellektuellen seiner Zeit einig. Er lehrte seine Jünger beten „Dein Wille geschehe“; dass es eigentlich „mein Wille geschehe“ heißen müsste, konnte er so lange vor Kant ja noch nicht wissen. Mit seinem Religionspopulismus war es auch sehr bald zu Ende, mit einem solchen konnte er nur im ländlichen Galiläa punkten und vielleicht eine halbe Woche in der Intellektuellenhochburg Jerusalem.

Denn dann ging es ihm an den Kragen. Er machte nämlich keine politischen Versprechen und eine etwaige Klimapolitik war damals kein Thema. Jedenfalls wetterte er nicht gegen das Abholzen der Wälder durch die Römer, die nach allen Mittelmeerregionen jetzt auch Palästina kahl zu schlagen drohten. Andererseits erweiterte er aber die 10 Gebote um drei Ratschläge: Er pries die Armut, vertrat eine rigide Sexualmoral und das Schlimmste: Der eigene Wille sollte sich dem Unnennbaren, den er Abba Vater nannte, unterordnen. Statt bequem die eigenen Sünden durch ein jährliches, gigantisches Schlachten von Lämmern zu entsorgen reduzierte er auch da Komplexität und ließ sich, wie glaubhaft versichert aber manche heute glauben – masochistisch - selber schlachten.

Aus der Zauber – so schien es. Und so war es auch zunächst.

Mit diesem einfachen Programm, das eigentlich nur Glauben und keine große und differenzierte Reflektion verlangte, hatte er wirklich alle vergrault, das Volk, das ihm bis dahin folgte und die „Religionsintellektuellen“ , wie der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf seinesgleichen einmal nannte sowieso, damals und auch viele heute wieder. Denn Neuevangelisierung kommt heute bei manchen Intellektuellen nicht gut an.

Weshalb mir das gerade jetzt in den Sinn kommt? Dieser Tage wurde auf den Salzburger Hochschulwochen ein Glaube in der traditionellen Fassung des Nazareners als Religionspopulismus bezeichnet und der Neuevangelisierung deutlich eine Absage erteilt. Die anstößigsten Merkmale scheinen folgende zu sein:

Der Nazarener will den Willen des Vaters tun und er unterscheidet seinen davon deutlich und formuliert regelrecht skandalös vorkantisch „nicht mein, sondern dein Wille geschehe“.

Aus den neutestamentlichen Schriften geht glaubhaft hervor, dass er für UNSERE SÜNDEN gestorben ist, eine verschärfte Form von Fremdschämen.

Schließlich erhebt er einen unbedingten Wahrheitsanspruch. Zu seiner Entlastung muss gesagt werden, dass er die Entwicklung von Kant zu Nietzsche, dass wir bloß perspektivische Eckensteher sind und daher keiner DIE Wahrheit besitzt, noch nicht kannte.

Ein ausgewiesener Religionspopulist wie Johannes Paul II. hat das zu allem Überfluss auch noch fast 2000 Jahre später, Kant und Nietzsche nicht beachtend, regelrecht zementiert, er spricht sogar ganz und gar unterkomplex - die Zeit dazwischen schretternd und einiges ins Ewige hebend - durch sein Programm der Neuevangelisierung.

Auch der neue Papst knüpft daran an. Ist das dem Vortragenden entgangen? Die Botschaft des Nazareners wurde von besagtem Vortragenden gänzlich mit der Brille Kants gelesen, sodass ein „Kirchenglauben“ (Kant) eh schon keine gute Presse hat. Die Vaterunserbitte - Dein Wille geschehe - konnte natürlich auch nicht ungeschoren davon kommen.

Der „die Freiheit liebende Gott“, so wie der Vortragende Gott einführte und eigentlich gleich wieder abführte, weil er Freiheit ohne ihn begründete, kann dann auch nur lauten, wenn es denn Gott gibt: Gott will eigentlich, dass „mein Wille geschehe“. Für unsere Sünden gestorben – wie der Nazarener sagte oder man ihm nachsagte, ist eigentlich sinnlos. Wenn es so wäre, dann nähme er ja unsere Freiheit nicht ernst und würde gegebenenfalls eine freie Tat als Sünde denunzieren. Überhaupt hat der Nazarener wohl bloß das verkorkste Schöpfungswerk dessen, den er Vater nennt, korrigiert, in dem er „wieder“ den Tod besiegbar gemacht hat. Alles natürlich nur unter der Voraussetzung, dass es so etwas wie einen Gott oder etwas Ähnliches überhaupt gibt und der Nazarener wirklich war, wofür er sich nach dem Zeugnis der ersten Glaubenden gehalten hat.

Heilsnotwendig sei das alles aber nicht, wie Religionspopulisten in der Nachfolge des Nazareners glauben. Jeglicher Glaube reiche, an was auch immer geglaubt wird, allerdings unter einer Bedingung: Der so Glaubende, darf vor allen Dingen die eigene Vernunft nicht beschädigen und sich irgendetwas vorsetzen lassen, was nicht von dieser Vernunft, die mit anderen „Vernünften“ interferiert, aber von keiner als der eigenen letztlich geprüft werden sollte. Hoffentlich ist der – für den einen oder anderen doch streckenweise sympathische Nazarener nicht für einen Popanz gestorben. Auf der Höhe der Zeit, wie wir, mindestens seit Kant, war er ja noch nicht.

Das ist alles sehr gut durchdacht, wenn die Gedanken ein Religionsphilosoph ins Wort gebracht hätte. Aber nein, es war der Freiburger FundamentalTHEOLOGE Magnus Striet.

Das genaue Wissen um diesen Mann aus Nazareth – was er wohl wirklich oder angeblich gewollt hat - ist offenbar nicht so wesentlich – das stimmt auch in gewisser Weise – wenn es vom Einzelnen in der Tradition einer glaubhaften Bezeugung angenommen wird. Wir sind ja keine gnostische Religion. Meine Mutter hat in diesem Glauben ohne hoch reflektiertes Wissen gelebt und ist gestorben und hoffentlich selig geworden. Wichtig ist allerdings offenbar eine neue Gnosis, nämlich Kant genau zu verstehen, sogar ihn intellektuell weiterzudenken, um dann zu wissen, dass wir „formal“ so frei sind wie der liebe Gott selber – falls es ihn wirklich gibt – worauf Striet unablässig hin weist. Er braucht ihn ja nicht, wie er gegen Karl Heinz Menke argumentiert, um seinen Begriff von Freiheit zu begründen.

Das ist aber nun die neue Gnosis: Das „Gespinst des eigenen Geistes“ (Koh 2,22) zur Türangel zu machen, in der sich dann die ganze Welt dreht. Offenbarung wäre dann nur eine Ausleuchtung des Innen, kein Einbruch von Außen in dieses Gespinst.

Würden 216 000 katholische und 220 000 evangelische Christen, die freiwillig letztes Jahr den kirchlichen Glauben an den Nazarener hinter sich gelassen haben den Weg Striets gehen?
Wenn sie ihn verstehen würden?
Und im Ernstfall auch kirchen- und gottlos, nach ausgefeilten Vernunftkriterien hochkomplex erneut glauben?

Wenn sie so viel Vernunft zusammenbrächten, dass sie sich selbst verstehen und „formal“ so frei sind wie „Gott“ und Freiheit allerdings „material“ doch nicht die „große Freiheit“ ist?
Vorausgesetzt sie werden nicht Opfer von Religionspopulisten.

Solche treiben sich vornehmlich in Kirchen herum und werden aber doch häufig an Universitäten und anderswo bloß gestellt.

Sie verbiegen einem die Vernunft durch Kirchenglauben, sei er katholisch oder evangelisch.
Damit rauben sie einem die Freiheit sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Irgendwie werde ich an unsere Kinder erinnert als sie in der Phase waren, wo ich als Vater zu hören bekam, „Papa selber machen“. Sie hatten und haben ja Recht. Aber haben wir ihnen bis dahin genug beigebracht, dass sie es auch können? Und erst recht nach der Pubertät? Das soll beileibe nicht eine Rede gegen Vernunft sein. Aber mit Glaube sollte man beginnen, beide – Vernunft und Glaube – sollten dann miteinander interferieren und keineswegs einander auslöschen. Hat vielleicht Kant einiges vergessen, was der Nazarener - und in seiner Tradition schließlich unsere Eltern, uns bis dahin beigebracht haben? Und wie ist es mit Striet auf seinem neuen Höhepunkt der Zeit gut 230 Jahre nach dem Erscheinen der Kritik der praktischen Vernunft?

Mir ist nicht wohl dabei, diesen Stil gewählt zu haben. Aber er soll meinen Ausdruck von Fassungslosigkeit wiedergeben, dass ein Theologieprofessor so selbstherrlich mit dem Glauben umgeht, wozu er berufen worden ist, denselben zu lehren. Ich erinnere mich an Lenins Ausspruch: „Dialektik ist die Elastizität des Begriffes bis zur Deckung der Gegensätze.“ Es erscheint, dass die katholische Theologie von einem Virus befallen ist, der den Wirtskörper zerstört und nur noch die eigene DNA reproduziert. Muss man sich das gefallen lassen? Wie in einer Diktatur, wo der einzelne machtlos ist, hilft oft nur die Satire oder entsprechende Witze.


kath.net-Buchtipp:
Zeitgerecht statt zeitgemäß
Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist
Von Helmut Müller
Hardcover, 244 Seiten 2018 Bonifatius-Verlag ISBN 978-3-89710-790-8
Preis Österreich: 15.40 EUR


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