"Keine Dokumentation, sondern eine Polemik"

11. November 2019 in Kommentar


Anmerkungen zum Film von Christoph Röhl „Verteidiger des Glaubens“ über Papst Benedikt XVI. von Manfred Spieker


Linz (kath.net) Der Film über Papst Benedikt XVI. „Verteidiger des Glaubens“ wird von seinem Autor Christoph Röhl „Dokumentation“ genannt. Zweck dieser „Dokumentation“ sei es, Papst Benedikt XVI. als Vertreter eines absolutistischen Herrschaftssystems zu präsentieren, das die Gedanken der Menschen kontrollieren und den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker verschleiern wolle. Benedikt XVI. habe nicht sehen wollen, was passierte, weil er als „scheuer Mensch“ und weltabgewandter „Verteidiger des Glaubens“ die Ordnung des Systems Kirche und die Reinheit des Priestertums nicht beschädigen wollte. So habe er auch nichts unternommen, um den Opfern des Missbrauchs gerecht zu werden. Benedikt XVI. sei verantwortlich für die Krise der katholischen Kirche. Auch in Filmbesprechungen wird die Behauptung übernommen, dieser Film sei eine „Dokumentation“.

Wäre der Film wirklich eine Dokumentation, müsste er Fakten zur Kenntnis nehmen. Um nur drei Behauptungen des Films aufzugreifen und an die Fakten zu erinnern, die verschwiegen werden. Die erste: Benedikts angebliche Verstrickung in den Missbrauchsskandal - eine abwegige Behauptung. Als Papst hat Benedikt XVI. nicht nur den besonders skandalträchtigen Gründer der Legionäre Christi Marcial Maciel aller Ämter enthoben, sondern rund 400 Priester wegen solcher Taten aus dem Klerikerstand entlassen. Um solche Entlassungen möglich zu machen, musste eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, die er als Präfekt der Glaubenskongregation mit einer Novellierung des kirchlichen Strafrechts 2001 selbst eingeleitet hatte. Er hat die Verfolgung der Missbrauchsfälle von der Kleruskongregation in die Glaubenskongregation gezogen und eine strikte Null-Toleranz-Politik verfolgt. Die Opfer des sexuellen Missbrauchs hat er nie vergessen, wie seine Gesprächsbücher mit Peter Seewald „Licht der Welt“ (Freiburg 2010) und „Letzte Gespräche“ (München 2016) sowie seine Begegnungen mit Opfern auf seinen Reisen – zum Beispiel in Sidney 2008 und in Erfurt 2011– zeigen. Vom „Schmutz“ innerhalb der Kirche hat er nicht nur in den erwähnten Büchern gesprochen, sondern vor aller Welt auch in der Kreuzwegandacht am römischen Kolosseum am Karfreitag 2005.

Nicht weniger abwegig ist die zweite Behauptung, Ratzinger sei „ein scheuer Mensch“, nur an Büchern, schöner Liturgie und geordneter Hierarchie interessiert. Ratzinger war immer bereit zum Dialog und zur persönlichen Begegnung mit seinen Kritikern, ob mit Leonardo Boff im Streit um die Befreiungstheologie Anfang der 80er Jahre, mit den deutschen Bischöfen im Streit um die Schwangerschaftskonfliktberatung 1997, mit Johann Baptist Metz über die politische Theologie 1998, mit Agnostikern wie Jürgen Habermas und dem italienischen Philosophen und Senatspräsidenten Marcello Pera über die Pathologien der Vernunft und der Religion oder mit seinem schärfsten Kritiker Hans Küng, den er bald nach seiner Wahl zum Papst zu einem mehrstündigen Gespräch nach Castelgandolfo eingeladen hatte. Auch seine Ansprachen im Deutschen Bundestag und im Freiburger Konzerthaus im September 2011 verraten eher einen souveränen Pontifex als einen „scheuen Menschen“. Von all dem will der Film nichts wissen. Er ist keine Dokumentation, sondern eine von Vorurteilen genährte Polemik, die von einem großen Theologen und ebenso furchtlosen wie demütigen Papst ein Zerrbild zeichnet.

Abwegige Behauptungen liefert der Film schließlich auch drittens von den neuen geistlichen Gemeinschaften, auf die Ratzinger und Papst Johannes Paul II. große Hoffnungen für die Zukunft der Kirche gesetzt haben. Sie werden wegen ihres fröhlichen Glaubens und ihrer Papstbegeisterung lächerlich gemacht. Der Jesuit Klaus Mertes nennt sie im Film wegen ihrer Papstbegeisterung gar einen Schaden für die Kirche. Interviewt werden von diesen Gemeinschaften nur Personen, die die Gemeinschaft, der sie einst angehörten, verlassen haben und diese konsequenterweise negativ sehen. Röhl wirft Benedikt vor, dass er nur den Gründer der Legionäre Christi seiner Ämter enthoben habe, statt die ganze Gemeinschaft zu verbieten. Von einem kranken Stamm, behauptet er, könnten keine guten Früchte kommen. Röhl übersieht als bekennender Atheist, dass der „Stamm“ einer geistlichen Gemeinschaft wie auch der älteren Orden immer Christus selbst ist. Der Gründer ist eher mit einem Gärtner zu vergleichen und Gärtner können auch zum Versager werden. Personen, die diese Gemeinschaften, ihre Strukturen, ihre Geschichte und ihr Charisma positiv präsentieren könnten, kommen im Film nicht vor. Auch deshalb kann der Schluss nur lauten. Dieser Film ist keine Dokumentation, sondern eine giftige Polemik.


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